"Es gibt kein Entrinnen"

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Corona-Krise: Weiterhin keine Alternative zum Lockdown. Die dritte Welle triggert Rufe nach schärferen Maßnahmen, die breite Unterstützung finden. Was hat Deutschland falsch gemacht?

Die Regierung ist nervös, die Öffentlichkeit ungeduldig, aber bis zu einem gewissen Maß bereit, neue Verschärfungen der Maßnahmen mitzutragen. Zumindest liefert der ARD-DeutschlandTrend Hinweise darauf.

Laut der aktuellen Umfrage sind 32 Prozent der Befragten der Auffassung, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie "nicht weit genug gehen". Das sind 12 Prozent mehr als bei der letzten DeutschlandTrend-Umfrage am 4. März.

Vor zwei Wochen fanden 47 Prozent die geltenden Maßnahmen angemessen und 20 befürworteten eine Verschärfung. Jetzt sind nur mehr 38 Prozent der Meinung, dass die Maßnahmen angemessen sind, und 32 Prozent befürworten eine Verschärfung - und 25 Prozent schätzen sie "als zu weitgehend" ein. Vor zwei Wochen teilten 30 Prozent diese Auffassung.

"Wir sind in der dritten Welle"

Seither sind die Fallzahlen gestiegen. "Wir sind in der dritten Welle", heißt das Echo. Bei seiner tagesaktuellen Übersicht der Infektions-Kennzahlen lässt Olaf Gersemann den filmreifen Satz fallen: "Es gibt kein Entrinnen."

Bezogen ist der Satz auf die Hotspots, gemeint sind Städte mit einer 7-Tage-Inzidenz über 50 Infizierten pro 100.000 Einwohner. Bald würden "so gut wie alle unter den 412 Stadt- und Landkreisen in Deutschland" diese Inzidenz übertreffen, so Gersemann, dem auch der Anstieg der bundesweiten 7-Tage-Inzidenz von gestern 90,4 auf heute 95,6 Sorgen bereitet. Vor einer Woche lag sie noch bei 69,1. Es sei dies der neunte Anstieg in Folge und der höchste Wert seit dem 28. Januar.

Die gute Nachricht

Eine gute Nachricht hat der Corona-Zahlenspiegel dann doch auch: Der Abwärtstrend bei den Todesfällen unter den Corona-Infizierten ist noch intakt. Der Sieben-Tages-Schnitt liege mit 185 auf dem niedrigsten Niveau seit dem 15. November 2020.

"Wir brauchen einen langen Atem"

Die Impfungen bleiben die große Hoffnung, dass sich auf lange Frist auch die anderen Zahlen wieder auf einen Abwärtstrend begeben. Allerdings dämpfte Gesundheitsminister Spahn heute diese Hoffnung bei der Bundespressekonferenz mit RKI-Vize Lars Schade und dem "Gesundheitsminister mancher Herzen" Karl Lauterbach.

"Impfen gegen Corona" war das große Thema der Pressekonferenz und eine der Einsichten Spahns lautete: Dass Impfen zwar ein zentraler Schritt raus aus der Pandemie sei, aber Impfen allein keine Abhilfe schaffen könne, den Anstieg der Inzidenzzahlen zu bremsen.

Sein Ausblick: Die Bürger brauchen einen langen Atem. "Die steigenden Fallzahlen bedeuten, dass wir in den nächsten Wochen keine weiteren Öffnungsschritte gehen können." Ganz im Gegenteil sollte man sich auf einige Schritte zurück einstellen. Lauterbach pflichtete bei: "Wir müssen zurück in den Lockdown."

Notbremse

Zurück in ein Leben, in dem wir seit Anfang November schon sind? Hamburg zog heute die Notbremse, weil die 7-Tage-Inzidenz bei über Hundert liegt, und macht vor, was "Zurück" konkret heißt: Geschäfte dürfen keine Kunden mehr mit Termin empfangen, sondern nur noch bestellte Ware herausgeben. Museen, Ausstellungen und Zoos dürfen nicht mehr öffnen. Private Kontakte müssen wieder eingeschränkt werden.

Und dazu das Eingeständnis des Bürgermeisters, dass die jüngsten Öffnungsschritte ein Fehler waren.

Kurzatmige Entscheidung

Ein Fehler - aus Kurzatmigkeit? - war vielleicht auch der Impfstopp mit AstraZenica, den die Regierung am vergangenen Montag verfügte. Er wurde nach der gestrigen Einschätzung der Ema wieder aufgehoben (EMA: Weiterimpfen, aber auf Symptome achten).

