Einwanderung als "Wunderwaffe" gegen den demographischen Wandel und für abgehängte Regionen?

Seite 3: Akzeptanz von Zuwanderung in ländlich/peripheren Regionen

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Vorstellbar wäre, dass nur einzelne Einwanderungs-Regionen ausgemacht werden, für welche die einen oder anderen Anreizsysteme gelten, um hier gezielt Zuwanderung zu fördern. Wichtig wäre hierbei, dass die Menschen in solchen Regionen etwa im Rahmen von Volksabstimmungen mehrheitlich ihr Okay geben, damit die Region, die Gemeinde oder der Ort bei solchen Förderprogrammen aktiv teilnehmen kann; dann wäre die Akzeptanz sicherlich höher, als wenn derlei Maßnahmen von oben verordnet würden.

Vorstellbar wäre auch, dass man etwa zunächst fünf bis fünfzig Klein- und Mittelstädte oder größere Dörfer auswählt (eine Zustimmung vorausgesetzt), die bei einem solchen Programm teilnehmen und im Rahmen dessen realistische Kontingente von Einwanderern definiert werden - und dann deren Ansiedlung gefördert wird. Bei den Betroffenen in den einzelnen Regionen muss eine hohe Zustimmung vorhanden sein und eine Kommunikation stattfinden, wenn große Pläne von Zuwanderung umgesetzt werden sollen.

Um Akzeptanzfragen schon mal grob zu untersuchen, wurde im genannten Fragebogen gefragt, ob sich die ländlich/peripher lebende Bevölkerung vorstellen könnte, dass solche Anreizsysteme implementiert werden:

Dorf A und Kleinstadt B haben durch Abwanderung in den letzten 30 Jahren viele Einwohner verloren. Die Bevölkerungszahl von Dorf A ist von 600 auf 380 gesunken und von Kleinstadt B von 5000 auf 2900. Es gibt kaum Arbeit und in Dorf A nicht einmal mehr Läden, geschweige denn eine Schule oder einen Kindergarten. Um das Problem zu lösen, setzt die Regierung ein Programm auf, um das Sterben von Dörfern und Kleinstädten zu verhindern: Im Rahmen dieses Programms werden Einwanderer aus dem Ausland gezielt an diesen Orten angesiedelt. Und zwar nicht nur aus einem Land, sondern bunt gemischt, aus mehreren Herkunftsländern, damit keine Ghettos entstehen. Wie finden Sie das? Warum?

Das Ergebnis waren Text-Kommentare, die ausgewertet und in Gruppen zwischen zustimmenden, ablehnenden und neutral eingestellten Befragten unterteilt wurden. Das Ergebnis in Gruppen ist in der folgenden Abbildung dargestellt:

Eine Mehrheit von 61% stand hier also einer größeren Minderheit von 32% gegenüber. Hervorzuheben bei den Ergebnissen und den Kommentaren aus dieser Befragung ist vor allem, dass es vielen der deutschen Befragten wichtig war zu betonen, dass zum einen eine beiderseitige Integrationsleistung erforderlich sei, wenn mehr Einwanderer in ihre Gegenden ziehen würden und die Forderungen nach restriktiven Integrationsregeln und einer strikten Assimilierung deutlich weniger häufig genannt wurden.

Wichtig war es für viele der Befragten aber zu betonen, dass eine dezentrale oder durchmischte Verteilung von Einwanderern im Land wichtig sei, vor allem um Gettobildungen zu verhindern. Es bestehen also zumindest bei diesen Befragten eher weniger Berührungsängste in Bezug auf eine stärker multikulturell geprägten Gesellschaft.3

Die Zustimmungswerte waren in der Befragung bei Menschen aus demographisch stark wachsenden ländlichen Regionen interessanterweise geringer als in stark geschrumpften Regionen (Zeitraum: 1991-2016).

Dieses Ergebnis ist eine gute Nachricht z.B. für Klein- und Mittelstädte in strukturschwachen Regionen, die zwar über Leerstand und einiges an Potentialen in ihrer Infrastruktur verfügen, jedoch starke Bevölkerungsverluste verzeichnen. Sie könnten die Zentren werden im Rahmen eines groß angelegten staatlichen Förderprogramms für einige multiethnische Wachstumspole.

Die Akzeptanz entsprechend von Berufsgruppen wurde auch gemessen und dabei war klar erkennbar, dass etwa die Zustimmung unter Studierenden mit 79% besonders hoch, gefolgt von Angestellten des Bildungswesens war (70%) sowie Angehörigen der zusammengefassten Bereiche der "Verwaltung/Planung oder öffentlicher Dienst / Beamter/Beamtin" (70%) - und etwas niedriger im Bereich "Landwirtschaft/Gartenbau/Forstwirtschaft".

