Euro-Zone vor dem Ende?

Seite 3: Mit wirksamen Instrumenten die monetäre Integration vertiefen

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Nochmals, der Euro steht vor dem Abgrund. Der Absturz kann jedoch durch eine mutige und entschiedene Politik der monetären Integration verhindert werden. Dagegen ist die heutige Politik im Namen der Euro-Krise kleinkariert, von nationalen Ängsten getrieben. Es fehlen der Mut und die Vision. Mit den nötigsten immer wieder nachgelegten Maßnahmen kommt die Politik am Ende dort an, wo die Rückkehrer zur D-Mark hinwollen: Das Euro-Währungssystem bricht zusammen und wird durch renationalisierte, in der EU spalterisch wirkende Währungen abgelöst. Wie die durch die schweren Gründungsfehler provozierte Systemkrise lehrt, ist der Euro nur dann zu retten, wenn die gemeinschaftliche Haftung und Verantwortung gesichert sind.

Der Umgang mit der gemeinschaftlichen Haftung wird zum Scheidepunkt. Wird trotz vieler Rettungsmaßnahmen weiterhin auf der Doktrin der Nichtbeistands-Klausel (No-Bailout-Klausel) bestanden, dann wachsen die Risiken. Die tauglichen Maßnahmen zur Euro-Rettung erweitern die gemeinwirtschaftliche Haftung. Spiegelbildlich werden nationalstaatliche Kompetenzen an die Euro-Gemeinschaft übertragen. Mit der viel beschworenen Dehnung der heute geltenden Verfassung lässt sich dieses Ziel nicht realisieren.

Der Lissabonner Vertrag mit den Regelungen zur monetären Integration aus dem ursprünglichen Maastrichter Vertrag muss geändert werden, denn viele der für ein Überleben des Euro notwendigen Maßnahmen sind damit schlicht unvereinbar. Der heutige Vorwurf des Vertragsbruchs ist die Folge schwerer Gründungsfehler. Der Vertragsbruch sollte durch eine Vertragsreform, die die jüngsten Erfahrungen anerkennt und ein Instrumentarium für die Rettung des Euro zur Verfügung stellt, abgelöst werden.

Die EU ist spätestens seit dem ersten Hilfspaket für Griechenland im Frühjahr 2010 in einem zähen Lernprozess. Erste Erfahrungen mit den Rettungsschirmen, mit der Europäischen Zentralbank, mit einem Teilschuldenschnitt bei griechischen Staatsanleihen liegen vor. Die im Lernprozess realisierten Maßnahmen zur Euro-Rettung reichen jedoch nicht aus. Mit dem Mut zur Vision einer künftigen Wirtschafts- und Währungsunion innerhalb einer politischen Union sollte Schritt für Schritt die Währungsunion ausgebaut und zu einem Gesamtkonzept eines sozialen, demokratischen Europas integriert werden.

Vorgeschlagen wird ein ausbaufähiger Masterplan mit den folgenden Schwerpunkten:

Rettungsschirme: Mit der Einführung der Rettungsschirme ist die im Maastrichter Vertrag festgeschriebene Nicht-Haftung für Krisenländer erstmals durchbrochen worden. Um fällig gewordene Anleihen an die Gläubiger auszahlen zu können, werden den Krisenländern Kredite zur Verfügung gestellt. Der Schuldner wechselt zum gemeinschaftlich gesicherten Rettungsfonds. Durch die ausschließliche Sicherung der Refinanzierungsfähigkeit fließt jedoch kein Euro in den öffentlichen Haushalt des Krisenlandes. Damit lösen die Rettungsschirme die Ursachen der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht. Einerseits wird wichtige Zeit gekauft, die auch zur Sanierung genutzt werden muss. Andererseits werden die Krisenländer bei der Refinanzierung von den Kapitalmärkten entkoppelt. Spekulanten werden rausgehalten und den Gläubigern ihre Staatsanleihen gesichert.

