Extinction Rebellion - Inneneinsichten einer ökopopulistischen Sekte
Seite 7: Konflikt & Machtmissbrauch: Zuspitzung
Noch am selben Abend forderte Ludwig*, einer der lokalen Führer, mich in einem Zwischen-Tür-und-Angel-Gespräch auf, XR zu verlassen, weil ich "zu links" sei. Überrascht wies ich sein Anliegen zurück. Es war die Zeit, als die Holocaust-Relativierungen Roger Hallams auch bei XR hohe Wellen schlugen. Auf der Internetplattform Mattermost erklärte eine ganze Reihe von AktivistInnen einen Streik. Zu ihren Forderungen gehörte der Ausschluss von Roger Hallam aus XR.
Hier postete Ludwig* am 3. Dezember 2019 eine Aufforderung an die Streikenden, XR zu verlassen. Er drückte seinen Wunsch aus, mit seinen Kindern "nicht auf der falschen Seite der Mauer" leben zu wollen und führte etwas aus, was ich als "lieber Ökofaschismus als Weltuntergang" las. Er forderte, den Aktivismus nicht durch Diskussionen zu stören. Meinen scharf formulierten Widerspruch interpretierte Ludwig* als Beleidigung: Ich hätte ihn "Nazi" genannt - was ich selbstredend nicht getan hatte. Wer Jahrzehnte in der Zeitgeschichtsforschung unterwegs ist, schaut nun mal genauer hin.
Schnell wurde die Auseinandersetzung durch einen gegen mich gerichteten Shitstorm abgelöst, an dem sich einige Leute aus der Leipziger XR-Führungsriege beteiligten. Um Inhalte ging es dabei nicht mehr, die Kampagne weitete sich auf weitere Mobbingversuche aus. Wenige Tage später forderte Ludwig*, man müsse besprechen "wie wir mit menschen umgehen, die zwar zu unseren plena kommen, aber unsere forderungen/prinzipien/vision der veränderung nicht unterstützen".
Es wäre möglich gewesen, das Problem auf dem folgenden Plenum zu besprechen - mit dem offensichtlichen Nachteil, dass die inhaltlichen Fragen auf den Tisch gekommen wären. Statt dessen wurde mit einem Bericht vom "nationalen" Treffen und einer "Dragons Dream" genannten Methode die Zeit ohne Diskussionen herumgebracht - dadurch wurden auch der eigentlich fest vereinbarte inhaltliche Input und Möglichkeiten zur Diskussion vermieden.
Innerhalb kürzester Zeit wurde noch im Dezember 2019 in einem intransparenten Verfahren ein "Gremium" gebildet, das eine Konfliktvermittlung und ggf. ein Ausschlussverfahren gegen mich gestalten und moderieren sollte. An der Ausarbeitung des Verfahrens war neben Norman*, der als Heilpraktiker in Leipzig tätig ist, auch der als "Waldmensch" bekannt gewordene Esoteriker Jürgen Wagner (Alias "Öff Öff", XR Marburg) beteiligt. Beide bildeten mit wenigen anderen die bundesweite Projektarbeitsgruppe (PAG) "DNA Care". Die Protokolle der Sitzungen des Leipziger "Gremiums" wurden genauso geheim gehalten wie seine Zusammensetzung. Wem das jetzt wie ein schlechter Roman vorkommt, hat mein volles Verständnis.
Statt einer Konfliktmoderation zwischen mir und Ludwig* kündigte das "Gremium" die Durchführung eines "Restorative Empathy Circles" (REC) zur Moderation eines Gruppenkonfliktes an. Der Grund dafür sei, dass ich "Unruhe in die Gruppe gebracht" habe und eine unüberschaubare Anzahl von Beschwerden gegen mich vorläge. In diesem Zusammenhang wurde ich von Norman* mehrfach als "Täter" bezeichnet. Was meine "Taten" und wer meine "Opfer" waren, wusste das "Gremium" angeblich nicht - ebensowenig wie es die Zahl meiner "Opfer" nennen wollte.
Gedanken an die Heilige Inquisition sind schwer zu verdrängen, wenn man Gerüchte herrschen lässt. Ketzer in 21. Jahrhundert überleben immerhin und kommen manchmal auch zu überraschenden Einsichten: Wenige Wochen später erfuhr ich, dass mich Norman* und Steven*, der auch in Leipziger autonomen Awareness-Strukturen tätig ist, während der Prozessvorbereitung von A bis Z belogen hatten: Im "Gremium" hatten sich tatsächlich im wesentlichen Leute gesammelt, die irgendwie geartete Probleme mit mir hatten. Ein Versuch, diverse Positionen einzubeziehen, wie es das XR-SOS-Handbuch vorsieht, wurde nicht unternommen.
Dem "Gremium" waren also Zahl und Inhalte der gegen mich erhobenen Vorwürfe nur zu gut bekannt. Hinter der gebetsmühlenartig wiederholten Formel, man führe das Verfahren "nach bestem Wissen und Gewissen" durch, stand also nichts als systematische Unaufrichtigkeit. Genauso systematisch verschleierten die Mitglieder des "Gremiums" den Charakter der AG auch gegenüber dem Rest der Ortsgruppe. Zu all dem passt, dass mir "freigestellt" wurde, mich dem REC zu unterziehen: "Die Nichtteilnahme am REC führt automatisch zum Ausschluss."
