Erneuter Börsensturz trotz Zinssenkungen und Rettungsplänen

Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg werden die Wirtschaftsleistungen der Industriestaaten über ein Jahr schrumpfen, kündigt der IWF an

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Barack Obamas siegreicher Wahlslogan prallt an den an den US-Börsen ab. "Yes, we can", ist kein Spruch, der dort für gute Stimmung sorgen kann. Im Gegenteil: Die Indizes in New York verzeichneten ihre größten prozentualen Verluste an zwei aufeinander folgenden Tagen seit mehr als 20 Jahren. In Europa stürzten die Kurse am Donnerstag noch stärker ab, besonders stach die Frankfurter Börse hervor. Der Leitindex Dax fiel um fast 7 %. Die Angst vor der weltweiten Rezession wiegt schwer. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat erneut seine Prognosen für 2009 nach unten korrigiert. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wird die Wirtschaft fast aller Industrieländer schrumpfen, meint der IWF. Leitzinssenkungen der Zentralbanken, die in Großbritannien mit 1,5 % drastisch ausfiel, sind sofort verpufft.

Nach der Party kommt der Kater. Und nach den emotionalen Aufwallungen über den Wahlsieg von Barack Obama Die USA sind multikulturell geworden) bricht sich nun wieder die Realität Bahn. Und die sieht schlecht aus. So korrigierte der Internationale Währungsfonds am Donnerstag in Washington seinen Wachstumsausblick nach nur einem Monat für das kommende Jahr noch einmal deutlich nach unten. Nun geht der IWF davon aus, dass die Wirtschaft 2009 global nur noch um 2,2 % wachsen werde. Noch im Oktober wurden viel zu positiv 3 % prognostiziert (Alle Zeichen weisen auf eine weltweite Rezession hin). Nun sind die eigenen Kriterien erfüllt, damit der IWF von einer globalen Rezession sprechen kann, wonach das Wirtschaftswachstum weltweit unter 3 % fallen muss. Für 2008 hofft der IWF, dass das Wachstum noch 3,7 % betragen werde.

Vor allem die Ökonomien der Industriestaaten werden schrumpfen. Hatte der IWF noch im Oktober prognostiziert, die Wirtschaftsleistung in den entwickelten Ländern würde trotz Finanzkrise auch 2009 insgesamt noch um 0,5 % wachsen, geht er nun davon aus, dass sie um 0,3 % schrumpfen wird. "Die Aussichten für die Weltwirtschaft haben sich im vergangenen Monat deutlich verschlechtert", begründete der IWF-Chefökonom Olivier Blanchard das schnelle Update der Prognose. So müssten sich die USA im kommenden Jahr auf ein schrumpfendes Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 0,7 % einstellen. Offiziell mussten die USA schon im dritten Quartal einräumen, dass das BIP um 0,3 % gesunken ist, weshalb schon 2008 von einer Rezession in den USA gesprochen werden kann, weil der BIP im letzten Quartal wieder schrumpfen wird. Wegen der steigenden Arbeitslosigkeit und nachlassenden Investitionen werde der Konsum noch weiter zurückgehen. "Die Stimmung der Konsumenten und Produzenten hat sich verschlechtert", fügte Blanchard an. Die Zahl der Arbeitslosenhilfeempfänger erreichte den höchsten Stand seit 25 Jahren.

Es könnte nach dem IWF noch bislang unentdeckte Minen geben

Während sich die Wirtschaftsleistung im Euroraum um 0,5 % verringere, falle das Minus in Deutschland mit 0,8 % überdurchschnittlich hoch aus. Noch kürzlich hatte der IWF für Deutschland ein so genanntes Nullwachstum für 2009 prognostiziert. Noch schlimmer geht der IWF mit Großbritannien ins Gericht. Dem Land, in dem wie in den USA eine Immobilienblase geplatzt ist, sagt der IWF ein Minus von 1,3 % voraus. Die Ausnahme unter den Industrieländern sei Kanada. Der IWF erwartet, dass auch 2009 die Wirtschaftsleistung dort um 0,3 % wachsen wird. Doch solch ein synchroner Abschwung wurde zuletzt nach der Ölkrise Anfang der 1980er Jahre verzeichnet. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg werde die Wirtschaftsleistung der Industriestaaten über ein gesamtes Jahr hinweg schrumpfen, prophezeit der IWF.