Die EFSF (European Financial Stability Facility) mit einem Gesamtgarantievolumen von 780 Mrd. Euro bei einem Haftungsanteil von 211 Mrd. Euro für Deutschland soll nach den Plänen der meisten Europäischen Regierungen noch in diesem Jahr durch den ESM (European Stability Mechanism) abgelöst werden. Bei einem Volumen von über 700 Mrd. Euro (Deutschland trägt davon 27,1 Prozent) stehen wegen der notwendigen Übersicherung der vergebenen Kredite nur 500 Mrd. Euro für Bürgschaften und Garantien zur Verfügung10. Rettungsschirme sind eine kurzfristig notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung zur ökonomischen Rettung der Krisenländer. Vor allem aber darf die Vergabe von Beistandskrediten nicht an ökonomisch falsche, sozial ungerechte und demokratisch nicht legitimierte Bedingungen geknüpft werden. Die bisherigen Erfahrungen verweisen auf notwendige Reformen:

  1. Die Volumenbegrenzung eines "Rettungsfonds" (z.B. mit 700 Mrd. Euro beim ESM) wirkt immer kontraproduktiv. Spekulanten werden immer wieder darauf wetten, dass das Volumen für weitere Krisenländer wie Spanien und Italien nicht ausreichen wird. Bei einem unbeschränkten Volumen, das durch alle Krisenländer genutzt werden kann, verlieren diese Spekulationen ihr Terrain.
  2. Dazu sollte ein künftiger Rettungsfonds mit einer Bankenlizenz ausgestattet sein, damit er - wie jede normale Geschäftsbank auch - kurzfristig Kredite bei der EZB aufnehmen kann. Im Kampf gegen Spekulanten ist dem Rettungsfonds auch der Kauf von Staatsanleihen direkt von den ausgebenden Staaten (Primärmarkt) zuzulassen. Dadurch werden die spekulativ überhöhten Zinssätze gedrückt und die Finanzmärkte stabilisiert. Schließlich sind die Banken trotz billigen Geldes durch die EZB nicht bereit, Staatsanleihen aufzukaufen und die Kreditvergabe auszuweiten. Die Bankenlizenz würde es dem Rettungsfonds gestatten, im Austausch gegen die erworbenen Staatsanleihen als Pfand Kredite von der EZB zu erhalten.
  3. Künftig sollte die Bindung von Finanzhilfen an eine strenge Austeritätspolitik aufgehoben werden. Denn durch die gesamtwirtschaftlichen Einsparungen wird die Wirtschaft stärker destabilisiert als die Hilfskredite zur Stabilisierung beitragen können. Die Folge ist eine Verschärfung der Abwärtsspirale in den Krisenländern. Die Steuereinnahmen schrumpfen und am Ende steigt die Staatsverschuldung. Dieser Teufelskreis lässt sich nur durch eine Sanierung der Krisenländer über die Stärkung der ökonomischen Entwicklung durchbrechen. Kurzfristige Finanzhilfen sollten mit einem mittelfristigen Aufbauprogramm verknüpft werden. Gegen die Brüningsche Notverordnungspolitik am Ende der Weimarer Republik ist ein Herkulesplan zur Stärkung der schwachen Ökonomien zu setzen.

Europäische Zentralbank: Unter dem Ziel, die Finanzmärkte zu stabilisieren sowie die spekulativ hochgetriebenen Zinssätze für Bonds aus den Krisenländern zu senken, spielt die EZB zusammen mit den Europäischen Rettungsfonds eine wichtige Rolle.11 Der Notenbank bleibt nichts anderes übrig, als auf den Märkten gehandelte Staatsanleihen aus den Krisenländern aufzukaufen. Allein zwischen Mai 2010 und Juli 2012 sind Staatsanleihen im Wert von knapp 212 Mrd. Euro in die Bilanz der EZB gewandert. Zur Entspannung der Lage wurde den Banken auch noch Kredit über 1.000 Mrd. Euro bei einer Laufzeit von drei Jahren zum Leitzins zur Verfügung gestellt.

