Goliath gegen David

Die Musikindustrie, MP3 und das Internet

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Das "geistige Eigentum" ist zwar in der Wissensgesellschaft die einträglichste Ressource, aber sie ist es nur, wenn sie sich auch an die neuen Vertriebswege anpaßt, was auch heißt, daß man gelegentlich im Hinblick darauf, wie Gewinne erzielt werden, umdenken muß. Diesen schmerzlichen Weg durchläuft gerade die Musikindustrie, die von MP3 und dem Internet herausgefordert wird. Plötzlich steht sie mit ihrer Art der Sicherung und Vermarktung des "geistigen Eigentums" im Zeitalter der Bits und Bytes mehr oder weniger mit leeren Händen da und versucht nur, möglichst den Besitzstand zu wahren, anstatt neue Wege zu finden.

Mit der Einstellung, daß Surfen wie Schwarzfahren sei, wird man allerdings in einem Medium nicht kommen, das weit mehr als alle anderen auf offene Zugänglichkeit und auf freien Programmen, die zu Standards wurden, aufbaut. Selbst die Softwarebranche, bislang auf der Gewinnerseite, sieht sich in Internetzeiten zunehmend mehr unter Druck, mit ihren Produkten anders umzugehen, möglicherweise, wie selbst Microsoft überlegt, den Quellcode oder Teile desselben freizugeben oder das Geschäft von der Software auf andere Einkommensquellen zu verlagern.

Die Musikindustrie jedenfalls kämpft noch gegen MP3 und das Internet mit dem Versuch an, mit der bislang nur theoretisch existierenden Secure Digital Music Initiave eine wasserzeichendichte Sicherung ihres Eigentums zu erfinden, die das unbezahlte Kopieren ähnlich verhindert wie die Terminatortechnik in der Gentechnologie. Aber es wird zumindest in nächster Zeit keinen absoluten Kopierschutz geben, und wahrscheinlich ist die Musikindustrie mit ihrer mächtigsten Organisation, der RIAA, sowieso nur der irrigen Meinung, daß jeder kostenlos kopierten Version eines Songs ein verlorener Gewinn entspricht. Das Internet läßt sich darin durchaus mit Radio oder Fernsehen vergleichen. Trotz Video- und Audio-Aufnahmen wurden wahrscheinlich nicht signifikant weniger CDs - früher Schallplatten - verkauft, sieht man einmal von den Abgaben an die Gema ab. In der Wissensgesellschaft, die von der Aufmerksamkeitsökonomie regiert wird, sind Veröffentlichungen Teil des Erfolgs, der nur mit zu strengen Sicherungen gefährdet werden würde. Ganz einfach: was man nicht kennt und keine Aufmerksamkeit gefunden hat, kauft man in aller Regel auch nicht, und die Trägheit der Menschen führt überdies dazu, daß sie nicht alles selber machen wollen, auch wenn sie dies könnten, sondern durchaus auch fertige Produkte kaufen, wenn dies in einem angemessenen Verhältnis zu ihrer verfügbaren Zeit und ihrem Einkommen steht.

Die RIAA träumt jedoch immer noch von einem eigenen, in ihrem Sinne gesicherten Internetstandard, anstatt den bislang einzigen Standard MP3 aufzugreifen, während die Hardware-Firmen durchaus das Geschäft etwa in Form von MP3-Playern sehen. Wie Wired von einem Teilnehmer des letzten SDMI-Treffens in London erfahren haben will, der allerdings anonym bleiben wollte, wurde dort von einem Komitee angeblich ein neuer Plan diskutiert, der eher die Verzweiflung der rückwärts Gerichteten als deren Macht zum Ausdruck bringt. Die Befürworter des SMDI-Standards wollen von Hardware-und Software-Herstellern verlangen, daß sie in ihre Produkte eine Art Zeitbombe einbauen, die man dann auslösen kann, wenn der SDMI-Standard realisiert ist, um das Herunterladen und Abspielen von nicht mit diesem kompatiblen Songs zu unterbinden. Welcher Hersteller sich weigert, diese Möglichkeit des Umschaltens einzubauen, dem würde kein Zugang zu den SDMI-Spezifikationen und auch zu der von den großen Konzernen produzierten Musik gewährt werden.

Bis dahin allerdings wird es noch mehr Formate geben und es ist ziemlich sicher, daß die Allianz bröckeln wird. Als eine der ersten großen Plattenfirmen hat Universal bereits angekündigt, bis Ende des Jahres Musik über das Internet zu vertreiben. Zusammen mit InterTrust will man ein Distributionssystem entwickeln, das sicherstellt, daß die heruntergeladenen Musikdateien nur gehört werden können, wenn für sie auch bezahlt worden ist. Man wird also trotz dieser möglichen Drohung wahrscheinlich relativ gelassen zusehen können, wie das Internet und seine Ökonomie auch die alten Industrien des "geistigen Eigentums" umstrukturiert und neue Player ins Feld bringt.