Fall Mollath: Verwerfungen unter der Oberfläche des Rechtsstaats

Seite 2: Was muss anders werden?

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Kein Einzelfall

Doch der Fall Mollath ist, auch das hat der Abend im Literaturhaus gezeigt, kein Einzelfall. Wenngleich jedes Justizopfer seine eigene Geschichte hat, so gibt es doch immer wieder Gemeinsamkeiten, die darauf deuten, dass es unter der Oberfläche des Rechtsstaates, gewaltige Verwerfungen gibt.

Schlampige Ermittlungen auf Seiten der Polizei, Staatsanwälte, die entweder nicht motiviert oder gleich übermotiviert sind, Richter, die eine ganz eigenartige Auffassung vom Recht haben, psychiatrische Gutachter, die ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden und, schließlich, eine Politik, die mit Nachdruck diese Verhältnisse ignoriert. Namen und Fälle wie Gustl Mollath, Ulvi Kulac, Horst Arnold, Harry Wörz, Rudi Rupp oder Mandy Kopp sind vermutlich nur die Spitze des Eisbergs.

Doch wenn man diese Fälle nun zum Anlass nimmt, um einen generellen Feldzug gegen die Justiz oder gegen "das System" zu starten, dann schießt man leicht über das Ziel hinaus. Die genannten Fälle, genauso wie die vermutlich vielen unbekannten Fälle, sind nicht zwangsläufig der Beweis, dass das Justizsystem nicht funktioniert, wie es bisweilen dargestellt wird. Fälle wie der Fall Mollath zeigen vielmehr, dass in der Mitte "des Systems" Akteure eine Rolle spielen, die von innen, also aus "dem System" selbst heraus, das System untergraben.

Im Literaturhaus sagte Mollaths Verteidiger Gerhard Strate sinngemäß, es bedürfe keiner Systemveränderung. Wenn nur alle ihren Job anständig machen würden, wäre schon viel gewonnen. Diese Erkenntnis ist, einerseits, nicht falsch, andererseits: Die Realität zeigt immer wieder, dass Vertreter des Gesetzes die Rechtsprechung geradezu pervertieren.

Was muss anders werden?

Eine ernsthafte Reform, die die Absicht hat, auch zukünftig zu erwartende gravierende Fehlurteile so weit wie nur möglich zu reduzieren, muss an mindestens drei Punkten ansetzen. Sie darf nicht nur von systemischen Schwächen reden, sondern muss erkennen, dass es Akteure gibt, die ihre tragende Position innerhalb des Systems nicht gerecht werden können oder aber schlimmer, ihr nicht gerecht werden wollen. Inkompetenz und "Machtmissbrauch" gehen mitunter Hand in Hand. Diese Personen sind zu identifizieren und es muss ein vernünftiger Weg gefunden werden, wie man mit ihnen umgeht.

An zweiter Stelle, und das ist ein langwieriger Weg, muss eine Fehlerkultur auf Behördenebene entwickelt werden, die nicht von Verdeckung und Verschleierung geprägt ist. Hier sind z.B. bereits die Universitäten gefragt, die die angehenden Juristen fachlich vorbereiten. Da die Etablierung einer der Verantwortung der Justiz und anderer staatlicher Stellen gerecht werdenden Fehlerkultur wohl nur im Dekadenbereich zu erwarten ist, müssen drittens schnellstmöglich Strukturergänzungen geschaffen werden, die den systemischen Unzulänglichkeiten, die vorhanden sind, entgegenwirken können.

Die Möglichkeiten, die die bestehenden Strukturen bieten, um einmal gesprochenes Unrecht zu korrigieren, reichen nicht aus, um gravierende Fehlurteile zu verhindern. Das zeigen ein ums andere Mal Fälle, in denen Bürger Opfer der Justiz werden.

Man kann natürlich auch die Position beziehen, dass doch letztlich das Bundesverfassungsgericht eine "klare Kante" im Fall Mollath gezeigt hat, oder aber, dass der 1. Strafsenat des Oberlandesgericht Nürnberg den Rechtsstaat in Sachen Mollath durch die Anordnung des Wiederaufnahmeverfahrens wieder hergestellt hat. Aber: Ein Rechtsstaat, der mit seinen bestehenden Strukturen viele Jahre braucht, um Unrecht zu korrigieren, benötigt dringend ein paar "Upgrades".

Gustl Mollath hat derweil selbst einen Schritt in die richtige Richtung unternommen. Mollath hat Medienberichten zufolge einen Verein gegen Machtmissbrauch gegründet. Die Initiative mit dem Namen "Macht braucht Kontrolle, wirksame Kontrolle" will sich gegen den Machtmissbrauch von Justiz, Psychiatrie, Politik und Banken stellen.

Allerdings: Dass ein Justizopfer selbst durch die Gründung eines Vereins den Versuch unternehmen muss, staatlichem Machtmissbrauch entgegenzutreten, lässt tief blicken. Die politischen Entscheidungsträger scheinen noch immer nicht gewillt, dem immer wieder zu identifizierendem Unrecht im Namen des Rechts grundlegend entgegenzutreten. Stattdessen setzt die neue Regierungskoalition mit schwammigen Worten im Koalitionsvertrag auf zu erwartendes Flickwerk. Im Vertrag heißt es: "Wir reformieren das Recht der strafrechtlichen Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern, indem wir insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stärker zur Wirkung verhelfen. Hierzu setzen wir eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ein." Grundlegende Veränderungen klingen anders.

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