Vom Einsatz der "dicken Bertha" zur Versorgung der Banken mit Liquidität und von "Bazooka-Politik" im Rahmen des Aufkaufs auch von Junkbonds aus den Krisenländern ist die Rede. Diese Geldschwemme provoziert und stößt auf Unverständnis. Gläubigern werden die Staatsanleihen garantiert und die Banken erhalten Liquidität, die diese allerdings nicht ausreichend an die Wirtschaft weitergeben. Auch erfolgt der erwünschte Kauf der Staatsanleihen von Krisenländern durch die Banken nicht in gewünschtem Maße. Die Notenbank fühlt sich zu dieser Verzweiflungstat gezwungen, weil ihr andere Instrumente zur Lösung der Krise des Interbankenmarkts und der spekulativ hochgetriebenen Zinssätze in den Krisenländern nicht zur Verfügung stehen. Da aber die Kosten eines kompletten Zusammenbruchs des Finanzsystems noch viel höher eingeschätzt werden, beschreitet die EZB diesen umständlichen Weg. Diese Geldpolitik, die in keinem Lehrbuch abgehandelt wird, steht aber formal im Widerspruch zu ihrer Aufgabenstellung in den EU-Verträgen. Die massive Krise, die bei der Schaffung des Amsterdamer Vertrags nicht vorstellbar war, zwingt zu diesem Vertragsbruch.

Wie gesagt, anstatt rechthaberisch auf dem untauglichen Vertrag zu bestehen, sollte das Vertragswerk reformiert werden. Die EZB hat weitere Käufe an Staatsanleihen aus den Krisenländern, die unter dem Rettungsschirm sind, angekündigt. Unter der Hand wird diese formale Vertragsverletzung auch von der deutschen Bundesregierung und der Bundesbank geduldet, weil sich die kriselnden Länder im Gegenzug zur Sanierung durch die Schrumpfung öffentlicher Haushalte verpflichten müssen. Die Folge ist die schon mehrfach beschriebene ökonomische Abwärtsspirale. Die Notenbank sollte ihre Aufkäufe von Staatsanleihen daher bestenfalls indirekt an ein mittelfristiges wirtschaftliches Wachstums- und Beschäftigungsprogramm koppeln, nicht aber an die bisherige Sparpolitik.

Gefangen in der monetaristischen Logik dominiert die Sorge, diese Geldschwemme könnte eine gigantische Inflation auslösen. Erwartet wird mit der Geldausweitung eine Inflation infolge steigender Nachfrage. Dieser Zusammenhang greift jedoch nicht. Denn die Liquiditätsschwemme führt nicht zu einer entsprechenden Ausweitung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen gegenüber einem knappen Angebot. Wie soll das auch geschehen? Die Nachfrage der Unternehmen nach Investitionen, die Konsumausgaben der privaten Haushalte sowie der Staatsnachfrage unter dem Diktat der Schuldenbremse schwächeln. Das Geld aus EZB-Krediten ersetzt eben nur den früheren Geldmarkt zwischen den Banken, es kommt nicht bis zur Ladentheke und führt daher auch nicht zu Inflation. Nicht eine exzessive Inflation, sondern eine Abschwächung des wirtschaftlichen Wachstums ist daher zu erwarten.

Es gibt einen Weg aus dieser aktuell unvermeidbaren Bazooka-Politik der EZB. Die Bankenunion sowie die Regulierung der Finanzmärkte, die die Investmentbanken und Hedgefonds diszipliniert, schaffen dafür die Voraussetzungen.

Abbau der Altschulden: Während mit den Rettungsfonds die Refinanzierung fälliger Staatsanleihen in hochverschuldeten Ländern vergemeinschaftet wird, muss endlich aus dem Teufelskreis von Altschulden und hohen Zinsbelastungen ausgestiegen werden. Dazu hat der "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" einen interessanten Schuldentilgungspakt vorgeschlagen, der jedoch in zwei Punkten verändert werden muss12. Staatsanleihen, die über 60 Prozent der Wirtschaftskraft hinausgehen, werden in einen gemeinschaftlich verantworteten Tilgungsfonds übertragen. Der Fonds darf für die Abwicklung der Refinanzierung Anleihen mit einer Laufzeit von zwei Jahren aufnehmen. Die Länder übernehmen die Ausgaben für die Tilgung und Zinszahlungen. Dazu soll eine Sonderabgabe - etwa auf die Einkommensteuer - einbezahlt werden. Der Fonds mit einer Laufzeit bis zu 25 Jahren hätte derzeit ein Volumen von 2,6 Billionen Euro. Deutschland würde 537,8 Mrd. Euro an Altschulden dem Tilgungsfonds übereignen. Mit diesem Tilgungsfonds würde erstmals ein Teil der Altschulden vergemeinschaftet.

