Falken und Masterpläne

Seite 3: Auf wie viel Unterstützung trifft die al-Qaida-Ideologie in Syrien?

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Anfänglich kam Syriens Rebellen die Kampfkraft von Jabhet al-Nusra (JaN) und ISIS sehr zupass. Mittlerweile aber formierten sich nicht minder schlagkräftige, rein syrische Batallione, die ihren Kampf offenkundig ohne die Ausländer von al-Qaida fortsetzen wollen.

Auch wenn ihnen dies, wie es momentan den Anschein hat, gelingen könnte - manche bezweifeln dies und machen selbst für den militärischen Erfolgsfall Einwände geltend, die manche Hoffnungen auch aus dem Westen schmälern - laut al-Monitor unterstützen die USA den Kampf des "syrischen Dschihad" gegen die Dschihadisten von ISIS. Schon macht die Rede von "Syrian awakening movements" die konspirative Runde. Warum sollte in Syrien nicht klappen, was seinerzeit im Irak funktionierte?

Motive und Unterstützer gibt es. So berichtet Khaled Yacoub Oweis, dass Saudi-Arabien in Syrien ein Gegengewicht zu seinem Angstgegner al-Qaida schaffen will. Dieses bestünde aus erzkonservativen, aber nicht-dschihadistischen Gruppierungen wie Zahran Alloushs Liwa‘ al-Islam oder Abdel Qader al-Salehs Liwa‘ al-Tawhid. Laut Oweis geht die Initiative indirekt von staatlicher Seite aus - so hätten saudische Clanführer im Auftrag des saudischen Geheimdienstes das Rebellenterrain in Syrien sondiert und Kandidaten, die ihren Vorstellungen entsprechen, herausgepickt.

Oweis' Reportage scheint somit die These der Syrien-Beobachter Joshua Landis und Aaron Lund zu untermauern, dass noch alles im Werden begriffen ist und sich der radikale Salafismus nur als Übergangserscheinung in den syrischen Kriegswirren entpuppen könnte. Allerdings verweist Oweis selbst noch auf eine andere These. Diese stammt von dem libanesischen Journalisten Hazem al-Amin, politischer Kommentator bei Al-Hayat.

Die Unterschiede zum Irak

Hazem al-Amin vertrat schon Ende September 2013 die Ansicht, wonach die "salafistischen" Brigaden von Damaskus nur das Abbild der "Sahwa-Bewegung" von Baghdad sein könnten (Das große "Erwachen" im Irak).

Al-Amin betont zwar die Mühe, die sich Syriens salafistische Rebellen (zu denen er ausnahmslos alle von Telepolis bislang vorgestellten Brigadenführer zählt) geben, um sich vom globalen Dschihad al-Qaidas zu distanzieren und stattdessen einen "vaterländischen Salafismus" zu schaffen, doch er glaubt nicht an den Erfolg ihres Plans.

Denn: Syriens Sozialgefüge würde sich grundlegend von dem des Irak unterscheiden. Dort hatten sich 2005 die Sahwa-Milizen formiert - auch bekannt unter dem Namen "Söhne des Irak" -, um die al-Qaida-Kämpfer aus ihren Regionen zu vertreiben. Dass dies gelang, sei vor allem ihrem Islamverständnis zu verdanken, das dem al-Qaida-eigenen Takfir-Denken völlig fremd gegenübersteht.

Von der gewachsenen Stärke dieser irakischen Stammessöhne seien die neuen syrischen Rebellenstars jedoch weit entfernt, glaubt al-Amin. Tatsächlich entstammten diese jenen ländlichen Kreisen, in denen es weder Agrarwirtschaft noch Industrie gibt. Die sie umgebende ökonomische und geistige Öde, aufoktoyiert von einem nicht-sunnitischen Regime, habe sie für salafistische Thesen empfänglich gemacht.

Diese Gesellschaftsschicht habe nichts mit den syrischen Beduinenstämmen gemein, die Landwirtschaft betreiben. Und auch nicht mit dem urbanen Sunnitentum, dessen sufistische Orientierung der Assad-Clan im eigenen Interesse stark kultivierte und wirtschaftlich belohnte.

Das syrische Sozialgefüge sei somit stark fragmentarisiert und der neue Salafismus der jungen Rebellen eine einzige Reaktion auf ihre Unterjochung und Perspektivlosigkeit. Dies, so al-Amin, sei kaum die geeignete Basis, um eine Alternative zu al-Qaida zu formieren. Eher würden die neuen Rebellen selbst zu al-Qaida werden, schreibt er.

Und die gemeinsame Basis?

Al-Amin hat recht: Syrien weist eine schier unendliche Vielfalt an Gesellschaftsschichten auf, die wenig miteinander teilen und sich gegenseitig nicht einmal recht kennen. Dass dies in einem Land, das halb so groß wie Deutschland ist, überhaupt möglich ist, verdankt sich einem traditionellen Clandenken, das die Diktatur noch perfide kultivierte, indem sie die Bevölkerungsteile fünf Jahrzehnte lang gegeneinander ausspielte und voneinander isolierte.

Vor diesem zerklüfteten Hintergrund erklärt sich auch, weshalb die Prognosen bezüglich der Erfolgsaussichten des radikalen Islams derart unterschiedlich ausfallen: Fast scheint, als sei die gesamtsyrische Situation nur im trial & error-Verfahren zu erfassen.

Dies freilich führt zu einer anderen Frage: Selbst wenn sich al-Qaida langfristig nicht durchsetzt - was soll die Syrer nach dem, was vor 2011 war und dem, was seither ist, wieder zusammenschweißen? Auf welcher Basis können die verschiedenen Bevölkerungsgruppierungen zu einem Volk werden?