Fernsehen soll böse und kriminell machen

Eine Studie aus Neuseeland sieht einen Zusammenhang zwischen dem Fernsehkonsum in der Kindheit und antisozialem Verhalten im Erwachsenenalter

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Die Umwelt macht uns böse, vielleicht sind es auch die Gene oder irgendwie beides zusammen. Derzeit sind Hauptschuldige gerne die Medien. Für manche eher das Internet oder die Sozialen Netzwerke, andere arbeiten sich weiter an den negativen Auswirkungen des Fernsehens ab. Das macht dumm, dick und fördert die Aggression, wurde uns schon gesagt. Jetzt kommt eine neue Variante dazu: Kinder, die zu lange vor der Glotze sitzen, sollen dazu auch noch eher kriminell werden können.

Neuseeländische Wissenschaftler von der University of Otago haben für ihre Studie, die in der Zeitschrift Pediatrics veröffentlicht wurde, 1032 Personen beobachtet. Sie wurden 1972-1973 in Dunedin geboren und alle zwei Jahre im Alter zwischen 5 bis 15 Jahren befragt, wie lange sie normalerweise fernsehen. Untersuchte werden sollte, ob der Fernsehkonsum mit kriminellen Straftaten, Persönlichkeitsstörungen und Aggressivität verbunden ist.

Seit den 1950er Jahren wurden die Kinder mehr und mehr vom Fernsehen massiert. Während der Vater noch Zeitung liest, glotzen die Kleinen. Bild: Gottscho-Schleisner 1950/Library of Congress. Reproduction Number LC-G613-T01-57609

Und das stellte sich auch so heraus. Bei Kindern, die nur mehr Zeit vor dem Fernseher verbrachten, also unabhängig von den Sendungen, soll mit jeder Stunde mehr täglicher Fernsehzeit die Wahrscheinlichkeit um 30 Prozent höher sein, schon als junge Erwachsene strafrechtlich verurteilt zu werden. Das wäre dann eine mediale Massage, die um so kräftiger wirkt, je länger sie Tag für Tag andauert. Ob die Vielglotzer nur eher erwischt wurden oder tatsächlich mehr kriminelle Taten begangen haben, geht aus der Studie nicht hervor. Sie sollen auch stärker "antisoziale Persönlichkeitszüge" haben, die möglicherweise mit Kriminalität einhergehen.

Nach der Studie soll der langfristige Effekt unabhängig vom Geschlecht sein, was allerdings zu denken gibt, weil normalerweise die Kriminalitätsraten von Männern und Frauen sehr unterschiedlich sind. Auch mit dem sozioökonomischen Status der Familien, aus denen die Kinder kommen, antisozialem Verhalten in früher Kinderheit oder Erziehungseinflüssen soll das Risiko nicht zusammenhängen, mit steigendem Fernsehkonsum in der Kindheit zusammen mit der Neigung zum kriminellen Verhalten eine antisoziale Persönlichkeitsstörung zu entwickeln.

Dazu gehören eine niedrige Frustrationstoleranz, Schwierigkeiten, längere Beziehungen aufzubauen, Nichteinhalten von sozialen und gesellschaftlichen Normen, Neigung zum Lügen und Betrügen, Aggressivität und Gewalt, Unfähigkeit, Schuld zu empfinden. Die Ursache ist nicht bekannt, normalerweise tritt die antisoziale Persönlichkeitsstörung verstärkt in der Jugend auf, deutlich öfter eben bei Männern als bei Frauen. In den USA wird nach einer Studie aus dem Jahr 2007 von einer Prävalenz von einem Prozent bei Erwachsenen ausgegangen. Deutlich höher ist die Prävalenz bei verurteilten Straftätern oder bei Menschen, die wegen Alkohol- oder Drogenabhängigkeit behandelt werden. Es soll auch einen Zusammenhang mit der Aufmerksamkeitsstörung ADHS geben.

Wie immer bei solchen Korrelationsstudien kann auch diese Studie bestenfalls nur einen Zusammenhang zwischen Fernsehkonsum und antisozialem Verhalten belegen. Ob der hohe Fernsehkonsum aber antisoziales Verhalten verursachen kann oder die Neigung zum antisozialen Verhalten dazu führt, mehr Zeit vor der Glotze zu verbringen, muss unbeantwortet bleiben. Ob also die Reduzierung des Fernsehkonsums bei Kindern trotz der fehlenden Kausalität zu einer Reduktion des antisozialen Verhaltens führt, wie die Wissenschaftler suggerieren, ist zweifelhaft. Zweifelhaft ist dies auch schon deswegen, weil der Fernsehkonsum in den letzten Jahrzehnten weiter angestiegen ist, was offenbar aber mit der Kriminalitätsrate wenig zu tun hat. Die geht nämlich seit Jahrzehnten in den meisten Industrieländern, in denen Kinder Zugang zum Fernsehen (und zu anderen Medien) haben, weiter zurück. Trotzdem ist es sich vernünftig, Kinder nicht allzulange vor der Glotze sitzen zu lassen, wobei man allerdings auch zwischen Seh- und Verweildauer unterscheiden müsste.

Und vielleicht hätten sich die neuseeländischen Wissenschaftler auch einmal mit den holländischen Wissenschaftlern unterhalten sollen, die in derselben Zeitschrift einen Zusammenhang zwischen der Musik, die Jugendliche bevorzugt hören, mit der späteren Neigung zu kleinkriminellem Verhalten konstatieren. Wer normalen Pop, Jazz oder klassische Musik hört, kann eher mit einer geringeren kriminellen Energie im späteren Alter rechnen, so die Wissenschaftler. Eltern sollten demgemäß einschreiten, wenn ihre Kinder Punk, Rock, Gothic oder Hard Rock, Blues oder Hip Hop oder auch elektronischer Tanzmusik zuneigen