In zwei Punkten sollte der Vorschlag zur Teilvergemeinschaftung der Altschulden deutlich korrigiert werden:

  • Die Bedingungen, mit denen die teilnehmenden Länder zu einer rigorosen Austeritätspolitik gezwungen werden, müssen gestrichen werden. Die Schuldenbremse im Fiskalpakt schränkt eine der Konjunktur angemessene und nachhaltige Finanzpolitik irrational ein.
  • Die Finanzierung des Fonds sollte durch eine Vermögensabgabe, die dem Prinzip der Besteuerung nach der ökonomischen Leistungsfähigkeit entspricht, gesichert werden. Dadurch würden die Vermögenden, die von den staatlichen Rettungsmaßnahmen als Gläubiger und Sparer lange Zeit profitiert haben oder die durch ihre niedrige Steuerbelastung die Aufnahme staatlicher Kredite überhaupt erst nötig gemacht haben, einen Sanierungspreis bezahlen.

Eurobonds: Während mit dem Schuldentilgungspakt für die Altschulden die gemeinsame Haftung übernommen wird, geht es bei den Eurobonds darum, die künftigen Ausgaben neuer Schuldtitel durch alle Mitgliedsländer zu verantworten. Die Gesamtheit des Euro-Clubs übernimmt die Haftung und Verantwortung.

Modelle zur Gestaltung der Eurobonds liegen vor. Jacques Delpla und Jakob von Weizsäcker haben vorschlagen, die durch die Euroländer garantierten Eurobonds entsprechend der geltenden Schuldenstand-Regel auf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen. Gegenüber diesen "Blue Bonds" hafte bei den darüber hinausgehenden "Red Bonds" nur das jeweilige Land13. Würde der zuvor beschriebene Schuldentilgungspakt realisiert, dann hätten alle Euro-Länder ausreichend Zugriff auf die vergemeinschafteten "Blue Bonds". Sollte der Schuldentilgungsfonds aber nicht kommen und die Krisenländer ihre hohen Altschuldenbestände mittelfristig umschulden müssen, werden sie einen ökonomisch untragbar hohen Preis für die "Red Bonds" zahlen müssen. Das Konzept müsste daher entsprechend überarbeitet werden.

Gegen die kollektivierte Haftung von Eurobonds im Rahmen der Schuldenpolitik gibt es scharfe Kritik. Der Euro ist jedoch ohne eine Ausweitung der Haftung dauerhaft nicht zu haben. Dabei können Eurobonds als hoch attraktives Anlageprodukt in anderen Währungsregionen der Welt genutzt werden. Am Ende wird der Zinssatz nicht durch die Schwächsten, sondern die Stärksten im Haftungsverbund bestimmt. Die Vorteile sind:

  • Gemeinsame Haftung verhindert Spekulationen gegen einzelne Länder.
  • Sie sind ein wichtiges Instrument auf dem Weg zu einer Fiskalunion.
  • Als weltweit interessantes Anlageprodukt kann der Zinssatz niedriger als der derzeitige Durchschnittszinssatz ausfallen.

Zum Einstieg sind auch Projektbonds vorgeschlagen worden. Diese dienen zur Finanzierung der durch die EU verantworteten Großprojekte (Ausbau der Stromnetze, Verkehrssysteme, Technologieparks). Solange hinter diesen Projekten eine langfristig angelegte Strukturpolitik in Richtung auf eine sozial-ökologisch tragfähige Wirtschaftsweise steht, wären solche Projektbonds sicher zu begrüßen. Die Erfahrung mit europäischen Großprojekten raten aber zu großer Vorsicht.

