Erst herrscht Ruhe im Land

Seite 2: Ende der Krisenproteste

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Tatsächlich gab es in zahlreichen europäischen Ländern vor allem der europäischen Periphere ein politisches Klima des Aufbegehrens der wesentlich von Deutschland durchgesetzten Austeritätspolitik und ihrer verheerenden Folgen. In Griechenland und Spanien waren die Proteste besonders stark. In Deutschland, dem Herz der Austeritätspolitik, waren sie immer viel kleiner. Das liegt aber nicht daran, dass die Bevölkerung hier von der Austeritätspolitik profitiert. Es ist die volksgemeinschaftliche Verfasstheit der Gesellschaft, die die Zumutungen, die der Kapitalismus den Menschen auferlegt, nicht als Grund für Proteste sieht, sondern als Opfer, die für den Standort Deutschland gebracht werden müssen.

Ins Visier geraten dann die Menschen, die diese Opfer nicht bringen wollen. Wolfgang Schäuble, der in ganz Europa für die Politik der Austerität steht, wurde in Deutschland zeitweilig zum beliebtesten Politiker, während er in allen anderen europäischen Ländern zum Objekt der Verachtung geworden war.

Nur im Frühjahr 2015, als mit dem Wahlsieg von Syriza eine Alternative zur Austeritätspolitik möglich schien, machte sich auch in Deutschland vor allem unter jüngeren Menschen eine Proteststimmung breit. Spontan gingen in Berlin Tausende auf die Straße, als vor allem die deutsche Regierung die in Griechenland abgewählte Austeritätspolitik durchsetzte. Doch nach einer lautstarken Demonstration zum Bundesfinanzministerium waren die Teilnehmer ratlos, wie es weitergehen sollte. Die Demo löste sich auf. Die angekündigten größeren Proteste in den nächsten Tagen kamen dann gar nicht mehr zustande.

In den Julitagen 2015, als Schäuble und Co. einen Putsch ohne Panzer gegen die griechische Regierung bewerkstelligten und es nicht möglich war, einen langanhaltenden Protest zu organisieren, starb das Konzept eines transnationalen europäischen Widerstands, wie es das Blockupy-Netzwerk propagierte. Eine Alternative wäre es gewesen, bewusst europaweit zu Protesten nach Deutschland zu mobilisieren, dem Land, das der Hort der Austeritätspolitik ist.

Beim Blockupyaktionstag gegen die Einweihung der EZB am 18.März 2015 gab es eine Ahnung, was eine solche Mobilisierung bedeuten könnte. Die militanten Aktionen in den Morgenstunden des Tages waren das Ergebnis einer europäischen Kooperation von Aktivisten. Ein Blockupy-Wochenende am 1. Mai 2016 hätte daran angeknüpft, was aber nicht gewollt war. Zudem ist mit der Niederlage der Syriza-Regierung im letzten Jahr auch der Wind of Change in Europa kaum noch spürbar. Statt von einer Alternative zu Austerität wird von Abgrenzung, Nationalismus und neuen Grenzen gesprochen. Der Aufstieg rechter Bewegungen, wozu auch die AfD gehört, ist der Austrug einer solchen Entwicklung.

Protestbewegungen auch in Spanien erschöpft, doch nicht erfolglos

In Griechenland erleben die Protestbewegungen eine große Enttäuschung, als sie erleben mussten, dass sich Syriza gegen Deutsch-Europa nicht durchsetzen konnte. Der Politologe Nikolai Huke hat kürzlich im Verlag Edition Assemblage unter dem Titel "Krisenproteste in Spanien sehr detailliert aufgezeigt, wie in den letzten 5 Jahren sowie die verschiedenen Protestbewegungen, gewerkschaftliche und soziale Bewegungen an ihre Grenzen gestoßen sind.

Dabei weist Huke auch nach, dass es nicht parlamentarische Formationen wie Podemos waren, die die sozialen Protestbewegungen abgewürgt haben. Vielmehr profierten die neuen Parteien von der Erschöpfung des außerparlamentarischen Protestzyklus. Podemos brauchte aber gar nicht an die Regierung zu kommen, um deutlich zu machen, dass ihr Anspruch einer ganz anderen Politik schon gescheitert ist. Trotzdem kommt Huke zu dem gar nicht so pessimistischen Schluss, dass es in Spanien den unterschiedlichen Bewegungen aber auch den neuen linken Parteien gelang, "in diesem Prozess kleine Erfolge zu erzielen, die durch ihr erfolgreiches Scheitern die spanische Gesellschaft grundlegend veränderten".

Im Buch hat Huke diese These am Beispiel der Bewegung gegen die Zwangsräumungen sowie an jahrelangen Kämpfen im Bildungs- und Gesundheitsbereich gut belegt. In diesen Sektoren führten Beschäftigte teilweise lange anhaltende Arbeitskämpfe, meist ohne die bisher dominierenden Gewerkschaften.

Auch das Blockupy-Netzwerk hat in den letzten Monaten verstärkt das Augenmerk auf Arbeitskämpfe in Bereichen gerichtet, die bisher kaum gewerkschaftlich organisierbar waren. Anfang Oktober fand in Poznan unter dem Motto "Dem Transnationalen Streik entgegen" eine europaweite Konferenz statt. Im kommenden Oktober soll es zum gleichen Thema in Paris erneut eine Konferenz geben, wo auch die Erfahrungen mit den Arbeitskämpfen und sozialen Bewegungen in Frankreich vor der Sommerpause einfließen sollen.

Am 1. März 2016 gab es erstmals in mehreren europäischen Ländern Aktionen zum Kampf gegen prekäre Arbeitsverhältnisse. Es geht dabei darum, dass der europäische Raum ein Ort der gemeinsamen Arbeitskämpfe und sozialen Bewegungen wird. Wenn das Protestbündnis diese Orientierung konsequent weiter verfolgt, auch wenn schnelle Erfolge und eine große mediale Aufmerksamkeit nicht gegeben sind, könnten die Todesnachrichten für Blockupy voreilig sein. Der Begriff Krisenproteste bekäme dann eine neue Bedeutung. Es geht nicht um die Banken und die Börse, sondern um die alltägliche Krise, der prekären Beschäftigten im Kapitalismus.