Falschinformation zu Corona: Opposition übt Kritik an Gesundheitsministerium

Kampagne verbreitete inmitten neuer Impfoffensive Fehlinformation zu Covid-Risiko. Hinreichend korrigiert wurden die Angaben bis heute nicht. Warum das problematisch ist.

Vertreter der Opposition im Bundestag üben Kritik am Umgang des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) mit Falschinformationen in einer millionenschweren Regierungskampagne zur Corona-Pandemie. Der Fall befeuert erneut auch die Debatte über die Kompetenz von Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Der SPD-Politiker steht derzeit wegen seines Krisenmanagements ohnehin schon unter Druck.

Zu Beginn dieser Woche war bekannt geworden, dass das BMG deutlich überhöhte Angaben zur aktuellen gesundheitlichen Gefährdungslage durch Sars-CoV-2 verbreitet hatte. In einem sogenannten Fakten-Booster hieß es unter anderem: "Etwa zehn Prozent der in Deutschland erkrankten Personen werden aufgrund eines schweren Covid-19-Verlaufs im Krankenhaus behandelt."

Diese Zahl aber war massiv überhöht und stand in einem deutlichen Widerspruch zu aktuellen Statistiken der Gesundheitsbehörden.

Auf Hinweise und Nachfragen von Medien – darunter auch von Telepolis – hatte das Ministerium zunächst ausweichend reagiert. Am Dienstagmorgen nahm das maßgeblich verantwortliche BMG den sogenannten Fakten-Booster – einer Art Faktencheck im Namen des BMG, der Internetseite zusammengegencorona.de, des Robert-Koch-Instituts (RKI) und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung – offline.

Allerdings war die Falschinformation bereits in die Welt gesetzt. Eine entsprechende großflächige Anzeige war in regionalen Tageszeitungen, in Anzeigenblättern und in türkischen Zeitungen veröffentlicht worden – gegen Bezahlung: Die gesamte Kampagne kostet fünf Millionen Euro, wie es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion im Bundestag hieß.

In einer E-Mail an Pressevertreter bezeichnete das BMG die Falschaussage nach Löschung aus dem Netz als "missverständlich". Es habe richtig heißen müssen, "bis zu zehn Prozent" der in Deutschland erkrankten Personen würden aufgrund eines schweren Covid-19-Verlaufs im Krankenhaus behandelt: "Aktuell liegt der Anteil laut RKI deutlich niedriger – und zwar zwischen vier und fünf Prozent." Aufgrund von Hinweisen Dritter habe das BMG die Kampagne korrigiert.

Klassische Krisenkommunikation eben: Man gibt so viel zu, wie man muss und versucht die Sache auszusitzen.

Kritik von Opposition im Bundestag

Trotz der Löschung der Falschinformationen fordern Vertreter der Oppositionsfraktionen im Bundestag nun weitere Konsequenzen. Der Abgeordnete der Linken, Andrej Hunko, warf der Bundesregierung vor, aus Einschätzungen des Sachverständigenrats nichts gelernt zu haben. Das Gremium berät die Bundesregierung zur Pandemiepolitik und hatte politische Maßnahmen sowie die Krisenkommunikation beanstandet.

"Unbeirrt setzt das Gesundheitsministerium eine Risikokommunikation fort, die mit öffentlicher Gesundheit wenig zu tun hat", so Hunko gegenüber Telepolis: "Statt evidenzbasiert, sachlich und differenziert Risiken zu kommunizieren, setzt Gesundheitsminister Karl Lauterbach weiter auf Angst."

Dass sein Ministerium dazu offenbar auch Daten manipulativ darstelle, sei ein Skandal. Es sei überfällig, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Stattdessen zerstöre die Bundesregierung dieses Vertrauen immer weiter.

Die fast stillschweigende Löschung der Falschinformation ist auch dem CSU-Bundestagsabgeordneten und Mediziner Stephan Pilsinger zu wenig.

Dass Bundesminister Lauterbach sein Haus offenbar angewiesen hat, seinen eigenen "Fakten-Booster" wieder zu löschen, nachdem festgestellt wurde, dass die Fakten nicht Fakten sind, kann ich mir gut vorstellen. Wenn vermeintliche Fakten als nicht zutreffend erkannt werden, muss man sie eben korrigieren, nicht in toto löschen.

Wie wir in den vergangenen Monaten sehen mussten, widerspricht der Bundesminister und Bundestagsabgeordnete Lauterbach dem Wissenschaftler und der Privatperson Prof. Dr. Lauterbach in öffentlichen Statements oder via Twitter nicht selten noch am gleichen Tag. Das verunsichert die Bevölkerung zutiefst und ist für einen Bundesminister – auch noch in einer Pandemielage – untragbar.

Stephan Pilsinger, CSU

Als eines der Probleme bezeichnet Pilsinger auch "mangelnde bis nicht vorhandene Kommunikation" des Ministers mit den Vertretern seines eigenen Hauses. Dies bekomme er als Abgeordneter immer wieder zu hören. "Bundeskanzler Scholz sollte sich überlegen, ob er seinen Minister nicht bald einmal zu einem grundlegenden Rapport bestellt", so der CSU-Abgeordnete gegenüber Telepolis.

Ministerium versendet nur Mail, RKI schweigt

Im BMG und im mitverantwortlichen Robert-Koch-Institut versucht man die Kritik an dem Fauxpas auszusitzen. Auf mehrfache Nachfrage unserer Redaktion zog man sich im Ministerium auf das zitierte Statement zurück. Zwei zentrale Fragen aber ließ das BMG unbeantwortet.

Erstens, ob die Falschinformation über die Gefährdungslage bei einer Covid-19-Erkrankung an der Stelle korrigiert wird, an der sie verbreitet wurde: in Printmedien und Radiospots der Republik. Das ist presserechtlich Standard.

Und zweitens, ob und wie das Qualitätsmanagement im Pressestab des Ministeriums verändert wird, um ähnliche Fehler künftig zu vermeiden.

Eine Korrektur der irreführenden Angabe ist auch auf der vom BMG betriebenen Seite zusammengegencorona.de, die auch von RKI und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mitverantwortet wird, bis heute nicht zu finden. Auch wird dort nicht über den Fehler aufgeklärt. Der Fake-Faken-Booster ist schlichtweg verschwunden.

In Antworten an Medien hatte das BMG zuvor noch erklärt, man habe "unter anderem" eine Mail über einen Presseverteiler geschickt. Tatsächlich sind bis heute wohl keine weiteren Korrekturmaßnahmen erfolgt.

Auch beim RKI hüllt man sich in Schweigen. "Bitte wenden Sie sich ans BMG, das die Federführung hat", hieß es von dort auf Telepolis-Anfrage. Und: "Das RKI äußert sich generell nicht zu behördeninterner Kommunikation."

Das Gesundheitsministerium und das Robert-Koch-Institut nehmen damit nicht nur in Kauf, dass Bürgerinnen und Bürger sich aufgrund der falschen Risikoangabe aus dem "Fakten-Booster" zu einer Impfung entscheiden – und befördern damit den Vorwurf von Maßnahmengegnern jeglicher Couleur, die Bundesregierung betreibe Panikmache.

Die verantwortlichen Institutionen untergraben mit ihrer Krisenkommunikation aber auch grundsätzlich ihre Autorität. Denn der Umgang mit der verbreiteten Falschinformation und dem eigenen Fehler ist maßgeblich darauf ausgerichtet, sich selbst zu schützen. Die gesundheitliche Aufklärung und der Schutz der Bürgerinnen und Bürger scheint diesem Ziel untergeordnet.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.