Er machte auch deutlich, dass es sich auch bei dieser Prognose noch um ein Positivszenario handelt, denn es gebe zusätzliche Risiken, welche die Entwicklung noch negativer beeinflussen könnten. Damit sprach der IWF-Chefökonom die unsichere Lage an den Finanzmärkten an: "Niemand kann sicher sein, dass nicht doch noch irgendwo Minen verborgen sind, die irgendwann explodieren.“ Es bestehe zudem die Gefahr, dass die globale Inflation in eine Deflation umschlage, die Konjunktur dauerhaft lähme und zu einem Rückgang des allgemeinen Preisniveaus führe.

Auch für Schwellenländer ist der IWF skeptischer als zuvor. Die litten darunter, dass sich der scharfe Nachfragerückgang in den entwickelten Volkswirtschaften verstärkt habe. Durch die Finanzkrise habe sich der Zugang vieler Schwellenländer zu den internationalen Kapitalmärkten verschlechtert, was letztlich auch eine Revision der Prognose für die Schwellenländer notwendig gemacht habe, sagte Blanchard. Der IWF nahm die Prognose für das Wachstum der Schwellenländer um rund einen Prozentpunkt zurück und geht dort nur noch von einem Wachstum von 5,1 % Prozent aus. "Diese Zuwachsrate ist zwar höher als während anderer Krisenzeiten zuvor. Allerdings fällt der Abschwung in vielen Schwellenländern nicht weniger groß aus als in den Industriestaaten", schreibt der IWF. Allgemein hat sich der IWF nun deutlich noch negativeren Prognosen angenähert, die offen von einer bevorstehenden "Depression" (Angst vor der Depression) sprechen.

Angesichts der Vorhersagen darf die Entwicklung an den Börsen kaum verwundern. In New York schmierten am Donnerstag erneut der Dow-Jones-Index und der breiter gestreute S&P-Index ab, nachdem sie schon am Vortag trotz der Obama-Euphorie deutlich ins Minus gedreht hatten. Beide Indizes verzeichneten somit ihre größten prozentualen Verluste an zwei aufeinander folgenden Tagen seit mehr als 20 Jahren. Der Dow-Jones-Index sackte auf 8695 Punkte ab, ein neues Minus von 4,9 %. Der S&P-500 brach um 5 % ein. Der technologieorientierte Nasdaq fiel mit 4,3 % auf 1608 Punkte.

Notenbanken senken Leitzinsen konzertiert, aber unterschiedlich viel

Noch schlimmer verlief der Handelstag in Europa. Der Dax in Frankfurt ging mit einem Minus von 6,8 % bei 4813 Punkten aus dem Handel. Der Pariser CAC verlor 6,3 %, der spanische Ibex gab in Madrid um 6,2 % nach und der FTSE verlor in London 5,7 %. Man darf sogar noch davon ausgehen, dass die Verluste durch die Zinsentscheidung der Notenbanken in Europa sogar noch gebremst wurden. Denn die Europäische Zentralbank (EZB) hatte am Nachmittag eine Reduzierung des Leitzinses bekannt gegeben. Er wurde erneut um 0,5 % gesenkt und beträgt nun noch 3,25%. Erneut handelte es sich dabei um eine konzertierte Aktion der Notenbanken wie in der "Schwarzen Woche", als sich an den Börsen Panik breitgemacht hatte.