Bankenunion: Die sehr dürftigen Hinweise im Schlussdokument des EU-Gipfels Ende Juni 2012 haben ausgereicht, massive Proteste auszulösen. Die eher neoklassisch ausgerichteten "Wutökonomen" befürchten den direkten Marsch in die Sozialisierung der Verluste bei Bestandsgarantie für die Banken.

Auch Wieslaw Jurczenko beschwört in seinem Beitrag in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" einen "europäischen Bankensozialismus".14 Zwischen rechtspopulistischer Argumentation und linker Kritik scheint es Gemeinsamkeiten zu geben. Diese unterstellte Ideennähe hält jedoch einer Überprüfung nicht stand. Jurczenko fordert zu Recht "Regulierung statt Bankensozialismus" bzw. anders ausgedrückt: die Existenz großer und daher systemisch gefährlicher Banken, die im Krisenfall vom Staat gerettet werden müssten, muss in Zukunft durch Größenbegrenzungen und automatische Zerschlagungen verhindert werden.

Eine starke Bankenregulierung mit harten Eingriffsrechten einer europäischen Aufsichtsbehörde ist eine unabdingbare Basis für eine funktionsfähige Währungsunion, denn sie ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche geldpolitische Steuerung durch die Europäische Zentralbank und einen stabilen Finanzsektor. Wenn beispielsweise Sparer in Spanien wegen der Krise ihr Geld abziehen und auf andere Banken im Euro-Raum verlagern, dann fehlt dort den Geldinstituten dringend erforderliches Geld. Diesen Verlust an Geldmenge bei den spanischen Banken kann die allgemeine Geldpolitik der EZB nicht kompensieren. Deshalb müssen sich alle Sparer in der Währungsunion einigermaßen gleich sicher fühlen. Dann besteht auch kein Anreiz, die Gelder über die Grenze zu schaffen.

Diese gemeinsame europäische Einlagensicherung würde auch insofern Sinn machen, als dass deutsche Banken mit der Kreditvergabe an spanische Banken im Zuge einer komplett absurden und offensichtlichen Immobilienblase wesentliche Mitschuld an der Situation in Spanien tragen. Wenn sie entsprechend in Zukunft für die von ihnen mit zu verantwortenden Pleiten spanischer Banken gerade stehen müssen, so trifft das teilweise keine Unschuldigen. Dabei muss aber sichergestellt sein, dass die Beiträge zur gemeinsamen Einlagensicherung nach dem Geschäftsgebaren bemessen sind und nicht alle Banken pauschal gleichermaßen zur Finanzierung herangezogen werden. Auch muss es einzelnen Bankengruppen unbenommen bleiben, über eine europäische Einlagensicherung hinaus z.B. als Sparkassen bzw. Genossenschaftsbanken an ihrem System der Institutssicherung festhalten zu dürfen.

Eingerichtet werden sollte daher ein eigenständiger Europäischer Banken-Rettungsfonds, der aus jährlichen Beiträgen der Banken, die nach den jeweils erzeugten Risiken gestaffelt werden, finanziert wird und damit den Staat von Lasten im Falle der Insolvenz freihält.

Hinsichtlich einer Europäisierung der Bankenaufsicht ist darauf zu drängen, dass eine schlagkräftige Aufsicht nicht erst bei ausbrechenden Krisen in die Geschäftspraxis einer Bank interveniert, sondern frühzeitig fragwürdige Geschäftsmodelle untersagt.

Ohne eine grundlegende Regulierung der Finanzmärkte ist die Bankenunion zum Scheitern verurteilt. Spekulatives Investmentbanking ohne Kundenauftrag, das im Absturz alle Kunden mitreißt, muss zerschlagen und ein gesamtwirtschaftlich dienendes Bankensystem, in dem Geldinstitute auch Pleite gehen können, transformiert werden. Dabei greift die bloße Forderung nach einer Trennung des "normalen Kundengeschäfts" der Banken vom riskanten Investmentbanking zu kurz. Nach der bildlichen Aufspaltung der Deutschen Bank in einen Bank- und einen Spielbank-Turm, wie sie Heiner Flassbeck so anschaulich vorschlägt, muss die Spielbank geschlossen werden. Denn selbst wenn die Geschäftsbanken von ihrem Casino-Geschäft eigentumsrechtlich getrennt würden, könnten die Spielbanken durch ihre Zockerei weiterhin die staatliche Refinanzierung durcheinanderbringen oder die Preise von Lebensmitteln und Rohstoffen spekulativ hochtreiben.