Deutlich niedriger war der Anteil der Zustimmung unter Selbstständigen (55%) und Angestellten (54%) - jeweils verschiedener Branchen. Hervorzuheben wäre noch der besonders niedrige Wert von 44% unter Rentnern/Pensionären (wobei die Fallzahl von 22 jedoch hier zu niedrig war, um eine verlässliche Aussage treffen zu können).

Werte und Meinungen

Wichtig für die Akzeptanz von Einwanderung in Deutschland ist die Analyse dessen, was die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Werten und Auffassungen zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen angeht. Wenn man etwa ein Punktesystem für die Bundesrepublik als Einwanderungsland schaffen möchte, dann stellt sich die Frage, ob die Punkte ausschließlich nach Qualifikation (in der neoliberalen Terminologie "Humankapital"4) zu vergeben sind, oder auch nach "weichen Faktoren".

Eine an den Interessen der Menschen orientierte Einwanderungspolitik sollte auch andere Aspekte berücksichtigen wie Motivation, Mentalität oder wie kurz- oder langfristig Immigranten nach Deutschland kommen möchten. Natürlich dürften solche Fragen nur absolut anonymisiert gestellt werden, um Persönlichkeitsrechte zu wahren.

Nun ist es nicht leicht, Mentalitäten quantifizierbar zu machen - und es ist auch nicht für einen kleinteiligen "Gesinnungstest" sinnvoll, denn eine Gesellschaft muss sich aus unterschiedlichen Menschen zusammensetzen. Aber als Gedankenspiel könnte man mit diesen Fragen experimentieren und sich dabei etwa an Geert Hofstede orientieren5, der nationale Mentalitätsunterschiede von Mitarbeitern des IBM-Konzerns in den 1970er-Jahren weltweit untersucht hat. Er definierte die folgenden Kategorien, um einen solchen Vergleich operationalisieren zu können:

  • Machtdistanz: Herangehensweise an Ungleichheit und Grad der Sozialhierarchien einer Gesellschaft
  • Unsicherheitsvermeidung: Wie belastend die Menschen Unsicherheiten in der Zukunft empfinden und ihr Verhalten entsprechend anpassen
  • Individualismus/Kollektivismus: Orientierung eher am Individuum oder an der Gemeinschaft
  • Maskulinität/Femininität: Art und Weise, wie Geschlechterzuschreibungen ausgeprägt sind und wie gleichberechtigt eine Gesellschaft hierin ist
  • Langzeit-/Kurzfristorientierung: Schwerpunktsetzung der Menschen eher auf Kurz- oder Langfristigkeit, auch in Bezug auf Zukunfts- oder Gegenwarts- und Vergangenheitsorientierung
  • Hedonismus/Puritanismus: Steht eher der freilassende Genuß im Vordergrund oder die Kontrolle und gesellschaftliche Normen

Diese Kategorien sind quasi generische sozio-psychologische Merkmale, die zu untersuchen es sich lohnt, wenn es darum geht, ein harmonisches Zusammenleben von bereits vor Ort lebender Bevölkerung und Zuwanderern gestalten zu können. Ergänzt werden könnten diese Kategorien in Bezug auf Einwanderung sinnvollerweise durch weitere Kategorien wie Materialismus, Fortschrittsorientierung, Altruismus, Bildungsorientierung und Toleranz/Chauvinismus/Pluralismus.

In der Befragung zeigte sich, dass Werte und Meinungen in Bezug auf Säkularität, Familie, Gleichberechtigung usw. zwischen eingewanderten Ausländern und deutschen Befragten im Großen und Ganzen sehr ähnlich waren. Nur bei den Punkten der Fortschrittsorientierung und der Haltung zu Hierarchien (Machtdistanz) zeigten sich größere Unterschiede zwischen beiden Gruppen, wobei die befragten Ausländer deutlich weniger skeptisch gegenüber den Hervorbringungen von Wissenschaft und Technik waren.

Bei der Frage nach der Haltung zu Hierarchien und hierarchischen Systemen zeigte sich, dass es maßgeblich darauf ankommt, aus welchen Ländern die Einwanderer kommen und hier keine einheitlichen Ergebnisse zu erwarten sind. Solche internationalen Mentalitätsunterschiede können im Übrigen sehr unterhaltsam auf dieser Seite verglichen werden.

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