Ende für die "revolutionären Märtyrer"

Chinas Staatsrat will nun nicht mehr nur Soldaten oder Parteigenossen, sondern alle Menschen, die im Dienste des Staates oder der Gemeinschaft gestorben sind, als Märtyrer ehren

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Das Märtyrertum wurde im islamischen Extremismus, im palästinensischen Befreiungskampf oder bei den Tamilen seit einiger Zeit mit dem Selbstmordattentat verbunden. Aber Märtyrer, die im Kampf zur Verteidigung der Nation, der Religion oder anderer Werte gestorben sind, werden in vielen Kulturen und Gesellschaften geehrt. So auch im kommunistischen China, das nun aber beschlossen hat, die künftig zu Märtyrer ernannten Helden der Gesellschaft nicht mehr mit dem Attribut "revolutionär" auszustatten.

Mit einem Märtyrerkult ist die Religion entstanden, deren Sinnbild der Gekreuzigte ist: das Christentum. Die Christen, die anfangs nicht nur verfolgt wurden, sondern sich auch in den Märtyrertod in der Nachfolge Christi stürzten, kämpften um ihren Glauben, gleichzeitig aber auch politisch gegen das römische Imperium, dem sie sich nicht unterwerfen wollten. Als die Kirche sich schließlich etablierte und das Christentum zur Staatsreligion wurde, suchte man den Wunsch, möglichst schnell durch das Märtyrertum selig zu werden, zu dämpfen. Immer noch werden aber Märtyrer in den christlichen Kirchen geehrt, der Papst spricht regelmäßig Märtyrer selig und Missionare berichten von Zehntausenden von Märtyrern, die jährlich wegen ihres Glaubens getötet würden.

Märtyrer sind nicht nur eine kaum besiegbare Allzweckwaffe gegen ein feindliches System, sie werden auch staatserhaltend instrumentalisiert, schließlich opfern sie ihr Leben für das höhere Gut oder die Gemeinschaft. Das ist auch so bei den Selbstmordattentätern, die ausgeschickt werden oder ausziehen, um mit ihrem Selbstmord möglichst viele andere Menschen mit sich zu ziehen und Angst und Schrecken zu verbreiten. Die Gemeinschaft, aus der sie kommen, verbindet ihr Opfer, das einen Zwangszusammenhang der Verpflichtung und Schuld herstellt.

Das war auch die Erbschaft der Kommunistischen Partei Chinas, die aus dem Kampf um die Macht entstand und die man noch lange auf dem Weg in eine kapitalistische Wirtschaft mit zentraler Parteiführung weiter geführt hat. Seit 1980 konnten nicht nur Soldaten, sondern auch andere Staatsangestellte den Titel erwerben. Noch letzten Monat wurden drei Elektriker zu "revolutionären Märtyrern" ernannt, die starben, als sie Leitungen zu reparieren versuchten, die während der Schneestürme unterbrochen wurden. "Revolutionäre Märtyrer" – 340.000 gibt es in China - werden nicht nur geehrt, sondern ihre Familien erhalten auch Geld und anderweitige Unterstützung.

Nach einem Entwurf des Staatsrats, der zur Diskussion vorgelegt wurde, sollen nun auch staatstragende Menschen, die nicht dem Staat oder der Partei angehören und als "öffentlich anerkannte Helden" sterben, in den Stand von Märtyrern erhoben werden. Auch wer im Kampf gegen Kriminalität, für die nationale Sicherheit, im Katastropheneinsatz oder sogar beim Schutz "staatlichen und kollektiven Eigentums oder des Lebens und Eigentums von Bürgern" stirbt, kann in den Genuss der Auszeichnung kommen. Dazu gehören auch Menschen, die an der Front oder bei der Katastrophenhilfe vermisst werden. Dass ausgerechnet der Schutz des Privateigentums den Märtyrerstatus mitbringen soll, mag durchaus als Ironie der kommunistischen Geschichte gewertet werden können.

Das nützt zwar dem Märtyrer nichts mehr, aber seinen Hinterbliebenen, zumindest wenn sie zu den gering Verdienenden gehören, die womöglich dann geehrt werden, wenn sie das Eigentum von Parteibonzen verteidigen. Die Familien der Märtyrer sollen aber höhere Auszahlungen erhalten. Einmal soll es eine einmalige Abfindung in Höhe von etwa 35.000 US-Dollar (das 15Fache des durchschnittlichen Jahreseinkommens von Chinesen) geben, dazu kommen höhere Renten und Förderungen bei der Arbeit, Ausbildung oder Gesundheitsversorgung.

Der wohl bekannteste Märtyrer der letzten Jahrzehnte war Lei Feng, der 1962 bei einem Unfall starb und noch von Mao als Vorbild für alle Chinesen gepriesen wurde (Chinesischer Volksheld als Online-Spiel). Zuletzt wurde der Kampfpilot Wang Wei mit Lei Feng verglichen und zu einem Nationalhelden erklärt. Nach dem Antritt der Bush-Regierung spitzte sich zunächst einmal der Konflikt zwischen den USA und China zu, der nur für einige Jahre durch die Anschläge vom 11.9. und die Folgen gedämpft wurde. Wang ist vermutlich nach einer Kollision mit einem US-Spionageflugzeug am 1. April 2001 abgestürzt und wurde vom damaligen Präsidenten Jiang Zemin als "Schützer der Meere und der Lüfte" geehrt, im staatlichen Fernsehen hieß es, er habe sein Leben "als erhabenen Triumphgesang des Patriotismus und des revolutionären Heroismus" verwirklicht (Update: Massenandrang an virtuellem Grab).

Das Spionageflugzeug musste danach eine Notlandung in China ausführen, was zu erheblichen Spannungen führte. Angeblich wurden alle Geräte und Daten zerstört, bevor chinesische Soldaten in das Innere des Flugzeugs zugelassen wurden. Der Tod des chinesischen Kampfpiloten entfachte nicht nur den chinesischen Nationalismus gegenüber der kapitalistischen Supermacht, er führte auch zu Auseinandersetzungen von Hackerm) und sollte in einen mit großer Medienaufmerksamkeit angekündigten "Cyberwar", auch "World Cyberwar I", münden (Banges Warten auf den Cyberwar ....), der aber dann doch nicht stattfand. Dafür kam der 11.9. …