Die klare Botschaft muss sein: das Finanzsystem braucht keine Spielbanken! Hierauf hat auch Sigmar Gabriel mit seinem Thesenpapier zur Neuordnung der Banken und des gesamten Finanzsektors aufmerksam gemacht.15 Ohne einen entmachteten Finanzsektor und hier insbesondere ohne eine entschiedene Politik gegen die als Schattenbanken operierenden Hedgefonds16 wird am Ende auch der Euro scheitern.

Schattenbanken sind Unternehmen, die bankähnliche Geschäfte erledigen, ohne eine Banklizenz zu besitzen. Sie unterliegen daher nicht der Regulierung für Kreditinstitute und haben keinen Zugang zur Liquidität der Zentralbank. Die begrenzten nationalen und europaweiten Maßnahmen haben die Schattenbanken bislang nicht trockenlegen können.

Die Politik muss endlich begreifen, dass die Existenz der Schattenbanken eine Einladung zur Regulierungsvermeidung darstellt. Die Devise muss daher lauten: Gleiche Regeln für gleiches Geschäft. Für alle Aktivitäten auf den Finanzmärkten müssen die gleichen Anforderungen in Bezug auf Transparenz, Risikomanagement, Liquidität und Eigenkapital sowie auf eine geordnete Abwicklung im Insolvenzfall gelten - gleichgültig, ob die jeweiligen Akteure über eine Banklizenz verfügen oder nicht. Nur so lassen sich eine weitere Blase und damit die Neuauflage der gegenwärtigen Finanzmarktkrise verhindern.

Finanztransaktionsteuer: Die Europäische Kommission hat einen Richtlinienentwurf über die Einführung einer Finanztransaktionsteuer (FTT) vorgelegt. Dies ist ein bedeutender Durchbruch für einen Vorschlag, für den sich bereits seit vielen Jahren Nichtregierungsorganisationen, insbesondere Attac einsetzen, und der kürzlich auch die Unterstützung der deutschen und französischen Regierung gefunden hat. Eine europaweite Finanztransaktionsteuer auf sämtliche Finanzmarktgeschäfte und -produkte ist wegen des Widerstands von Ländern wie Großbritannien bislang nicht in Sicht. Mindestens neun Befürworterstaaten wollen eine solche Abgabe allerdings im Rahmen einer "verstärkten Zusammenarbeit" als Vorreiter einführen. Unter ihnen ist neben Frankreich auch Deutschland.

Der Richtlinienentwurf der Kommission hat viele der Elemente aufgegriffen, um die sich die AktivistInnen bemüht haben, einschließlich der Besteuerung von OTC-Derivaten, das Wohnsitzprinzip zur Vermeidung von Steuerumgehung und vor allem die Absicht, nicht nur öffentliche Einnahmen zu erzielen, sondern einen Regulierungsrahmen gegen Spekulation zu schaffen, insbesondere im Hochfrequenzhandel.

Schrumpfung des Finanzsektors

All die skizzierten Maßnahmen zielen nicht nur auf eine solidarische Refinanzierung von Schulden, sondern die Re-Regulierung des Finanzbereiches zielt letztlich auf eine Schrumpfung dieses Bereiches und eine Stärkung des realen Wirtschaftens. Die Expansion des Finanzsektors seit Beginn der 1990er Jahre und seiner Dominanz über die Realwirtschaft muss grundlegend rückgängig gemacht werden. Die Finanzunternehmen haben sich einen immer größeren Anteil des Volkseinkommens angeeignet und, nach einem kurzen Zwischenspiel, schütten sie erneut hohe Bonuszahlungen aus. Sie haben deutlich versagt, ihren finanziellen Beitrag zur Schaffung guter Arbeitsplätze zu leisten und durch die Schaffung eines massiven Überbaus aus Derivaten und anderen komplexen Wertpapieren haben sie eine Instabilität herbeigeführt, die nur drei Jahre nach dem Zusammenbruch der Finanzmärkte im Jahr 2008 die Zukunft der europäischen Wirtschaften erneut gefährdet.

