Experten fordern psychologisches Screening bei Ankunft von Geflüchteten aus Kriegsgebieten

Symbolbild: Männerhand mit Messer

Symbolbild: ki-generiert

Gewalttaten von Asylbewerbern aus Kriegsregionen schockieren immer wieder. Experten warnen schon lange vor unbehandelten Traumata als Risiko. Was ist zu tun?

Seit im Sommer 2016 ein Asylbewerber aus Afghanistan in einem Regionalzug bei Würzburg mehrere Menschen mit einer Axt angriff und vier von ihnen schwer verletzte, gab es immer wieder schwere Attacken mit Messern und Stichwaffen im öffentlichen Raum, bei denen sofort die Frage nach der Herkunft des Täters im Raum stand.

Messerattacken von Männern aus Kriegsgebieten

Und nicht immer, aber sehr oft stellte sich heraus, dass es sich um Männer oder männliche Jugendliche handelte, die in Kriegs- oder Krisengebieten aufgewachsen waren.

Bei mindestens drei schweren Messerattacken in Deutschland, über die allein in diesem Monat berichtet wurde, sollen die Täter aus Afghanistan stammen: Bei einem Angriff in Frankfurt am Main wurde nach Polizeiangaben eine 41-jährige Ukrainerin schwer verletzt, in Wolmirstedt wurde ein 23-jähriger Afghane von einem Landsmann getötet, der anschließend drei Gäste einer privaten EM-Party zum Teil schwer verletzte; in Ingolstadt verletzte laut Polizei ein 17-jähriger Afghane einen 24-Jährigen.

Bei einem besonders schweren Messerangriff im Sommer 2021, durch den in Würzburg drei Frauen starben und weitere Menschen verletzt wurden, stammte der Täter aus dem langjährigen Bürgerkriegsland Somalia.

Messerangriffe und eine Warnung von 2018

Diese Erfahrung ist für die Gewaltprävention kein unwichtiges Detail: Bei Menschen, die im Elternhaus oder in Kriegssituationen Gewalt erfahren haben, sinkt die Hemmschwelle, selbst gewalttätig zu werden – vor allem bei Männern. Darauf wies unter anderem die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina in einer Stellungnahme von 2018 hin. Titel: "Traumatisierte Flüchtlinge – schnelle Hilfe ist jetzt nötig".

Das war vor der Corona-Krise, die den Mangel an Therapieplätzen für psychisch kranke Menschen in Deutschland noch einmal verschärft hat, weil seither einige hinzukamen, die vor den Lockdowns "normal" und unauffällig waren. Die Wartezeit beträgt oft Monate.

Alpträume und Flashbacks: Schrecken des Krieges im Gepäck

Bei Menschen aus armen "Failed States" ohne funktionierendes Gesundheitssystem fehlt zudem oft das Wissen über psychische Erkrankungen. Kriegstraumata sind dort weiter verbreitet und somit "normaler" – wenn Betroffene später in Deutschland zum Arzt gehen, dann eher wegen körperlicher Begleiterscheinungen, die zum Beispiel dadurch entstehen, dass der unruhige Schlaf ihr Immunsystem beeinträchtigt.

Denn Alpträume und Flashbacks gehören zu den klassischen Symptomen der Traumafolgestörung, die Thomas Elbert, Professor für klinische Psychologie, beschreibt.

Früherkennung: Wann Opfer und Zeugen zu Tätern werden

Betroffene Frauen würden eher selbstverletzend, dissoziativ oder auch suizidal reagieren, während Männer dazu neigten, sich in den Zustand "ständiger Kampfbereitschaft" zu versetzen. Manche könnten dann Situationen nicht mehr realistisch einschätzen und hätten den Impuls, "zurückzuschlagen".

