Einsam vor Gott: Godard, die Nouvelle Vague und die Verantwortung der Kunst
Seite 3: Schweigekartell
8 ½ kaufte Levine noch unbesehen, weil Fellini seit La dolce vita ein Arthouse-Superstar war. Ein paar Monate später, bei Le mépris, fungierte er als Co-Produzent und nervte Godard mit täglichen Forderungen per Telex aus New York. Godard beklagte sich öffentlich über diese Einmischungsversuche. Das fand Eingang in einen Artikel, der eine Woche vor der New-York-Premiere von Vivre sa vie in der Variety (14.8.1963) erschien und Godard sehr schadete. Das Umfeld, das einem rät, den Mund zu halten, gibt es nicht nur, wenn Frauen von Produzenten sexuell belästigt werden.
Anders als beim sexuellen Missbrauch sind die Eingriffe eines Produzenten in einen Film nicht per se verwerflich. Filme werden dadurch besser oder schlechter oder bleiben, wie sie sind, und natürlich würden sie ohne die Produzenten gar nicht erst entstehen. Jenseits dieser Binsenweisheit wäre eine Diskussion trotzdem wünschenswert. Schließlich geht es darum, was wir für unser Geld zu sehen kriegen oder eben nicht. Aufmerksamkeit ist eine knappe Ressource. Anschläge auf die Filmkunst sind nicht annähernd so sexy wie ein Produzent, der schönen Frauen nachstellt. Die Parallelen könnten trotzdem von Interesse sein.
Wer aber öffentlich gegen Eingriffe in sein Werk protestiert wie Godard verstößt gegen die Etikette und muss die Folgen tragen. Das Wort, das in der Filmbranche Karrieren zerstören kann, ist "schwierig". Oft ist das ein Synonym für: nicht zu Willen sein. Die Schauspielerin Ashley Judd verklagt Harvey Weinstein jetzt auf Schadenersatz und macht geltend, dass er sie als "schwierig" verleumdet und so ihrer Karriere geschadet habe, weil sie seine sexuellen Avancen zurückwies. Wie ist das mit dem "schwierigen" Jean-Luc Godard, der verlangte, dass Joe Levine die Finger von Le mépris ließ?
Im Film läuft es auf einen Befund hinaus, den Fritz Lang aus dem Off so formuliert: "Ein Produzent kann dem Regisseur ein Freund sein [nicht mit ihm befreundet sein wie in den deutschen Untertiteln der Arthaus-DVD]. Aber Prokosch ist kein richtiger Produzent. Er ist ein Diktator." Im echten Leben war es so, dass Levine sich weigerte, Le mépris beim Festival von Venedig einzureichen - trotz guter Chancen, eine der prestigeträchtigen (und werbewirksamen) Auszeichnungen mitzunehmen. War das die Revanche für Godards Unbotmäßigkeiten oder lag es daran, dass Levine nicht an den Film "glaubte" (eine von den Lieblingsvokabeln der Weinstein-Brüder)? Schwer zu sagen, wie immer in solchen Fällen.
Von seiner Ankündigung, Godard zum "neuen Fellini" zu machen, wollte Levine jedenfalls nichts mehr wissen. Im Dezember 1964, als Le mépris (Contempt) mit gehöriger Verzögerung in den USA anlief, ein Jahr nach dem Start in Frankreich, fehlte das übliche Tamtam. Levine hatte eine um drei Minuten gekürzte Synchronfassung anfertigen lassen und vermarktete sie nicht als Arthouse-Film wie den nicht weniger selbstreflexiven 8 ½ (Oscar 1964 für den besten fremdsprachigen Film), sondern als Mainstream-Produkt, das er überwiegend in Kinos brachte, wo Contempt auf das Unverständnis eines Publikums stieß, das auf so etwas nicht vorbereitet war.
Bei der US-Kritik und an der Kinokasse fiel der Film durch. Godard wurde als undankbarer Querulant abgestempelt, der künstlerisch abgewirtschaftet habe und sich darin gefalle, fremdes Geld zu vernichten. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob es anders gewesen wäre, wenn Levine in der Arthouse-Szene sein übliches PR-Feuerwerk abgebrannt hätte, statt den Film ohne Plan irgendwo abzuladen und hinterher als Verlustgeschäft zu verbuchen. Festzuhalten ist, dass der Erfolg eines Films durch die Sättigungstechnik verstärkt davon abhing, ob in überfallartige Werbekampagnen investiert wurde oder nicht.