Doch diesmal fielen die Zinssenkungen unterschiedlich hoch aus. So versucht die Bank of England (BoE) angesichts der Rezession in Großbritannien den Befreiungsschlag. Die BoE senkte den Leitzins sogar um 1,5 auf 3,00 %, womit der Versuch, die Wirtschaft mit billigem Geld zu versorgen, mindestens doppelt so hoch ausgefallen ist, wie allgemein erwartet wurde. Damit zeigt die britische Notenbank gleichzeitig an, wie ernst sie die Lage einschätzt. Die Schweizerische Nationalbank nahm ihren Leitzins überraschend um weitere 50 Basispunkte auf 2,00% zurück. Auch Dänemarks Nationalbank sekundierte und senkte die Leitzinsen um 0,5 %. Allerdings verweilt das Zinsniveau noch auf hohen 5 %. Dänemark war das erste Land in Europa, das offiziell eingeräumt hatte, in einer Rezession zu stecken. Die Kopenhagener Nationalbank hatte im Rahmen der Finanzkrise die Leitzinsen sogar erhöht, um die Landeswährung Krone zu stützen, die deutlich unter Druck geraten war.

Der EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hatte den Zinsschritt bereits in der vergangenen Woche bei einem Besuch in Madrid angekündigt, womit er die Börsen positiv stimulieren wollte. Auf der Pressekonferenz in Frankfurt sagte Trichet gestern: "Wir haben verschiedene Optionen diskutiert, so eine Senkung um 50 Basispunkte oder eine Senkung um 75 Basispunkte." Doch dann sei die Senkung um 0,5 % für angemessen befunden und einstimmig beschlossen worden. Eine Senkung um 1 % oder sogar 1,5 % wie in Großbritannien sei nicht diskutiert worden. Konjunkturlage und Schocks unterschieden sich dies- und jenseits des Kanals, sagte Trichet.

Er stellte offen weitere Zinssenkungen in Aussicht: "Ich schließe nicht aus, dass wir die Zinsen weiter senken." Die Inflation, die den Währungshütern noch im Sommer große Sorge bereitet hatte, werde in den kommenden Monaten weiter nachlassen, erklärte Trichet. Erst im Juli musste er aber gerade wegen der starken Inflation die Leitzinsen mitten in der Finanzkrise sogar anheben. "Es wird erwartet, dass die Inflationsrate in den kommenden Monaten weiter zurückgehen und im Laufe des Jahres ein Niveau erreichen wird, dass wir mit Preisstabilität für vereinbar halten", sagte Trichet.

Doch das ist mit Vorsicht zu genießen, denn im Chor mit den Politikern hatte auch er im vergangenen Winter erklärt, bei der hohen Inflation handele es sich nur um ein vorübergehendes Phänomen und sie werde im Frühjahr zurückgehen.. Tatsächlich ging sie erst im Herbst zurück, als im Rahmen der Rezessionstendenzen vor allem die Nachfrage nach Öl deutlich gesunken ist.

Mit den Zinsschritten wollen die Notenbanker die Wirtschaft ankurbeln, denn die Finanzkrise habe die Kreditvergabe der Banken an die Unternehmen bereits gedämpft, sagte Trichet. Eine Kreditklemme will er aber nicht erkennen. "Die Zunahme der Turbulenzen an den Finanzmärkten wird wahrscheinlich die weltweite Nachfrage und auch die Nachfrage in der Euro-Zone für einen ziemlich ausgeprägten Zeitraum dämpfen", kündigte er aber an. Ob die Kreditvergabe angesichts der Rezession und dem Misstrauen der Banken untereinander wieder in Fahrt kommt, darf bezweifelt werden. Das sieht man wohl auch an den Börsen so, weshalb die Kurse trotz der positiven Zinsentscheidung abgestürzt sind.

Hedge-Fonds und Immobilienfonds unter Druck

Tatsächlich fehlt es nicht an Geld und die EZB muss aufpassen, die Schleusen nicht zu weit zu öffnen und die Fehler zu wiederholen, die diese Finanzkrise erst möglich gemacht haben. Denn durch das viele Geld, das zu bereitwillig zur Verfügung gestellt wurde, konnten die Blasen erst entstehen, die beim Platzen nun weltweit diesen Schaden anrichteten. Die EZB will auch nicht, anders als die US-Notenbank, alles Pulver schnell verschießen, um weiter handlungsfähig zu bleiben, denn der Zinsrahmen ist nach unten klar begrenzt.