Den "Restorative Empathy Circle" hat man sich wie eine filmreife Sektensitzung vorzustellen: In der Mitte standen vier Stühle. Zwei für Heilpraktiker Norman*, der moderierte, und den Co-Moderator, einer für mich; der vierte Platz war Personen vorbehalten, die nacheinander ihre Anklagen gegen mich vorbringen sollten. Im äußeren Stuhlkreis hatten weitere ca. 20 Personen aus der Leipziger XR-Ortsgruppe Platz genommen, diese hatten sich aber nicht einzubringen, sie sollten, so nötig, am Ende ein Urteil sprechen.
AktivistInnen, die noch nicht lange bei XR waren, waren ausdrücklich aufgefordert worden, der Veranstaltung fernzubleiben - die Führungsriege befürchtete offenbar diese noch "ungefestigten" Köpfe mit so einem Verfahren abzustoßen; außerdem bestand die Gefahr, die "Neuen" könnten das zuvor geschaffene dämonische Bild von mir nicht mit jenem zusammenbringen, das sie sich in den zurückliegenden Plena von mir hatten machen können. Schließlich ging es um einen Ausschluss, den man sich nicht durch unsichere Kantonisten verderben lassen wollte.
Bis zum Beginn des REC wurde ich über die Inhalte der gegen mich erhobenen Vorwürfe, über Zahl und Identität der BeschwerdeführerInnen im Unklaren gelassen - eine klassische Methode zur Erhöhung des psychischen Drucks. So erwartete ich gespannt die Enthüllung, wer meine vielen "Opfer" denn nun sein würden, die sich monatelang nicht getraut hatten, mich mal anzusprechen, um sich über mein Fehlverhalten zu beschweren.
Als Norman* in den äußeren Kreis fragte, wer zu mir in den Circle steigen wolle, meldeten sich ausschließlich Leute aus der Führungsriege von XR-Leipzig. In meiner Einschätzung durchweg einigermaßen selbstbewußte und eloquente Leute, die bestimmt nicht zu schüchtern sind, jemanden anzusprechen oder um ein klärendes Gespräch zu bitten. Aus dem "emotionalen Ausgleich" wurde nichts. Ludwig*, der mir als erstes gegenübersaß, erklärte, nach den fast drei Monaten, die seit unserem Streit vergangen waren, seien seine Emotionen nicht mehr aktuell. Stattdessen fragte er mich nun nach meiner Motivation, bei XR mitzuwirken - und ob ich hinter den 3 Forderungen und 10 Prinzipien stehe. Wie in einem Trivialroman versuchte Ludwig* sich in der Rolle des Gesinnungspolizisten in einem politischen Schauprozess. Und schon der gemeine Leser weiß: Wer da mitspielt, hat verloren. Also lässt man es besser.
Den weiteren Ablauf - mit zwei weiteren Beschwerdeführerinnen - werde ich an dieser Stelle nicht ausführlich referieren, erwähnt sei aber das Ende der Veranstaltung: Ludwig* forderte eine Abstimmung über meinen Ausschluss. Da dies offenbar für viele trotz der Inszenierung zu überraschend kam, konnte er sich damit nicht durchsetzen. Ein Folgetreffen wurde anberaumt.
Nach dem Verlassen des Gebäudes ließ Ludwig* seiner Frustration freien Lauf, indem er herumbrüllte, über die Nachteile der Demokratie schimpfte und Teile einer Baustellenabsperrung herumwarf. Soweit zur Gewaltfreiheit. Ich erklärte etwas später auf Mattermost, dass und warum ich XR verlasse. Es folgte ein Shitstorm streng nach Lehrbuch, neue, wenig phantasievolle Vorwürfe wurden in Umlauf gebracht. Von Mobbing könne gar keine Rede sein, ich sei der Lügner, ein Macker, der Inbegriff toxischer Männlichkeit, der jedes Paradies vergiftet, und im übrigen hätte ich zur Sachbeschädigung aufgerufen.
Auch Bundespressesprecher Tino Pfaff schaltete sich wieder ein, bereit, allem beizupflichten, was man ihm zutrug. Die 1. Forderung von XR "Sagt die Wahrheit!" und das XR-Prinzip "No shaming, no blaming" gelten offenbar nicht im Umgang mit KritikerInnen.
Das eigentlich Erschreckende jedoch ist das Fehlen von Reaktionen auf die Rituale der Unwürde. Weder der Machtmißbrauch, der zur Zensur der Mailingliste durch einen kleinen Führungszirkel am Plenum vorbei führte, noch das allen Prinzipien widersprechende Zustandekommen des Inquisitionsgremiums, noch der Ablauf des Verfahrens wurde von den Leipziger "RebellInnen" als Problem angesehen. Großes Geschrei gibt es immer nur, wenn sich KritikerInnen vermeintlich nicht an die Regeln halten - Urteilskraft gilt nur als Verurteilungskraft.
Wie wenig die "RebellInnen" bereit waren, sich auf die inhaltliche Auseinandersetzung einzulassen, zeigt das Protokoll eines Plenums der Gruppe Leipzig-Ost vom 11. März 2020, bei dem über das Verfahren gesprochen wurde: Dieses sei "nicht optimal gelaufen, aber war nötig und gut, dass es stattgefunden hat". Und: "wir müssen für die Zukunft auch daran denken, wie wir 'toxische Trolle' aus Plena/OG ausschließen."