Einem finanzstarken Investor wie Joe Levine gab das sehr viel Macht. Er hatte die Mittel, sich erst einen Markt und dann seine eigene Wirklichkeit zu schaffen - eine Wirklichkeit, in der der Publikumsgeschmack der seine war, weil dieser Geschmack sehr viel mit Verfügbarkeit, Gewöhnungseffekten und medialer Verstärkung zu tun hat. Seine Form der Machtausübung ist die Blaupause für die Regentschaft der Weinstein-Brüder, lange Jahre Chefs der Firma Miramax (und danach der Weinstein Company).
Miramax first
Man ignoriert nicht die Opfer von Harvey Weinsteins sexuellen Übergriffen und schmälert nicht deren Anspruch auf Gerechtigkeit, wenn man darauf hinweist, dass seine Herrschaft mehr beinhaltete als den Boulevard elektrisierende Sexgelüste. Ob er und sein Bruder Bob an einen Film "glaubten" entschied darüber, ob er ordentlich beworben, auf Festivals gezeigt, umgeschnitten oder zum Verstauben im Archiv abgelegt wurde. Jonathan Rosenbaum fordert aus gutem Grund, außer den Frauen auch die Künstler und die Zuschauer der Filme als Opfer zu betrachten, die Harvey Weinstein missbraucht hat.
Auch wenn manche von Harveys und Bobs Einkäufen nie verliehen oder verramscht wurden stimmte die Rendite, weil andere Anbieter den Weinsteins mit Filmen, die als totes Kapital im Archiv der Miramax lagen, keine Konkurrenz und ihnen somit keine Kinoleinwände streitig machen konnten. Die Brüder betrieben etwas, das man die "Miramaxierung" des Arthouse-Kinos nennen könnte, also die Herstellung und den Vertrieb von kommerziell geglättetem Kunstgewerbe mit angetäuschter Widerständigkeit gegen eine normierte Filmästhetik als zusätzlichem Verkaufsargument. Was nicht ins Schema passte wurde zurechtgestutzt.
Gerechtfertigt wurde das als notwendige Anpassung an den - von den Weinsteins definierten - Geschmack des amerikanischen Publikums. In den USA prägte die marktbeherrschende Stellung der Miramax die Wahrnehmung des nicht-amerikanischen Kinos. Jacques Tatis Jour de fête und Jacques Demys Les demoiselles de Rochefort sind Meisterwerke des europäischen Films und hätten Inseln der Vielfalt im von der Miramax mit einer Schleife aus Schein-Originalität präsentierten Einerlei sein können. Die Weinsteins kauften die restaurierten Fassungen und befanden, dass Amerikaner so etwas nicht sehen wollten.
Die Einspielergebnisse gaben ihnen recht. Kaum beworben und lustlos auf den Markt gekippt verschwanden Tatis Briefträger und Demys Garnier-Schwestern rasch aus den wenigen Arthouse-Kinos, in denen sie überhaupt gezeigt wurden. Filme, an die Bob und Harvey "glaubten", wurden gekürzt und neu montiert. Ein Beispiel aus China, um nicht zu eurozentrisch zu sein: Chen Kaiges Temptress Moon kriegt man in Ländern des Westens fast nur noch in der Miramax-Fassung zu sehen, mit erklärenden Einschüben und zerstörtem Rhythmus.
Fans von Martial-Arts-Filmen haben wenigstens die Wahl zwischen der "amerikanisierten" und einer "restaurierten" Version (in England bei Eureka) von Woo-ping Yuens Iron Monkey. Wer eine DVD oder Blu-ray mit der Miramax-Fassung erwischt sieht fünf Minuten weniger, wird nicht mit Politik belästigt (Auslassungen in den Untertiteln), hört eine neue Musik und erfährt (im Bonusmaterial) von Quentin Tarantino, wodurch sich die Erwartungshaltung chinesischer Kinogeher von jener der Amerikaner unterscheidet. Gemeint ist ein Amerikaner: Harvey Weinstein, mit dem Tarantino damals noch befreundet war.
Niemand weiß, wie viele Filme - auch europäische - nicht erst durch nachträgliche Bearbeitungen, sondern durch vorauseilenden Gehorsam "miramaxiert" wurden, um Zugang zum wichtigen US-Markt zu erhalten. Da hilft dann die schönste Restaurierung nichts, weil man nichts restaurieren kann. Levines Aufstieg begann übrigens mit Godzilla, King of the Monsters, der "amerikanisierten" Version von Ishirō Hondas Gojira. Da fehlte eine Viertelstunde (Hinweise auf die Atombombe und die nukleare Verseuchung des Meeres), es gab neue Szenen mit Raymond Burr als US-Reporter, das Ganze war mit Toneffekten aufgepeppt.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.