Früherkennung ist hier der Schlüssel, um Gewaltausbrüche mit Verletzten oder sogar Toten zu verhindern. Aus Elberts Sicht ist ein psychologisches Screening bei der Ankunft von Asylsuchenden aus Kriegsländern dringend geboten – sowohl für Betroffene von Traumafolgestörungen selbst, weil sie dann nicht erst wegen körperlicher Symptome "von einem Arzt zum anderen rennen", als auch für die Gesellschaft, wenn dadurch aggressive Ausprägungen der Störung rechtzeitig bemerkt werden.

Trotz Messerattacken: Präventionsarbeit nicht ausfinanziert

"Wir haben ein solches Screening entwickelt", sagt Elbert, der die Arbeitsgruppe der Leopoldina geleitet hat. In Baden-Württemberg wird es auch angewandt – im Rahmen des Projekts "Baden-Württemberg schützt", das vom Gesundheits- und Sozialministerium allerdings nur im Zeitraum von Oktober 2023 bis September 2025 sicher finanziert wird.

In dem Projekt arbeiten Fachleute der Universität Konstanz mit den Vereinen Freundeskreis Asyl Karlsruhe und Vivo International zusammen. Das dazugehörige Projekt "Furchtlos" richtet sich speziell an Männer, die lernen sollen, ihre letztlich auf Angst basierenden Aggressionen zu verringern.

Mit Trauma-Coaches gegen Aggressionen

Als Antwort auf Mangel an ausgebildeten Psychotherapeuten werden dafür sozial kompetente Laien, die aus dem Kulturkreis der Geflüchteten stammen und deren Sprache sprechen, in kurzer Zeit zu "Trauma-Coaches" ausgebildet.

Ihr Ziel sei es, den Männern die Angst zu nehmen, ständig zuschlagen zu müssen. Sie könnten natürlich nicht jede psychische Erkrankung behandeln – eine ausgewachsene Persönlichkeitsstörung sei für sie "eine Nummer zu groß", sagt Prof. Elbert.

Nur ein Bruchteil der Traumatisierten ist in Behandlung

Bei einer solchen Diagnose stelle sich die Frage: wohin? - Die Plätze seien rar und zudem werde dann auch oft ein Dolmetscher benötigt.

Während die Zahl geflüchteter Menschen weltweit einen neuen Höchststand erreicht, würden die nötigen Versorgungsstrukturen in Deutschland unzureichend gefördert, kritisiert die bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BafF).

Laut einer Studie der Arbeitsgemeinschaft konnten im Jahr 2022 bundesweit nur 3,1 Prozent des psychosozialen Versorgungsbedarfs gedeckt werden – und das bei prekärer Finanzierung. Demnach sind "zeitlich begrenzte und eingeschränkte öffentliche Fördermittel" nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Eine Therapie wegen depressiver Erkrankungen und Posttraumatischer Belastungsstörungen bräuchten aber etwa 30 Prozent der Geflüchteten in Deutschland, heißt es in dem Bericht "Flucht und Gewalt. Psychosozialer Versorgungsbericht Deutschland 2024". Ende 2023 lebten nach UN-Angaben 2,6 Millionen Flüchtlinge und Schutzsuchende in der Bundesrepublik.

Die Frage der Verantwortung und Fluchtursachen, die wachsen

Elbert geht davon aus, dass mit der Aufnahme auch eine Verantwortung für sie übernommen wird – und sieht angesichts der prekären Situation keine Möglichkeit zur unbegrenzten Aufnahme: "Wenn wir es nicht schaffen, eine neue Regulation im Asylsystem hinzubekommen, wird Deutschland in dieser Form nicht weiterexistieren können", sagt er.

Das Recht auf politisches Asyl für Verfolgte muss aus seiner Sicht weiter gewährleistet werden, ansonsten sei aber Hilfe vor Ort in den Herkunftsländern gefragt. Die Vereinten Nationen gehen allerdings davon aus, dass bewaffnete Konflikte und Fluchtbewegungen zunehmen werden, je ungebremster die Klimakatastrophe fortschreitet.