Einübung in eine "gated democracy" oder Politikspektakel?

Absehen lässt sich, dass auf dem G8-Gipfel kaum Verpflichtendes in Sachen Armutsbekämpfung, soziale Sicherung, Klimapolitik oder Umweltschutz beschlossen wird

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Das G8-Treffen erweist sich inzwischen immer mehr als Politikspektakel, das mit viel Geld, großem Medienrummel und erheblichen Einschränkungen der Bürgerrechte veranstaltet wird. Das Ritual der Proteste gegen das nutzlose Treffen der Regierungschefs mit den schönen Worten spiegelt nur die politische Leere, in der dies alles stattfindet. Das Warten darauf, was dieses Mal passieren wird, gut angeheizt von den Sicherheitsbehörden, ist daher der einzige Inhalt der Öffentlichkeit. Gleichwohl spielt sich hinter dem Spektakel im Spiel mit den Demonstranten und den Gesetzen die sicherheitstechnische Aufrüstung zur "gated democracy" ab.

Bundeskanzlerin Merkel, die zum G8-Gipfel nach Heiligendamm eingeladen hatte, wollte mit dem Treffen politische Punkte sammeln und sich vor allem als Klimaschützerin herausstellen, nachdem der britische Regierungschef Blair den letzten G8-Gipfel, gedrängt auch von der von Pop-Musikern forcierten Kampagne Make Poverty History (Stimmen gegen die Armut), zumindest die Entschuldung der ärmsten afrikanischen Länder in den Vordergrund gestellt hatte (Entschulden und Aufrüsten).

Die Anschläge auf die U-Bahn durchkreuzten die Erwartungen Blairs an die Würdigung seiner Erfolge, allerdings fielen die sowieso schon vor dem Treffen beschlossenen Entscheidungen gegenüber den auch von der Kampagne Make Poverty History geweckten Erwartungen dürftig aus. Blairs "Marshall-Plan für Afrika" wurde zu der Absichtserklärung, Schulden für die 18 ärmsten Länder zu erlassen und die Gelder für Entwicklungshilfe bis 2010 auf 50 Milliarden Dollar, davon 25 Milliarden für Afrika) anzuheben (Armut wird nicht der Geschichte angehören). Beim Klimaschutz kam man zur Erkenntnis, dass die Emission von Treibhausgasen schädlich für das Klima ist und abgesenkt werden sollte.

Dass Bundeskanzlerin Merkel hinsichtlich einer irgendwie verpflichtenden Erklärung zur Reduzierung der Emission von Treibhausgasen einen Erfolg vermelden könnte, dürfte eher unwahrscheinlich sein. Schon im Vorfeld wurde bekannt, dass die Bush-Regierung ausgiebig Veränderungswünsche im Abschlussdokument durchsetzen wollte. Ob es eine konkrete Aussage zu einer gemeinsamen Klimapolitik, wenn schon nicht zu verpflichtenden Energieeinsparungen, geben wird, steht ebenfalls in Frage. Die US-Unterhändler wollten nicht einmal, dass die Regierungschefs "besorgt" den letzten IPCC-Bericht zur Kenntnis nehmen, sondern verlangten stattdessen diese Aussage: "Wir nehmen die jüngste Einschätzung zur Kenntnis."

Neben der Klimapolitik und dem "nachhaltigen Umgang mit Ressourcen" hat Bundeskanzlerin Merkel "die Ausgestaltung der globalisierten Weltwirtschaft und die Entwicklung Afrikas" auf die Agenda gesetzt. Auch hier wird man sehen müssen, ob mehr als vage Versprechen gegeben werden, weil man nach dem G8-Gipfel in Großbritannien womöglich Sorgen hat, dass konkrete Verpflichtungen natürlich auch Erwartungen zu deren Umsetzung fördern, womit man sich aber nicht gerade hervorgetan und damit der kaum vorhandenen Glaubwürdigkeit der Veranstaltung selbst noch einmal Schaden zugefügt hat.

