Erdgas: Habeck ruft Alarmstufe des Notfallplans aus (Update)
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Angespannte Lage auf den Gasmärkten, weniger Gas aus Russland, ein "ökonomischer Angriff Putins auf uns" - Habeck spricht von einer ernsten Lage. Kohlekraftwerke sollen wieder ans Netz.
"Wir sind in einer Gaskrise“, statuierte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck heute auf einer Pressekonferenz. Es liege eine "Störung der Gasversorgung" vor. Daher sei der Schritt, die zweite Eskalationsstufe im Notfallplan Gas auszurufen, erforderlich.
Der erste Schritt, die sogenannte Frühwarnstufe, des Notfallplans war vom Wirtschaftsministerium Ende März ausgerufen worden. Der dritte ist die "Notfallstufe". Dann würde der Staat reglementierend in die Regelung der Gas-Versorgung und in den Markt eingreifen. Aber schon Stufe zwei hat Konsequenzen auf dem Markt und zwar genau in dem Bereich, den Habeck beklagt: "Gas ist von nun an ein knappes Gut. Die Preise sind jetzt schon hoch, und wir müssen uns auf weitere Anstiege gefasst machen."
Laut Handelsblatt hat der Gaspreis nach Bekanntgabe der deutschen Maßnahme an der niederländischen TTF-Börse weiter zugelegt. Der Preis für eine Megawattstunde (MWh) Erdgas in einem Future-Kontrakt für Juli habe gestern noch 126 Euro gekostet und sei jetzt auf 133 Euro geklettert. Zum Vergleich: Vor einem Jahr habe der Preis für eine MWh Erdgas noch bei 20 Euro gelegen.
Als Begründung für die Ausrufung für die Alarmstufe führt das Bundeswirtschaftsministerium das "hohe Preisniveau am Gasmarkt" an und "die seit dem 14. Juni 2022 bestehende Kürzung der Gaslieferungen aus Russland".
Die Lage sei ernst, so Habeck. Zwar beruhigt der Minister von den Grünen: Die Versorgungssicherheit sei garantiert. Aktuell könnten noch Gasmengen am Markt beschafft werden und es werde auch noch eingespeichert, aber es liege ein "steiniger Weg vor uns". Die Drosselung der Gaslieferungen bezeichnete er einen "ökonomischen Angriff Putins auf uns". Es sei "Putins Strategie, Unsicherheit zu schüren, die Preise zu treiben und uns als Gesellschaft zu spalten. Dagegen wehren wir uns."
Die derzeitige Lage beschreibt das Wirtschaftsministerium so:
"Zwar sind die Gasspeicher mit 58 Prozent stärker gefüllt als im Vorjahr. Doch sollten die russischen Gaslieferungen über die Nord Stream 1-Leitung weiterhin auf dem niedrigen Niveau von 40 Prozent verharren, ist ein Speicherstand von 90 Prozent bis Dezember kaum mehr ohne zusätzliche Maßnahmen erreichbar. Dies zeigen Berechnungen der Bundesnetzagentur. Damit liegt aktuell eine Störung der Gasversorgung vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt; die Ausrufung der Alarmstufe ist daher notwendig. Die europäischen Partner wurden über den Schritt informiert."
Eine Konsequenz, die Diskussionen über die "Weiter so"-Momente in der Klima-Politik weiter anheizen dürfte, ist, dass infolge der verkündeten Alarmstufe stillgelegte Kohlekraftwerke wieder in Betrieb gehen sollen.
Auch die Lesart, dass allein Russland für den Rückgang der Gasversorgung über die Ostseepipeline Nord Stream 1 verantwortlich ist, wird nicht allerseits so gesehen (siehe dazu weiter unten im Artikel) und dürfte für Debatten sorgen.
Energieversorgung: Wie die Gasspeicher gefüllt werden sollen
Erdgas wird in Deutschland zunehmend zu einem raren Gut und es muss damit gerechnet werden, dass sein Preis in der nächsten Zeit noch weiter ansteigen wird. Ob das Land gut über den Winter kommen wird, ist bislang auch noch offen: Die Gasspeicher sollen bis zum November zu 90 Prozent gefüllt sein, doch aktuell wird deutlich weniger Gas nach Deutschland geliefert als geplant.
Am Sonntag hatte sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im ZDF-"heute journal" zuversichtlich gezeigt, dass die Versorgung für den kommenden Winter sichergestellt werden könne. Durch Einkäufe und durch Sparsamkeit solle der anvisierte Füllstand erreicht werden.
Es sei "eine Art Armdrücken", sagte Habeck, bei dem der russische Präsident Wladimir Putin zunächst den längeren Arm habe. "Aber das heißt nicht, dass wir nicht durch Kraftanstrengung den stärkeren Arm bekommen könnten."
Mit dieser Aussage suggerierte Habeck, dass hinter dem gedrosselten Gasfluss eine politische Entscheidung der russischen Regierung stehen könnte. Doch die Probleme sind auch selbstgemacht.
Einmal kommt weniger Erdgas über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1. Die russische Seite begründet das mit einer fehlenden Gasturbine in der Kompressorstation Portovaya in der Nähe von St. Petersburg. Siemens Energy hatte sie in Kanada gewartet, doch nun hängt sie dort wegen der westlichen Sanktionen fest.
Aber auch ein Brand in den USA schränkt die weitere Gasversorgung Deutschlands und Europas ein. Bis das texanische Exportterminal von Freeport wieder arbeiten kann und verflüssigtes Erdgas (LNG) nach Europa bringen kann, wird noch einige Zeit dauern. Bis Ende des Jahres soll die Arbeit des Terminals wieder halbwegs laufen.
Der russische Energiekonzern Gazprom liefert zwar momentan weniger – doch seine Einnahmen werden davon kaum beeinträchtigt. Nach Berechnungen, die das Handelsblatt in Auftrag gegeben hatte, nahm Gazprom am Freitag letzter Woche rund 180 Millionen Euro mit Gaslieferungen nach Europa ein. Eine Woche zuvor seien es 185 Millionen Euro gewesen. Die Liefermenge sank demnach in diesem Zeitraum um mehr als 30 Prozent, die Einnahmen dagegen nur knapp drei Prozent.