Euro-Zone vor dem Ende?

Seite 4: Ein neues Europa denken

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Die Währungspolitik muss durch eine gemeinsame Fiskal- sowie eine kohärente Wirtschaft- und Sozialpolitik ergänzt werden. Das Ziel dieser Erweiterungen ist die Förderung von Vollbeschäftigung mit guter Arbeit. Die aktuelle Politik, die finanzielle Unterstützung für Griechenland und andere Mitgliedsstaaten von der Durchführung von drakonischen Sparmaßnahmen abhängig macht, ist sozial ungerecht. Außerdem treibt sie die Länder in noch schwerere Rezessionen, was es ihren Regierungen zusätzlich erschwert, ihre Schulden zu reduzieren.

Die Europäische Währungsunion war von Anfang an eine Fehlkonstruktion, weil die Vereinheitlichung der Geldpolitik nicht durch eine Koordination der Wirtschafts-, Sozial- und Fiskalpolitik ergänzt wurde. Eine einheitliche Geldpolitik für eine Gruppe von Ländern mit recht unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen, Arbeitsmärkten und Unternehmenslandschaften führt unter Konkurrenzbedingungen notwendigerweise dazu, dass sich die Unterschiede dieser Länder eher verstärken.

Die EU - und in noch stärkerer Form die Euro-Zone - ernten mit der derzeitigen Krise daher die Früchte ihres Leitbildes: Im Wettlauf gibt es nur einen oder wenige Gewinner, und Gewinner gibt es nur, wo es auch Verlierer gibt. Und die Verlierer werden nun mal - auch das eine unausweichliche Konsequenz der Marktlogik - von den Märkten abgestraft, gehen Bankrott und verschwinden vom Markt. Aber wohin sollen eigentlich die EU-Mitgliedsländer verschwinden, die im Staatenwettlauf verlieren? Soll Griechenland vom "Staaten-Markt" verschwinden und die Belegschaft der Griechenland AG - sprich die griechische Bevölkerung - sich eine neue Wirkungsstätte suchen?

Ein neues Europa in einer Ausgleichsunion

Die Währungspolitik muss durch eine gemeinsame Fiskal- sowie eine kohärente Wirtschafts- und Sozialpolitik ergänzt werden. Das Ziel dieser Erweiterungen ist die Förderung von Vollbeschäftigung mit guter Arbeit bei Förderung eines Strukturwandels in Richtung einer sozial-ökologischen Wirtschaftsweise.

Um diesen Prozess zu befördern und insbesondere die großen Handelsungleichgewichte in der Euro-Zone endlich zu überwinden, schlagen wir die Ablösung des Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU durch eine "Europäische Ausgleichsunion"17vor.

Ausgangspunkt der Europäischen Ausgleichsunion ist die verbindliche Einrichtung von Obergrenzen für Leistungsbilanzungleichgewichte. Pro Jahr soll ein Land in der Ausgleichsunion nur noch Leistungsbilanzüberschüsse bzw. -defizite von maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) machen dürfen. Dieser kurzfristige Puffer für konjunkturelle Schwankungen wird ergänzt um eine längerfristige Begrenzung der Ungleichgewichte auf den Umfang der jährlichen Exporterlöse. Wenn in einem Land X mit einem BIP von 100 Euro ähnlich wie in Deutschland 50 Prozent des BIP im Exportsektor erwirtschaftet wird, dann darf dieses Land kurzfristig Leistungsbilanzüberschüsse oder -defizite von nicht mehr als drei Euro pro Jahr machen. Über die Jahre aufaddiert dürfen die Überschüsse bzw. Defizite auf nicht mehr als 50 Prozent des BIP, also auf 50 Euro, ansteigen.

Um dies zu erreichen, wird ein mehrstufiges Verfahren von Sanktionen und Anreizen geschaffen. Sobald das Land X die Hälfte der zulässigen Obergrenze von 50 Euro erreicht hat, bekommt es - ähnlich wie beim heutigen Stabilitätspakt - von der Europäischen Kommission einen Blauen Brief. Darin wird das Land aufgefordert, dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament einen Plan vorzulegen, wie es seine Überschüsse bzw. Defizite abbauen will. Sollte der Plan nicht akzeptiert werden oder das Land seine Verpflichtungen zum Abbau der Ungleichgewichte nicht einhalten, muss das Land nachbessern und erneut vor Rat und Parlament Rechenschaft ablegen.

Parallel zu diesem Vertragsverletzungsverfahren gibt es finanzielle Sanktionen, bei dem Länder für ihre angesammelten Überschüsse bzw. Defizite ab bestimmtem Schwellenwerten schrittweise eskalierende Strafgebühren bezahlen müssen. Diese Strafgebühren sind selbstverständlich von den nationalen Regierungen zu zahlen und nicht von einzelnen Exporteuren oder Importeuren.

Die Strafgebühren fließen in einen Fonds, der Projekte zum Strukturwandel und zum Ausgleich der Leistungsbilanzen in Überschuss- und Defizitländern finanziert. Im besten Fall kommt es nicht zu Strafgebühren und Vertragsverletzungsverfahren, weil die beteiligten Länder dadurch den Anreiz haben, ihre Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Sozial-, Steuer- und Strukturpolitik frühzeitig zu koordinieren, um größere Ungleichgewichte gar nicht erst entstehen zu lassen.

Über die hier zusammengestellten Maßnahmen hinaus gibt es sicherlich noch weitere Schritte, wie die Europäische Währungsunion vor dem Zusammenbruch geschützt werde kann. Eins steht für uns aber fest: Ohne einen grundlegenden Politikwechsel in der von uns skizzierten Richtung, hat die Währungsunion keine Zukunft. Ein soziales und demokratisches Europa, für das es sich zu streiten lohnt, ist ohne einen solchen Richtungswechsel für uns nicht vorstellbar.

Prof. Dr. Rudolf Hickel, Gründungsdirektor des und Forschungsleiter am "Institut Arbeit und Wirtschaft" (IAW, Bremen), Gründungsmitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik und Mitherausgeber der "Blätter für deutsche und internationale Politik".

Dr. Axel Troost, Volkswirt, Finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE und stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE, seit 1979 Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik.