Emil und der Menschenhelfer
Geschichte einer Verstrickung 7
Mit Der alte und der junge König, dem ersten ganz groß aufgezogenen Propagandafilm des Dritten Reichs, gelang Emil Jannings ein Neustart seiner ins Stocken geratenen Leinwandkarriere. Hans Steinhoff stieg mit diesem Werk über die Erschaffung Friedrichs des Großen als Pflichterfüllungs- und Autoritätsmonster zu einem der Starregisseure des NS-Kinos auf. Heute nähern wir uns der nächsten Zusammenarbeit von Steinhoff und Jannings, dem mit Preisen und Prädikaten überhäuften Robert Koch, der Bekämpfer des Todes. Indem er vorgibt, vom Leben eines deutschen Forschers zu erzählen, vermittelt der Film die Normen einer autoritären, ihrem Wesen nach destruktiven Ideologie. Die Geschichte kreist um die Vorstellung von einer homogenen Volks- und Schicksalsgemeinschaft, deren "Gesundheit" durch äußere Faktoren bedroht ist. Angesichts von Politikern, die den Begriff völkisch "wieder positiv" besetzen wollen, während Parteikollegen vor Gefahren für den "Volkskörper" warnen, ist das leider sehr aktuell.
"Gestern früh habe ich ihn schmerzlos erlöst. Schwester Maria, war es nicht schön?"
Dr. Terstegen in Sendung und Gewissen von Hellmuth Unger
Durchstoß zum nationalen Großfilm
Nach einer ersten Prüfung durch die FSK im März 1950 und der Streichung von der Verbotsliste der Alliierten wurde der 1939 uraufgeführte Robert Koch, der Bekämpfer des Todes mit Schnittauflagen wieder zugelassen. Er war einer von vielen Spielfilmen aus der NS-Zeit, die Anfang der 1950er zurück in die Kinos kamen, weil die gerade erst anlaufende deutsche Nachkriegsproduktion nicht in der Lage war, den Bedarf zu decken. Die heute auf DVD verfügbare, bei der zweiten FSK-Prüfung im Dezember 1983 ab 6 Jahren freigegebene Fassung ist ungekürzt. Doppelt so alt muss sein, wer nicht die Einzel-DVD erwirbt, sondern die 3er-Box "Die besten deutschen Ärzte-Filmklassiker", weil da neben Sauerbruch - Das war mein Leben (FSK 6) auch der ab 12 Jahren freigegebene Paracelsus von G. W. Pabst mit dabei ist.
Zur Information für Kaufinteressierte: Sauerbruch ist ein reaktionärer Arztfilm von 1954, basierend auf den in der Illustrierten Revue erschienenen Memoiren des großen Chirurgen. Die Episodenstruktur hilft ebenso beim Bewältigen der Vergangenheit (Unangenehmes wird weggelassen) wie der Kniff, das Gewesene in sein Gegenteil zu verkehren. In Adenauers Deutschland kam das gut an. Paracelsus ist von 1942/1943 und als Nachfolgefilm des Kassenschlagers Robert Koch konzipiert. Werner Krauß, in Robert Koch noch der Gegenspieler des Helden, darf hier die Titelrolle übernehmen und gegen die Pest und einen jüdischen Geldsack kämpfen wie vorher Jannings gegen die Tuberkulose und ihre Erreger. Mit den "besten deutschen Ärzte-Filmklassikern" in der DVD-Box hat man eine ziemlich toxische Mischung für uns eingepackt. Mehr dazu vielleicht ein andermal. Hier soll es jetzt um Robert Koch, der Bekämpfer des Todes gehen. Bekämpft wird da nur das Leben. Kindern würde ich diesen widerlichen Film bestimmt nicht zeigen. Aber ich bin auch kein Jugendschutzexperte aus einem der Prüfgremien der FSK.