Die Hintergründe offenlegen

Der starke Anstieg der Staatsschulden ist nicht die Ursache der Krise, sondern vielmehr ihre Folge. Die Staaten mussten sich in den vergangenen vier Jahren massiv verschulden, erstens wegen der Maßnahmen zur Rettung der Banken, zweitens wegen der Stabilisierungsprogramme, die den Konjunktureinbruch infolge der Finanzkrise bremsen sollten, und drittens wegen des drastischen Rückgangs der Steuereinnahmen infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise.

Sobald die Staatsschulden in die Höhe stiegen, nutzten dieselben Finanzunternehmen, die gerade noch von den Rettungsmaßnahmen profitiert hatten, die Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone, um gegen das jeweils schwächste Glied in der Kette zu spekulieren. Es ist untragbar, wie sehr inzwischen die südlichen Euro-Staaten und ihre als vermeintlich faul oder unfähig beschimpften Bevölkerungen für die Krise verantwortlich gemacht werden, anstatt der Nieten in Nadelstreifen in den europäischen Großbanken und in der staatlichen Finanzregulierung und -aufsicht.

Sinnvoll investieren, statt sinnlos sparen

Von den Regierungen der EU wird Sparpolitik als Allheilmittel angesehen. Die Wirtschaftskrise fordert einen hohen Tribut von der Gesellschaft, in Form von Beschäftigungsrückgang, Zunahme der Arbeitslosigkeit, Teilzeit- und befristeten Arbeitsverträgen sowie zunehmender Ungleichheit und Armut. Die Rettung Europas kann nur gelingen, wenn sich die EU und die Staaten endlich vom Diktat der Finanzmärkte befreien und die Belastung der Wirtschaft durch immer neue Kürzungsprogramme beenden.

Um den Gefahren einer erneuten Rezession entgegenzuwirken, ist ein umfangreiches Programm öffentlicher Investitionen erforderlich. Solche Investitionen sollten Teil einer langfristigen Strategie zur Förderung von Solidarität und ökologischer Nachhaltigkeit sein und auf nationaler Ebene sowie auf EU-Ebene angeregt werden, einschließlich eines ambitionierten Plans zur Förderung von Investitionen in den Ländern, die von der Krise am stärksten betroffen sind. Für die Finanzierung dieser Programme könnte die Europäische Investitionsbank in großem Umfang herangezogen werden, die bereits ermächtigt ist, Schuldverschreibungen zur Finanzierung ihrer Aktivitäten herauszugeben

Übergangsweise müssten in den Krisenstaaten private Investitionen durch ein System von staatlichen Anreizen in eine Richtung gelenkt werden, das sich mittelfristig an den Zielen einer modernisierten Wirtschaftsstruktur orientiert. Zu den Instrumenten dieser Politik zählen etwa Landesentwicklungspläne und Raumordnungsprogramme, die zu einem langfristigen staatlichen Infrastrukturkonzept ausgebaut werden sollen.

Die in der Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU vorgegebenen und von den Programmen der EU und des IWF geforderten Sparpolitiken sind wirtschaftlich kontraproduktiv, weil dadurch das Wirtschaftswachstum belastet wird. In sozialer Hinsicht sind sie gefährlich, da sie viele Mitgliedsländer in die Armut treiben und zu einer stärkeren gesellschaftlichen Polarisierung führen. Aufgrund der durch die Krise verschärften sozialen Konflikte bereiten die Sparmaßnahmen den Nährboden für politische Spannungen, wenn nicht sogar für politische Instabilität, zumal der Rechtspopulismus zunimmt.