Ohnehin ist allen klar, dass die Finanzkrise längst nicht ausgestanden ist. Wie erwartet kämpfen nun die Hedge-Fonds mit Problemen (Hedgefonds haben ausgehebelt). Die weltweit größte Hedge-Fonds-Gesellschaft enttäuschte am Donnerstag ihre Anleger. Das von der Man Group verwaltete Vermögen sei um 6,6 Milliarden Dollar auf 67,6 Milliarden US-Dollar zusammengeschmolzen. Der Gewinn ging in den Monaten April bis September um 24 % auf 622 Millionen Dollar zurück. Die Aktie des britischen Hedge-Fonds-Anbieters verlor am Donnerstag knapp 32 % ihres Wertes. Die Schwierigkeiten würden nach Angaben der Credit Suisse in den kommenden zwei Jahren dazu führen, dass ein Drittel aller Hedge-Fonds dichtmachen werde.

Zeitweise geschlossen wurden schon zahlreiche offene Immobilienfonds. Die Krise hat sich inzwischen zu einem Flächenbrand ausgeweitet. Knapp drei Jahre nachdem die Fonds schon einmal wegen Schließungen in die Schlagzeilen gerieten, trifft es sie erneut. Fast täglich müssen neue Gesellschaften die vorübergehende Aussetzung der Anteilsrücknahme verkünden. Die Liste der Fonds, die kein Geld mehr auszahlen, wird ständig länger. Auf ihr stehen auch immer bekanntere Namen: US Grundinvest, KanAm Grundinvest, Axa Immoselect, TMW Immobilien Weltfonds, SEB Immoinvest, Catella Nordic Cities, UBS Euroinvest Immobilien, UBS 3 Kontinente Immobilien, Morgan Stanley P2 Value, CS Euroreal, Degi Europa, Degi International und DJE Real Estate (Dachfonds). Bei den offenen Immobilienfonds ist wegen der Kapitalflucht nun bereits fast 40 % des gesamten Vermögens von etwa 90 Milliarden Euro eingefroren.

Dabei sind auch Fonds, wie von der UBS Deutschland, die noch vor zwei Wochen erklärten, im Vergleich mit 4000 in Deutschland zugelassenen Fonds mit 4,2 % "die beste Performance" aufzuweisen. Anleger hatten massiv Geld aus den Fonds abgezogen und die Barreserven bis an die zulässige Grenze aufgezehrt, weshalb die Aussetzungen der Anteilsrücknahmen nötig wurden. Für alle, die in diesen Fonds investiert haben, hat das massive Folgen. Mindestens sechs Monate lang kommen sie nicht an ihr Geld. Es waren aber nicht besorgte Kleinanleger, die ihr Geld abziehen. Sondern Vermögensverwalter und Dachfonds fliehen aus den offenen Immobilienfonds, die lange als stabile Anlage mit begrenzten Risiken und geringen Wertschwankungen galten.

Hier rächt es sich, dass nach der Immobilienfonds-Krise vor drei Jahren nicht die notwendigen und viel diskutierten gesetzlichen Konsequenzen gezogen wurden. So gibt es bis heute keine Kündigungsfristen für Großanleger, wie das einst gefordert wurde. Denn so hätte frühzeitig reagiert werden können, um die jetzige Situation zu vermeiden. Denn wenn Großinvestoren kurzfristig massiv Geld abziehen, kommen die Fonds in Liquiditätsnöte. Und so sind es auch jetzt vor allem Kleinanleger, die besonders unter der Situation zu leiden haben werden. Wer dringend Geld braucht, kann versuchen, seine Anteile an der Börse zu handeln, falls sich ein Käufer dafür findet. Anleger müssen in der derzeitigen Situation allerdings mit deutlichen Abschlägen auf den festgestellten Wert rechnen.