In der Aktion Deine Stimme gegen Armut wollen Venro, der Dachverband von rund 100 entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen, Herbert Grönemeyer, Bono und andere Musiker, die Kampagne von 2005 fortsetzen. Sie fordern die Umsetzung der UN-Millenniumsziele, u.a. Halbierung der Zahl der Menschen, die hungern müssen oder weniger als einen Dollar täglich haben, bis 2015.

Der in Anwesenheit von Bono, Bob Geldof, Herbert Grönemeyer und Ngozi Okonjo-Iweala (ehemalige Finanzministerin Nigerias) am Dienstag in Berlin vorgestellte Datareport 2007 von Debt, AIDS, Trade, Africa (Data) macht jedenfalls deutlich, dass die G8-Staaten ihre Zusagen nicht eingehalten haben, aber auch, dass ein von Pop-Musikern organisierter Großevent zwar kurzzeitig Aufmerksamkeit und Druck herstellen kann, aber doch nur symbolische Politik ist. Gefordert wird von Merkel auf dem G8-Gipfel eine „Notfallsitzung zu den Versprechen für Afrika und zur Glaubwürdigkeit der G8". Zwar habe vor allem der Schuldenerlass dort, wo er stattfand, ebenso wie eine bessere Entwicklungsarbeit Erfolge gezeigt, aber die Staaten haben, abgesehen von Japan und Großbritannien, ihre Zusagen nicht eingehalten:

Insgesamt sind die G8-Staaten bei dem Entwicklungs- Versprechen gegenüber Afrika weit von ihrem Ziel entfernt. Die Mittel für die G8-Entwicklungszusammenarbeit für Länder in Afrika südlich der Sahara sind seit 2004 insgesamt um nur $2,3 Mrd. gestiegen, obwohl in diesem Zeitraum ein Anstieg von $5,4 Mrd. erforderlich gewesen wäre. Zwischen 2004 und 2005 erhöhten die G8-Staaten ihre Hilfeleistungen von $15,7 Mrd. um $714 Mio. auf $16,4 Mrd. und von 2005 bis 2006 fand eine Erhöhung von $16,4 Mrd. um $1,6 Mrd. auf $18 Mrd.statt. In diesen Summen sind die jeweiligen Erhöhungen Großbritanniens und Japans enthalten, die beide mit ihren Versprechen auf Kurs sind. Kanada und die USA führten ebenfalls geringe Erhöhungen durch, sind jedoch nicht auf Kurs. Die Höhe der Zuwendungen von Deutschland und Frankreich veränderte sich so gut wie gar nicht, Italien nahm kräftige Kürzungen vor – alle drei Länder sind somit weit von dem gesteckten Ziel entfernt.

Um die gemachten Versprechungen einzulösen, müsste etwa Deutschland, so rechnet der Bericht vor, nun jedes Jahr ab 2007 bis 2010 die Entwicklungshilfe für Afrika um 870 Millionen erhöhen. "Wir erwarten, dass Deutschland seine Versprechen hält. Wenn Deutschland seine Versprechen nicht hält, werden alle anderen auch das Ruder loslassen", mahnte Bono.

Die Bundesregierung schreibt zur Begründung der Notwendigkeit der G8-Gipfel:

Die G8-Gipfel sind auch heute noch der Höhepunkt der einjährigen Präsidentschaft jedes Staates. Die Themenpalette umfasst mittlerweile das gesamte Spektrum globaler Politik. Neben der Wirtschaftspolitik werden außen- und sicherheitspolitische, aber auch entwicklungspolitische Themen angesprochen. Viele Initiativen zu globalen Fragestellungen, insbesondere auch der Armutsbekämpfung, sind von diesem Forum ausgegangen.

Man wird die Bundesregierung und die G8-Gipfel auch danach beurteilen müssen, was an Verpflichtungen beschlossen und dann auch umgesetzt wird. Die Frage wird nur sein, ob das Spektakel auf beiden Seiten nicht notwendig größer sein muss, weil sich eigentlich niemand wirklich etwas erwartet, was einen solchen Gipfel tatsächlich erfordern würde.