Erst Leopard-Panzer, jetzt Taurus-Marschflugkörper: Debatte mit verteilten Rollen
Bei der Debatte um weitere Waffen für die Ukraine wiederholen sich die Argumente der letzten Monate. Die Rollen sind klar verteilt. Ein Vorwurf wird dabei besonders betont.
Kanzler Scholz lehne offenbar die "Bitte der Ukraine um mehr schwere Waffen ab", schlagzeilte der Spiegel vor gut elf Monaten. Damals ging es um Leopard-2-Panzer. Im Mai 2023 betonte Scholz dann, die Waffen sollten nur in der Ukraine eingesetzt werden.
Knapp acht Jahrzehnte nach dem Angriffskrieg der deutschen Wehrmacht gegen die Sowjetunion wären deutsche Panzer auf dem Weg nach Moskau noch nicht vermittelbar. Nun sind in der Ukraine schon längst deutsche Panzer im Einsatz, wenn auch nicht zur vollen Zufriedenheit der ukrainischen Militärs, das inzwischen beklagte, dass mehrere dieser so hochgelobten Panzer von russischen Militärs zerstört worden sind.
Jetzt haben wir in Deutschland wieder eine Debatte um deutsche Waffen für die Ukraine. Dieses Mal um Taurus-Marschflugkörper – und wieder sind die Rollen so verteilt, wie bei der "Leo"-Debatte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gibt wie jüngst im Sommerinterview den Zögernden, der sich nicht hetzen lässt, wie schon bei der Panzerdebatte, der auch von Verhandlungen redet und die Sorgen und Nöte der Menschen versteht, die vor einem Dritten Weltkrieg warnen.
Und wie bei der Panzerdebatte nehmen auch die Strack-Zimmermanns von der FDP, die Roderich Kiesewetters von der CDU und andere Bellizisten ihre Rolle ein und werfen Scholz vor, nicht schnell genug Waffen an die Ukraine zu liefern. Nur von dem Grünen-Politiker Anton Hofreiter hört man dieses Mal weniger als bei den vorigen Waffendebatten.
Vertrauen in die Ukraine?
Dann kommen die Politikberater wie Nico Lange im Deutschlandfunk zu Wort und erwarten nun von den Taurus-Marschflugkörpern die militärischen Erfolge für die Ukraine, die durch Leopard-Panzer nicht erbracht werden konnten.
Dabei wird Scholz von Lange und anderen Bellizisten dafür kritisiert, dass er vor der Lieferung dafür sorgen will, dass die Reichweite der Marschflugkörper so verringert wird, dass sie das Kerngebiet Russlands nicht erreichen können. Die von Russland besetzten ukrainischen Gebiete sollen sehr wohl getroffen werden. Das hat nun den paradoxen Effekt, dass mit aus Deutschland gelieferten Waffen von ukrainischen Militärs auch ukrainisches Territorium, ukrainische Infrastruktur und womöglich ukrainische Menschen getroffen werden.
Bisher können auch die "intelligentesten" Waffen Freund und Feind in einem Krieg nicht unterscheiden. Doch die Gegner einer Begrenzung der Reichweite der Marschflugkörper haben dagegen zweierlei Einwände. Durch die Überprüfung würde die Lieferung verzögert, dabei benötige die Ukraine die Waffen jetzt, weil ja, wie Nico Lange offen im Interview mit dem Deutschlandfunk erklärte, die ukrainische Offensive bisher nicht die vom Westen erhofften Erfolge gegen Russland gebracht hat.
Da fürchten manche, die Zeit wird knapp, und die Kriegsmüdigkeit in den Unterstützerstaaten, aber auch in der Ukraine selbst, könnte zu Verhandlungen führen, bei denen die Ukraine von ihren Maximalzielen abrückt. Bislang wollen ukrainische Offizielle nicht nur den Status quo vor der russischen Invasion am 24. Februar 2022 wieder herstellen, sondern den von 2013, was bedeuten würde, dass auch die Krim wieder ukrainisches Staatsgebiet wird.
Von den neuen Waffen erhoffen sich Kiew und die westlichen Unterstützer nun den Durchbruch. Allen, die nicht grundsätzlich dagegen sind, sich bei den Waffenlieferungen aber nicht hetzen lassen wollen, wird jetzt vorgeworfen, sie würden der Ukraine nicht vertrauen. Die werde schon mit den gelieferten Waffen verantwortungsvoll umgehen.
