Extinction Rebellion - Inneneinsichten einer ökopopulistischen Sekte

Seite 4: Inhaltsleere & mangelnde politische Bildung

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Zu meinen ersten Eindrücken von XR gehörte auch eine erstaunliche Inhaltsleere. Mit der 2. Forderung, die Welt solle bis 2025 klimaneutral wirtschaften, wirkt die Bewegung auf den ersten Blick zwar sehr radikal - aber die Forderung ist so offenkundig unrealistisch, dass man den Verdacht nicht los wird, es eher mit einem der typischen Werbeversprechen des Co-Gründers Roger Hallam zu tun zu haben, der für seine PR-Tricks auch sonst nicht unbekannt ist.

Über "2025" hinausgehende inhaltliche Positionen findet man bei XR nicht. Alles Weitere soll von der in der 3. Forderung genannten Bürgerversammlung beschlossen werden, deren Ergebnissen XR bequemerweise nicht vorgreifen möchte. Diese Ergänzung der parlamentarischen Demokratie bei gleichzeitiger Abwesenheit jeglicher konkreter Position (nicht einmal die Nutzung von Atomenergie wird ausgeschlossen) lässt sich kaum als "radikal" - also als "an die Wurzeln gehend" verstehen.

Die Bewegung tritt gern so auf, als hätte sie zivilen Ungehorsam als erste entdeckt, ja gleichsam erfunden.3 "Demonstrieren reicht nicht mehr!", jetzt müssen andere Mittel her! - und so werden vor allem medienwirksame Aktionen durchgeführt, bei denen größter Wert darauf gelegt wird fotogen zu sein, damit es Journalisten, die man zu lenken hofft, auch bestmöglich radikal erscheint. Ohne die Dramaturgie ist es dennoch nicht mehr als bspw. die "Besetzung" eines Büros der Linkspartei in Berlin, wo man tatsächlich auf Einladung der Partei gekommen war und mit Erlaubnis der Gastgeberin für ein paar Minuten ein Banner aus dem Fenster hängen durfte. Faktisch wurde nichts besetzt, aber es sah gut aus, als PR-Gag reichte es.

Das grundsätzliche Problem ist aber ein anderes: Bei den Aktivisten ist ein erschreckender Mangel an politischer Bildung und politischem Bewusstsein zu verzeichnen - was zunächst keine Schuldzuweisung sein soll. Viele, wenn nicht die meisten, waren zuvor nie politisch tätig. Mit der Geschichte von Widerstand und sozialen Bewegungen sind sie wenig oder gar nicht vertraut. Inhaltliche Auseinandersetzungen fanden auf den von mir besuchten Plena so gut wie nicht statt. Wer Lust zum Diskutieren hat, macht dies in männlich dominierten Onlineforen oder in besonderen Arbeitsgruppen - die aber selten sind. Wer sich in politischen Debatten noch nicht zu Hause fühlt, bleibt diesen lieber fern und lernt das dazugehörige Handwerkszeug daher nicht.

In Einzelfällen kam es bei Plena zwar zu kontroversen inhaltlichen Diskussionen - selbstverständlich zeitlich begrenzt. Beim "Check-out" äußerten dann aber erschreckend viele "RebellInnen", die Diskussion habe sie sehr "angestrengt" und "erschöpft". Grundsätzlich habe man aber überhaupt keine Zeit, sich mit Analysen oder theoretischen Fragen zu beschäftigen, gar zu diskutieren, weil man ja schnell die Welt retten muss. Man würde gern sagen, dies sei eine polemische Übertreibung. Es war aber so. Radikale oder überhaupt nur politische Positionen entwickelt man so nicht.

Auch die Umsetzung der Forderungen ist von vornherein ausgeschlossen, da nicht darüber diskutiert werden kann, wie man sie umsetzen möchte - es wird nicht mal diskutiert, wer sie umsetzen könnte und sollte. Folgerichtig stehen die "Aktionen" kaum einen Zusammenhang mit den Forderungen (und Prinzipien). Für viele scheint die Identitätsfrage eine große Rolle beim Engagement zu spielen. Während der "Berlin-Blockade" war der Ruf "Extinction - Rebellion!" die am häufigsten gerufene Parole - nicht anders, als Fußballfans den Namen ihres jeweiligen Vereins rufen.

Das Konzept der Bürgerversammlungen hat nicht nur in Deutschland keine große Tradition. Die Tatsache, dass sich innerhalb weniger Monate weltweit zehntausende junger Menschen plötzlich die Forderung nach der Einrichtung von Bürgerversammlungen zu eigen machten, stimmt zumindest nachdenklich. Kennen sie dieses Konzept wirklich und sind sie wirklich so davon mitgerissen - oder steckt etwas Anderes hinter ihrer festen Überzeugung, XR könne damit die Welt retten?

Wie bei XR insgesamt gilt auch hier: Das Programm wurde von einer kleinen Personengruppe vorgegeben, denen man die Kompetenz offenbar zutraut. Veränderungen sind in ihm nicht vorgesehen, mithin gibt es also auch keinen Diskussionsbedarf. Wer sich zu den drei Forderungen und zehn Prinzipien "bekennt", kann als "XR" öffentlich auftreten. Die Anlehnung an die "Heilige Dreifaltigkeit" und zehn Gebote wird kein Zufall sein, sie ist - wie so vieles bei XR - Grundlage für ein geschicktes Marketing. Aber ja, es hat die Struktur einer Bekenntnisreligion.