Wir können AstraZeneca wieder einsetzen. Aber eben umsichtig - mit informierten Ärztinnen und Ärzten und entsprechend aufgeklärten Bürgerinnen & Bürgern. Gestern hat die EMA entschieden. Heute geht es in den Ländern wieder los.

Jens Spahn

"Informiertes Impfen"

Wichtig für das Vertrauen sei "informiertes Impfen", so der Gesundheitsminister. Ob die Begriffsneubildung und die Erklär-Animation des Gesundheitsministeriums zur Entscheidung dabei helfen, dass das Vertrauen in die Impfung von der Entscheidung zur Aussetzung nicht beschädigt wurde?

Die Regierung reagierte nervös, möglicherweise voreilig. Immerhin war die EU-Arzneimittelbehörde EMA, die höchstwahrscheinlich auch schon am Montag von den Blutgerinnsel-Risiken wusste, bei ihrer Einschätzung geblieben, wonach der Nutzen weitaus größer ist als die Risiken. Die gestrige Entscheidung blieb in der Kontinuität der vorhergehenden Einschätzungen.

Die Bundesregierung veranlasste aufgrund des Alarms des Paul-Ehrlich-Instituts den Stopp, dem sich andere EU-Länder anschlossen, was in der französischen Öffentlichkeit nicht unbedingt goutiert wurde. Auch dort hat die Regierung ein Vertrauensproblem nicht zuletzt bei den Impfungen.

Man kann der deutschen Regierung zugutehalten, dass sie auf Transparenz setzte mit dem Motto "lieber auf Schwierigkeiten aufmerksam machen als sie zu verbergen". Das ist angesichts der Vorwürfe ihrer Kritiker, sie würde vieles verheimlichen, und angesichts dessen, dass man ihr tödliche oder schwerwiegende Folgeschäden der Impfung mit Verve vorhalten würde, verständlich.

Anderseits waren diese Folgen nicht erst seit vergangenen Montag bekannt wie auch die Einschätzung des Risikos sich davor und seither nicht groß verändert hat. Ob das auch für das Vertrauen in die Impfung gilt?

Der aktuelle ARD-DeutschlandTrend gibt darauf keine Antwort. Zwar fand die Befragung der üblichen rund 1.000 repräsentativ ausgewählten Teilnehmer im Zeitraum zwischen 15. bis 17. März 2021 statt, aber die Frage nach dem Vertrauen in die Impfung wurde nicht gestellt.

CDU/CSU im Abwärtstrend

Dafür können die Regierungs- und Parteimitglieder, Wähler und Anhänger der beiden Unionsparteien nachlesen, wie sehr das Vertrauen in CDU/CSU abgesunken ist. Der Denkzettel für die CDU bei den Landtagswahlen spiegelt sich auch bei der Sonntagsfrage wider: Die Union kommt auf den niedrigsten Wert seit März 2020, nämlich 29 Prozent.

Zur Erinnerung kurz vor Jahreswechsel lagen CDU/CSU bei der Sonntagsfrage noch bei 36 Prozent.

Interessant ist, dass man demgegenüber bei der Sonntagsfrage keinen wirklich deutlichen Gewinner unter den Parteien ausmachen kann. Den höchsten Zugewinn verbucht die FDP mit unauffälligen 3 Prozent.

Aktuell, Mitte März, wären die Grünen bei der Sonntagsfrage mit 20 Prozent zweitstärkste Kraft. Die SPD käme auf 17 Prozent, die AfD auf elf Prozent, die Linke auf sieben Prozent der Stimmen und die FDP auf neun Prozent. Sonstige wären es 7 Prozent.

Zum Vergleich: Vor dem Jahreswechsel erzielten die Grünen bei der Sonntagsfrage 20 Prozent, die SPD 16 Prozent, die AfD neun Prozent, die Linke sieben und die FDP sechs Prozent der Stimmen. Die Sonstigen hätten 6 Prozent bekommen. Wie das nach den schwierigen Wochen aussehen wird, vor denen der RKI-Vizepräsident Schaade warnt?

Er hält es für "sehr gut möglich, dass wir um Ostern eine ähnliche Lage haben wie vor Weihnachten mit sehr hohen Fallzahlen, sehr vielen schweren Verläufen mit Todesfällen und Krankenhäuser, die stark belastet sind".