Jedoch ist bekannt, dass seit Monaten von ukrainischem Territorium aus auch russisches Gebiet mit Drohnen und anderen Waffen angegriffen wird. Aus der Perspektive der ukrainischen Militärs hat es eine Logik, den Krieg in das Land zu tragen, das die Ukraine angegriffen hat. Wenn den ukrainischen Truppen jetzt Marschflugkörper geliefert werden, haben sie ihre Funktion in dieser Strategie, auch wenn sie für die Angriffe selbst nicht verwendet werden.
Die Allgegenwart der Ultrarechten in der Ukraine
Zudem muss bei der Frage, ob der Ukraine vertraut werden soll, der politische Kontext gesehen werden: Ultrarechte sind in dem Land allgegenwärtig, wenn sie auch sicher nicht die Mehrheit haben, so haben sie doch eine Hegemonie.
Ihre Verehrung historischer Nazi-Kollaborateure wird auch von denen toleriert, die sie vielleicht selbst zu extrem finden. Wer sich offen gegen diese Rechten stellt, würde auch in der ukrainischen Gesellschaft Probleme bekommen. Diese Entwicklung hat sich mit dem russischen Überfall verschärft, bestand aber schon vorher.
Beispiele für die Normalisierung dieser ukrainischen Ultrarechten auch in Deutschland gibt es reichlich. Da findet sich in der Printausgabe der linksliberalen taz vom 10. August auf Seite 2 ein Bild mit der Überschrift: "Alltag in der Ukraine: Spendensammlung". Unter dem Foto stehen die Sätze: "Um Fortschritte an der Front erzielen zu können, braucht die ukrainische Armee einen ständigen Nachschub an Waffen und Munition. Geld dafür kommt nicht nur von verbündeten Staaten. Auch an diesem Straßenstand in Kyjiw sammeln Freiwillige Spenden von Passanten."
Nicht erwähnt wird, dass es sich um sie extrem rechte Gruppe handelt, die mit nationalistischen Fahnen ausgestattet ist. Einer der jungen Männer, die am Stand zu sehen sind, trägt auf ein T-Shirt mit der Aufschrift "Kill the Russian". Im Aufdruck daneben ist ein vermummter Hüne zu sehen, der einem Russen den Kopf abgeschnitten hat, den er in der einen Hand trägt, in der anderen das blutige Messer.
Ein solches ultranationalistisches Motiv, das zum Mord nicht nur gegen die russischen Soldaten, sondern den Russen aufruft, wäre sonst in der linksliberalen taz, die sehr auf Antirassismus achtet, eigentlich als rechte Hetze verurteilt worden. Nun ist ohne jeden kritischen Kommentar unter der Rubrik "Alltag in der Ukraine" abgebildet.
Diesen rechten Alltag fängt auch in ein Video in der aktuellen Ausstellung "The Artist as prophet" gut ein, die noch bis zum 17. September in der Galerie Weißer Elefant in Berlin-Mitte zu sehen ist. Dort finden sich viele interessante Dokumente über diesen Konflikt, darunter auch ein Video über den Kampf um die Wahlen in der Ostukraine im Jahr 2014.
Es ist zu sehen, wie sich Menschen aus der russischsprachigen Bevölkerung gegen einen Beamten wehrt, der im "Rechten Sektor" aktiv war und jetzt in den Ostgebieten der Ukraine für den Ablauf der Wahlen zuständig sein sollte.
Für den Protest hat der Mann kein Verständnis, weil er ja den Staat repräsentiere. Man sieht in diesem Video, wie 2014 in der Region antifaschistische Denkmäler mit Menschenketten geschützt wurden, weil die Beteiligten deren Abriss im Zuge der Maidan-Veränderungen fürchteten. Es ist ein sehr nachdenklich machendes Video, dass auch die Gegner des Umsturzes von 2014 zeigt.
So kommt auch mal der Teil in der Ukraine ins Bild, der mit dem damaligen politischen Umbruch nicht einverstanden war und ist. Und diese Stimmen gibt es noch immer, selbst in umkämpften Städten, wie in einer taz-Reportage aus Saporischschja zu lesen ist. Da wird eine Frau porträtiert, die einen Wunsch äußert: "Ich bin für Verhandlungen mit Russland", sagt sie. "Der Krieg muss endlich aufhören. Menschenleben sind doch das Allerwichtigste, das wir haben."
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Position in der ukrainischen Gesellschaft weiter verbreitet ist, als man denkt. Diesen Ukrainern kann auf jeden Fall vertraut werden.