Warum also die Freigabe ab 6 Jahren? In der Begründung, denkt man sich, müsste etwas in der Art stehen: "Wir, die Mitglieder des Prüfausschusses, sind uns bewusst, dass Robert Koch zur Gruppe der in propagandistischer Absicht produzierten ‚Geniefilme’ des Dritten Reichs gehört. Wir sind aber zu der Überzeugung gelangt, dass die im Film enthaltenen Propagandaelemente extrem zeitgebunden sind und von einer damals intendierten Wirkung nichts mehr festzustellen ist, weil …". Nichts davon. Ein mögliches Vorhandensein von NS-Propaganda wird mit keinem Wort erwähnt. Wieder einmal bin ich in einer Parallelwelt unterwegs. Meiner Meinung nach reichen die ersten zehn Minuten völlig aus, um auf nachvollziehbare Weise zu begründen, warum man Kindern diesen Film, der noch gruseliger ist als Der alte und der junge König, nicht zeigen sollte. Und da ist man noch nicht einmal beim Hauptthema angelangt, bei der Entdeckung des Tuberkuloseerregers (und den ideologischen Implikationen).
Bei der "Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft" ist es so wie bei der "Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien": Man trifft auf freundliche und kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die einem zuverlässig weiterhelfen, wenn man ein - im Rahmen der Bestimmungen - "berechtigtes Interesse" hat. Bei der Anforderung der Prüfunterlagen der FSK muss man eine Verpflichtungserklärung mit sechs Punkten unterschreiben. Grundfalsch ist die Annahme, dass man brisantes Material erhalten würde, nur weil man sich als "Daten-Informationsempfänger" verpflichtet, die geheimen Unterlagen "vor unbefugtem Zugriff" zu schützen (Punkt 3). Üblicherweise ist das, was man da empfängt, an Banalität kaum zu übertreffen.
"Lange Zitate sind möglichst zu vermeiden" (Punkt 4). Ich vermeide also und zitiere nur das Wesentliche, im Telegrammstil: "Biographie" - "Entdecker des Tuberkelbazillus" - "begnadeter Arzt und genialer Forscher" - "wissenschaftliche Neuentdeckungen" - "Ehre und Anerkennung" - "medizinische Wahrheit triumphiert" - "Ergebnis: freigegeben ab 6 (sechs) Jahren". Ich musste nicht viel weglassen (13 Wörter), denn mehr steht in der Begründung, die eher eine dubiose Inhaltsangabe ist, nicht drin. Wenn man das liest könnte man glauben, es handele sich um eines dieser mehr oder weniger historisch korrekten und durch die Kitschmühle gedrehten "TV-Events" über das Leben bedeutender Persönlichkeiten, mit denen deutsche Fernsehanstalten ihr Publikum in den Schlaf wiegen. Robert Koch, der Bekämpfer des Todes ist aber ein geradezu exemplarischer NS-Propagandafilm.
Er appelliert an die Opferbereitschaft der deutschen Jugend und diente dazu, das Publikum auf den Krieg einzustimmen. Zwischen dem Abschluss der Dreharbeiten Ende Juni 1939 und der Deutschlandpremiere am 26. September marschierte die Wehrmacht in Polen ein. Die große Bedeutung, die Goebbels dem Tuberkulosedrama beimaß, erkennt man schon am Budget. Mit Produktionskosten von etwas mehr als zwei Millionen Reichsmark war Robert Koch der teuerste Film des Jahres. Bei einer internen Vorführung sah der Propagandaminister "ein fabelhaftes Kunstwerk", fand Krauß und Jannings "ganz hervorragend" und war "so glücklich über diese Leistung" (Tagebuch, 29.7.1939). Später, bei der Kriegstagung der Reichsfilmkammer im Dezember 1941, rühmte er den "Durchstoß zum nationalen Großfilm", der mit dem Bekämpfer des Todes endlich stattgefunden habe.
Dem Führer hat’s gefallen
Im August 1939 reiste Goebbels in Begleitung seiner Frau Magda, seines für die Beaufsichtigung der Presse zuständigen Staatssekretärs Otto Dietrich (zugleich "Pressechef der Reichsregierung") und von 42 deutschen Journalisten zu den Filmfestspielen von Venedig, wo er von Dino Alfieri, Mussolinis Minister für Volkskultur, mit faschistischen Ehrenformation und dergleichen mehr empfangen wurde (die Angaben entnehme ich dem Buch von Horst Claus, der mit Filmen für Hitler eine sehr empfehlenswerte Steinhoff-Biographie geschrieben hat). Unter Alfieris Mitwirkung hatte Italien judenfeindliche Gesetze auf den Weg gebracht, die sich an den Nürnberger Rassegesetzen orientierten. Robert Koch lief als Eröffnungsfilm. "Triumph für Deutschland!", notierte Goebbels in sein Tagebuch (9.8.), und die deutsche Presse teilte hinterher den Volksgenossen mit, dass der deutschen Filmkunst ein triumphaler Erfolg gelungen sei. Goebbels beglückwünschte den ebenfalls angereisten Hans Steinhoff vor dem versammelten Premierenpublikum, und Steinhoff sagte lobende Worte über Emil Jannings, der zuhause geblieben war, um seinen nächsten Film zu drehen.
