Europawahl 2024: Begünstigt das gesenkte Wahlalter den Rechtsruck?

Alice Weidel und Tino Chrupalla im Bundestag, lachen.

Jungwähler machen ihnen gute Laune: Alice Weidel und Tino Chrupalla. Bild: photocosmos1, Shutterstock.com

Wahlrecht für Jugendliche war stets eine Forderung von Linken und Grünen. Nun wählen mehr Erstwähler rechts. Was hat es mit dem Phänomen auf sich?

In Deutschland dürfen Jugendliche ab 16 Jahren nun an den Europawahlen im Juni teilnehmen. Damit reiht sich Deutschland in die Liste der wenigen EU-Staaten ein, die bereits 16- und 17-Jährige wählen lassen, darunter Österreich, Belgien und Malta. Auch Griechenland wird Jugendlichen, die 2024 siebzehn Jahre alt werden, die Teilnahme an der Wahl im Juni ermöglichen.

Die Politikwissenschaftlerin Gabriele Abels von der Universität Tübingen hat die Neuerung, die bislang vor allem als progressiver politischer Schritt wahrgenommen und aus dem links-grünen Lager befürwortet wurde, in einem Aufsatz kritisch kommentiert. Die Senkung des Wahlalters, schreibt sie auf dem Portal The Conversation, könnte zu einem Element des fortschreitenden Rechtsrucks in Deutschland werden.

Erstmals wählen: 4,8 Millionen junge Deutsche

Etwa 4,8 Millionen junge Deutsche und rund 300.000 Jugendliche aus anderen EU-Mitgliedstaaten, die in Deutschland leben, dürfen erstmals ihre Stimme abgeben.

Obwohl diese Gruppe nur einen kleinen Anteil an Deutschlands insgesamt 64,9 Millionen Wählern ausmacht, ist sie dennoch größer als die Bevölkerung vieler anderer europäischer Staaten. Angesichts der gestiegenen Wahlbeteiligung junger Wähler bei den Europawahlen 2019 könnte auch von dieser neu wahlberechtigten Gruppe eine hohe Wahlbeteiligung erwartet werden.

Junge Wähler im Fokus der Rechtsparteien

Allerdings umwerben rechte Parteien die jüngeren Wähler intensiv. Daher könnte die Senkung des Wahlalters die Ergebnisse der rechtsextremen Partei Alternative für Deutschland (AfD) verbessern.

Aktuelle Daten deuten darauf hin, dass die Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen eine insgesamt positivere Sicht auf das Europäische Parlament hat als der Rest der deutschen Bevölkerung. Allerdings ist diese positive Einstellung stärker rückläufig als in anderen Altersgruppen.

Junge Deutsche und ihre Sicht auf die EU

Jüngste Zahlen zeigen, dass 41 Prozent der Deutschen zwischen 15 und 24 Jahren positiv über das Parlament denken, verglichen mit 34 Prozent der Gesamtbevölkerung. Noch vor wenigen Jahren, 2021, lag dieser Wert bei einem Allzeithoch von 51 Prozent. Ähnlich sank die Zahl der Jugendlichen, die 2021 noch zu 75 Prozent für ein stärkeres Europäisches Parlament plädierten, 2024 auf 51 Prozent.

Dennoch betrachtet diese jüngere Altersgruppe die EU-Mitgliedschaft weiterhin als "gute Sache" und 84 Prozent sehen Vorteile für Deutschland. Und obwohl ihre Zufriedenheit mit der Demokratie in der EU auf 58 Prozent gesunken ist, ist das Vertrauen in das Europäische Parlament selbst auf 63 Prozent gestiegen.

Politik auf TikTok und die Rolle der AfD

Diese Erstwähler in Deutschland können zwischen 35 politischen Parteien wählen. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass viele von ihnen die AfD wählen könnten, schreibt Abels:

Das Europäische Parlament ist die direkt gewählte Institution der Europäischen Union – und die einzige direkt gewählte transnationale parlamentarische Versammlung der Welt. Diese Erstwähler in Deutschland werden die Wahl zwischen 35 politischen Parteien haben, aber es gibt Grund zu der Annahme, dass viele von ihnen die AfD wählen werden, eine Partei, deren Wurzeln im weichen Euroskeptizismus liegen, die aber jetzt eher zu hartem Euroskeptizismus, Rechtspopulismus und teilweise sogar Extremismus tendiert.

Diese Altersgruppe werde durch TikTok politisiert. Eine überwiegende Mehrheit beziehe politische Informationen über soziale Medien und nutzt keine "traditionelle" politische Berichterstattung.

Deutsche politische Parteien und Politiker sind auf dieser Plattform relativ unerfahren und daher oft abwesend oder nicht erfolgreich. Die bemerkenswerte Ausnahme hier ist die AfD. Im Gegensatz zu ihren Rivalen hat die AfD eine sehr professionelle Präsenz auf TikTok, die sich insbesondere an die jüngere Generation richtet. Im Vorfeld der Europawahlen ist sie die deutsche politische Partei mit den meisten Likes.

Maximilian Krah und die AfD auf TikTok

Der Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl 2024, Maximilian Krah, ist auf der Plattform besonders beliebt und kann auf seiner persönlichen Seite mehr als eine halbe Million Likes vorweisen. Krah, der für seine nationalistischen Ansichten bekannt ist und autokratische Systeme offen gelobt hat, sieht sich derzeit Ermittlungen der deutschen Justiz wegen mutmaßlicher Zahlungen aus Russland im Kontext seiner Arbeit als Europaabgeordneter ausgesetzt.

Hinzu kommt die Festnahme eines seiner parlamentarischen Mitarbeiter, der beschuldigt wird, für China spioniert zu haben. Abels verweist aber auch darauf, dass gegen Krah selbst wegen dieser Vorwürfe jedoch nicht ermittelt wird.

AfD gewinnt bei jungen Deutschen an Boden

Tatsächlich scheint die AfD unter Deutschlands Jugendlichen an Boden zu gewinnen. Laut einer aktuellen Studie, "Jugend in Deutschland 2024", würden etwa 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen für die AfD stimmen. Viele von ihnen werden im Juni Erstwähler sein.

Dies signalisiert eine mögliche große Verschiebung im Wahlverhalten. Bei den Europawahlen 2019 stimmten 30 Prozent der deutschen Wähler im Alter von 18 bis 29 Jahren für die Grünen und 13 Prozent für die CDU/CSU. Alle anderen Parteien erhielten weniger als zehn Prozent – und die AfD landete mit sieben Prozent auf dem siebten Platz.

Geschlechterunterschiede bei der Wahlentscheidung

Abels verweist in diesem Kontext auf eine auffällige Kluft zwischen den Geschlechtern. Junge Frauen neigten eher dazu, für die Grünen zu stimmen, während junge Männer konservative oder liberale Parteien bevorzugten. Diese Geschlechterkluft ist besonders stark, wenn es um die AfD geht, die in Bezug auf ihre Kandidaten, ihre Wähler und ihr Programm eine eher "männliche" Partei ist. Bei den Europawahlen 2019 stimmten 14,6 Prozent der Männer (aller Altersgruppen) für die AfD, aber nur 7,6 Prozent der Frauen.

Ob sich diese scheinbare Anziehungskraft in Stimmen unter den neu wahlberechtigten jungen Menschen Deutschlands – und insbesondere bei den männlichen Teenagern – umsetzt, wird sich Anfang Juni zeigen. Andere Parteien werden aufpassen müssen, warnt Abels, wenn sie verhindern wollen, dass eine junge Generation anfällig für euroskeptische und antidemokratische Agitation wird.