Electric Frontier Foundation gegen die SDMI-Pläne der Musikindustrie

Und für Jaron Lanier sind nicht Raubkopierer, sondern die Konzerne das Problem

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Wired hatte letzte Woche gemeldet, daß die Musikindustrie angeblich den Plan diskutiert, von Hardware-und Software-Herstellern zu verlangen, daß sie in ihre Produkte eine Art Zeitbombe einbauen, die man dann auslösen kann, wenn der SDMI-Standard realisiert ist, um das Herunterladen und Abspielen von nicht mit diesem kompatiblen Songs zu unterbinden. Gegen die Vorhaben der Musikindustrie spricht sich jetzt auch die Electronic Frontier Foundation aus, da der geplante SDMI-Standard das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung bedrohen könnte. Und der Musiker sowie einstmaliger VR-Pionier Jaron Lanier will eine Musikerorganisation gründen, die gleichfalls gegen die Selbstbehauptungsstrategien der Musikindustrie antreten und neue Vermarktungsmodelle propagieren soll, die auf der Möglichkeit des freien Herunterladens von Songs im Web basieren.

Da das Internet immer besser dafür geeignet ist, Audiodateien zu überspielen, sieht die EFF die Gefahr, daß durch einen proprietären SDMI-Standard zur Sicherung des "geistigen Eigentums", wie ihn die RIAA schaffen will, das Kopieren aller Audiodateien zu einer Copyright-Verletzung werden könnte. Bei Audiodateien handelt es sich eben nicht nur um urheberrechtlich geschützte Musik, sondern neben Musik, die ausdrücklich frei ins Netz gestellt wird, auch um viele andere Arten von Informationen wie Radiosendungen, Telefongespräche, Aufzeichnungen von politischen Reden, Versammlungen oder anderen Mitteilungen, Werbung oder Audio-Büchern: "Audio ist ein primäres Ausdrucksmittel. 'Rede' ist Audio, und ohne freies Audio hätten wir keine Redefreiheit."

Die großen Plattenlabels, die 90 Prozent der Musik weltweit vertreiben, wollen laut EFF anstreben, daß mit ihrem geschlossenen Standard keine Geräte oder Programme kompatibel sein sollen, die ein freies Herunterladen und Abspielen von Musik ermöglichen. Schon 1992 habe die Musikindustrie ein Gesetz durchgebracht, das die Herstellung von digitalen Audiorecordern unter Strafe stellt, die Audiodateien so kopieren wie Kopiergeräte Texte oder Bilder vervielfältigen können. Am liebsten würde man jetzt eine gesetzliche Grundlage dafür schaffen, sagt EFF, das offene Vertreiben von Audiodateien im Internet zu verbieten: "Diese Gruppe an Musikfirmen scheint den Versuch zu machen, alle offenen Formate zu beseitigen oder obsolet zu machen, den Wettbewerb und die Wahlmöglichkeiten der Benutzer im Markt auszuschalten." Die EFF will sich nicht gegen Systeme aussprechen, die den Vertrieb über das Internet sicherstellen und eine automatische Bezahlungsform etablieren, aber verhindert werden sollen Vertriebsmethoden, die freie Formate behindern oder gar unterbinden. Die Technik sollte nicht die Freiheit einschränken, Audiodateien für den privaten Gebrauch zu kopieren, und die Konzerne sollen Abstand davon nehmen, jede digitale Aufzeichnungen eigentlich schon als Verletzung des Urheberrechts zu betrachten. Grundlage für digitale Audio-Systeme müßte eine offene Architektur sein, die ausdrücklich die Stärkung des individuellen Ausdrucks erlaubt und so das Grundrecht auf Redefreiheit nicht einschränkt.

Pläne, wie man gegen die Pläne der Musikindustrie vorgehen will, sollen während des ersten Treffens des Consortium for Audiovisual Free Expression am 25. Mai besprochen werden. Die EFF fordert, daß die Benutzer das Recht haben sollen, eine CD auf eine Kassette oder ein SDMI-Format auf ein MP3-Format zu kopieren. Die Klagen der RIAA gegen Diamond Multimedia wegen des tragbaren Rio zum Abspielen von MP3-Dateien und gegen Lycos wegen des Angebots einer spezifischen MP3-Suche, verstoßen nach EFF gegen die Prinzipien der Redefreiheit. EFF ist der Meinung, daß sich die Konsumenten, wenn sie die Wahl hätten, "für den Erwerb von Musik in offenen Formaten entscheiden würden. Wir glauben, daß Künstler, daß Künstler, deren Werke in offenen Formaten vertrieben werden dürfen, Wettbewerbsvorteile vor solchen haben würden, die ihre Werke einschließen."

Piracy is your friend

Ähnlich, wenn auch radikaler ist die Kritik von Jaron Lanier am Kampf der Musikindustrie gegen Raubkopien und für einen sicheren Standard. In einem Manifest für Musiker, die in der neuen Ökonomie Geld verdienen wollen, behauptet er, daß das ganze Gerede von den Verlusten durch Raubkopien nur ein Mittel der Plattenfirmen sei, um die Künstler weiter auszubeuten und die Kontrolle über die neuen digitalen Musikkanäle zu erlangen. Raubkopien habe es schon immer gegeben, und die Möglichkeit, kostenlos Musik hören zu können, sei auch die Voraussetzung, Musikstücke bekanntzumachen und verkaufen zu können. "Piracy is your friend", behauptet Lanier, zumal viele Menschen aus Bequemlichkeit, Ehrlichkeit oder Zeitnot sich trotz der schon lange bestehenden Möglichkeit, etwa Songs vom Radio oder Fernsehen kopieren zu können, auch weiterhin CDs kaufen würden.

Für Lanier sind nicht die Raubkopierer, sondern die Plattenfirmen das Problem für die Musiker, an die sie auch ihr Geld verlieren, wenn sie nichts für die Musiker machen. Bislang seien sie notwendig gewesen, um Musik zu finanzieren, aufzunehmen, zu vertreiben und zu vermarkten oder um Werbung zu machen: "Aber im digitalen Zeitalter kostet es nichts mehr, die Musik über das Internet an einen Fan zu schicken. Daher fällt der größte Daseinsgrund für Plattenfirmen weg." Und über all den Klagen wegen der Raubkopierer würden die Konzerne überdies die Möglichkeit des Internet verschlafen, zumal es keine bombenfeste Sicherung gegenüber Raubkopierern gibt: "Sie können Raubkopieren nicht verhindern. Niemand kann das. Ich kenne mich bei Computern so gut wie jeder andere auf dieser Welt aus, und ich versichere, daß Kids, die Musik lieben, immer einen Weg finden werden, um jeden Kopierschutz zu knacken, den sich die Industrie ausdenken wird. Und die Industrie weiß dies auch." Ganz im Gegenteil, meint Lanier, werde das Problem der Raubkopien abnehmen, je einfacher es sei, Musik zu kopieren. Die Profis würden dadurch nur ihren Markt verlieren.

Die einzigen Raubkopierer wären dann noch die Fans - und da gäbe es doch viele Möglichkeit, an diesen Geld zu verdienen. Und das will die Musikorganisation unter Umgehung der Plattenfirmen mit "großen neuen Technologien und Vermarktungsstrategien" realisieren, über die Lanier allerdings nicht mehr verrät als das Versprechen, damit mehr als mit Verträgen mit Plattenfirmen zu verdienen. Man werde die Fans achten und sie nicht wie Kriminelle behandeln. Die Musiker sollten sich jedenfalls nicht überstürzt in Verträge einbinden lassen, die ihnen alle Rechte für das Internet nehmen: "Selbst wenn ihr denken solltet, daß wir verrückt sind, so sichert euch wenigstens die Rechte an euren Email-Listen, Websites und Webcastings."