Hitler, der gerade vom Berghof aus führte und sich gern mit Robert Koch verglich, versicherte den Künstlern in Glückwunschtelegrammen, wie sehr das Werk auch ihm gefallen habe. Jannings telegraphierte zurück, dass ihn die Glückwünsche des Führers mit Kraft und "stolzer Freude" erfüllt hätten und ihm ein Ansporn seien, weiter an der "Weltgeltung" des deutschen Films zu arbeiten. Der Hitler-Bewunderer Steinhoff antwortete handschriftlich mit "Sieg Heil", fühlte sich mindestens so angespornt wie Jannings und versprach, "in ernster Arbeit den Weg weiter zu gehen, den der Hitlerjunge Quex, der Alte und der junge König und der Professor Koch [sic] vorzeichnet". Zur Untermauerung der "Weltgeltung" war eine Auszeichnung in Venedig nicht schlecht. Die internationale Jury konnte aber nicht wie geplant zusammenkommen, weil inzwischen der Krieg begonnen hatte. Alfieri war der Ansicht, dass es trotzdem Preise geben müsse, und zwar auf Grundlage der nach den Vorführungen geäußerten Expertenmeinungen. Resultat dieses garantiert völlig unvoreingenommen ermittelten Stimmungsbildes: An Robert Koch ging die Coppa Mussolini für den besten ausländischen Film.
Im NS-Staat erhielt Der Bekämpfer des Todes alle Prädikate, die das Propagandaministerium zu vergeben hatte: staatspolitisch besonders wertvoll, künstlerisch besonders wertvoll, kulturell wertvoll, volkstümlich wertvoll, jugendwert. Als "Film der Nation" wurde er nur deshalb nicht ausgezeichnet, weil es dieses Prädikat damals noch nicht gab. Am 24. September brachte der Deutschlandsender ein Making of im Radioformat: ein Interview mit Hans Steinhoff wurde mit Dialogpassagen aus dem Film mit Emil Jannings und Werner Krauß ergänzt. Dem folgte im Großdeutschen Rundfunk die Uraufführung eines "Hörwerks um Robert Koch" mit dem Titel Ein Mann bekämpft den Tod, das in der Woche darauf von allen Reichssendern übernommen wurde. Am 25. September gab es eine große Reportage über den Film, am 26. ein Interview, und an diesem Tag feierte man auch die Deutschland-Premiere im Berliner Ufa-Palast am Zoo. Tags darauf verbreitete sich Jannings im Rundfunk zum Thema "Robert Koch und wir".
Dann kam der mit einem großzügigen Werbeetat ausgestatte Film in einer überdurchschnittlich hohen Zahl von Kopien in die deutschen Kinos, flankiert von hymnischen Kritiken. Parallel dazu erschienen Artikel über einige Personalakten Robert Kochs (aus seiner Zeit in der Provinz Posen), die deutsche Truppen als "polnisches Raubgut" in Warschau sichergestellt hatten und die nun, nach dem siegreichen Abschluss des Polen-Feldzuges, nach Berlin gebracht wurden (wenn das kein Grund war, den Zweiten Weltkrieg anzufangen). Das alles zahlte sich aus. "Der Robert-Koch-Film", meldete der Sicherheitsdienst der SS im Dezember 1939 in einem geheimen Lagebericht, "ist zu einem positiven Erlebnis fast des ganzen Volkes geworden." Nach 18 Monaten hatte das Tuberkeldrama allein im Inland über 4,3 Millionen Reichsmark eingespielt, mehr als das Doppelte der Produktionskosten.
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