Flotte Floskeln florieren

Im Journalismus ergänzen sich Inhaltsschwäche und floskelhafter Ausdruck nicht selten auf das Fragwürdigste. Aller schlechten Dinge seien hier (exemplarisch) drei.

Kritische Stimmen werfen weiten Teilen des Journalismus vor, wenig fundierte Inhalte zu bieten und das Ganze zudem oft auch bedenklich auszudrücken. Oder wie es Karl Kraus bereits 1909 in der legendären Zeitschrift Die Fackel formuliert hatte: "Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können – das macht den Journalismus".

Beziehungsweise wie es der wortmächtige Österreicher (1874 bis 1936) 16 Jahre und damit einen Weltkrieg später im Jahr 1925 formulierte, unter dem Titel "Das Berufsgeheimnis" in reiner Reimform:

Viele würden in Redaktionen rennen, bedürfte es nicht die spezialste der Gaben: Es genügt nicht, keinen Gedanken zu haben, man muss ihn auch ausdrücken können.

Hier soll es um das oft Floskelhafte im Journalismus gehen. Die Plattform Floskelwolke befasst sich dankenswerterweise mit solchen Phänomen seit 2014. 2021 war laut Plattform "Eigenverantwortung" die Floskel des Jahres, vor "klimaneutral".

Mein Favorit für das vergangene Jahr bleibt "wertebasiert" als Attribut für Politik und Ähnliches. "Mehrwert-basiert" oder "geopolitisch basiert" verstehe ich. Das schön klingende Wort "wertebasiert" hingegen erscheint mir in herrschender Wirtschaft, Politik und Kultur samt Sport sowie entsprechendem Journalismus als rhetorische, nun ja: Allzweckwaffe oder eben Super-Kampfdrohne.

Damit lässt sich (fast) alles rechtfertigen, z.B. Militarisierung nach außen und innen, Sozialabbau und Umweltschädigungen sowie überhaupt jede Konkurrenz-Verschärfung zugunsten des eigenen Standortes.

Hier sei aber heute der Blick auf drei Dauerbrenner aus dem Bereich der Floskeln gerichtet, die auch 2022 wieder oft verwendet wurden: "Internationale Gemeinschaft", "Wiedervereinigung" und "Ex-DDR", die auch in dieser Reihenfolge nicht zufällig, weil in gewissen Zusammenhängen stehen.

Im Sinne eines abgewandelten Zitates von Karl Marx und Friedrich Engels aus Das Kommunistische Manifest, worin die beiden sich auf "die herrschenden Ideen" bezogen: Auch der herrschende Sprachgebrauch ist oft der Sprachgebrauch der (jeweils) Herrschenden.

1.) "Die internationale Gemeinschaft"

Was hat es mit der sehr oft benutzten Wendung "die internationale Gemeinschaft" auf sich? Inwiefern "international", inwiefern "Gemeinschaft", inwiefern mit dem bestimmten Artikel "die"?

"Die internationale Gemeinschaft unterstützt die Ukraine mit einer Winter-Soforthilfe von gut einer Milliarde Euro. Diese Summe kam bei einer internationalen Unterstützerkonferenz für das vom russischen Angriffskrieg schwer getroffene Land in Paris zusammen."

Das stand (wie in sehr vielen anderen etablierten Medien) Mitte Dezember in der Stuttgarter Zeitung, mit Bezug auf die größte deutsche Nachrichten-Agentur dpa, die sich im Streubesitz sehr vieler reichweitenstarker Medien in Deutschland befindet.

Im Artikel steht auch, dass zur Konferenz "rund 70 Staaten" vertreten waren. Inwiefern dann also "Die internationale Gemeinschaft"? Die Wendung suggeriert zunächst, es gäbe nur die eine. Daher der bestimmte Artikel "die", sonst ließe sich ja auch – und weitaus treffender – z.B. schreiben: "Eine internationale Gemeinschaft". Aber dies klänge schon weitaus weniger allumfassend – und genau das soll die Wendung doch offenbar vermitteln, einen Verweis auf Totalität.

"International" greift diesen allumfassenden Anspruch auf – jenes Wort bedeutet laut Duden nicht zuletzt "weltweit". Das ist bei der medialen Begleitung von Krisen wie dem aktuellen Ukraine-Krieg besonders relevant mit Blick auf alle 193 Staaten, die seit 2011 (und bis heute) offizielles Mitglied der Vereinten Nationen sind.

Nicht zu diesen 193 Staaten zählen der Vatikan ("Heiliger Stuhl") und der Staat Palästina, die beide offizielle Beobachterstaaten bei den Vereinten Nationen sind. 70 dieser 193 Länder bedeuten jedenfalls ein gutes Drittel davon und damit ganz sicher nicht "die internationale Gemeinschaft".

Es geht konkret meist, wenn diese Wendung gebraucht wird, um entwickelte privat-kapitalistische Industrieländer ("der Westen" oder auch der globale Norden) und deren engere Verbündete, auch mit Blick auf Organisationen wie Nato, EU oder G7.

Häufig ist in solchen Kontexten auch von "unserer Wertegemeinschaft" die Rede, wie hier in den Worten des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck mit seinem Blick auf Europa, womit er selbstverständlich die EU und deren potentielle Erweiterungen meinte.

Auf den Aspekt "wertebasiert" sei hier nur verwiesen und nicht näher eingegangen (s.o.), aber auf jenen der "Gemeinschaft".

"Gemeinschaft" wird hier ebenfalls klar positiv wertend benutzt, angebliche Gemeinsamkeiten im Modus des "Wir" betonend. Der Duden definiert "Gemeinschaft" in dritter Hinsicht tatsächlich als "Bündnis zusammengeschlossener Staaten, die ein gemeinsames wirtschaftliches und politisches Ziel verfolgen" und nennt als Beispiel "die atlantische, westliche Gemeinschaft".

Interessanter als diese bloße Abbildung und Bestätigung herrschenden Sprachgebrauches mit Blick auf politische Bündnisse, wo von gesellschaftlichen Interessen und entsprechenden Interessenunterschieden, ja -widersprüchen kaum geredet wird, sind allerdings die ersten Hinsichten laut Duden, die im Unterschied zur dritten als die historisch und auch systematisch grundlegenderen Bedeutungen von "Gemeinschaft" gelten:

Gemeinschaft 1.) als das Zusammensein und Zusammenleben "in gegenseitiger Verbundenheit" sowie 2.) als Gruppe von Personen, die durch "gemeinsame Anschauungen o.Ä. untereinander verbunden" seien.

Das kommt einem wissenschaftlichen Begriff von "Gemeinschaft" deutlich näher, im Sinne z.B. von "Gemeinschaft und Gesellschaft" des Soziologen Ferdinand Tönnies (1887) oder auch im Sinne einer Kritik daran, der Schrift Grenzen der Gemeinschaft des Philosophen Helmuth Plessner (1924).

"Gemeinschaft" sei im Unterschied zu Gesellschaft bestimmt als etwas Überschaubares und Vertrautes, ja Verschworenes: Plessner schreibt, Gemeinschaften schwörten ihre Mitglieder auf eine jeweils "einzige Idee" ein.

Im Unterschied oder auch Gegensatz dazu kann "Gesellschaft" als relativ komplexe und unübersichtliche, anstrengende und widerspruchsvolle Sozialform gelten, die aber zumindest laut Plessner Menschen zugleich mit diesen Risiken als Chance auch den nötigen Abstand zu anderen und sich selbst bietet, von wo aus sich Menschen (entsprechende Ressourcen vorausgesetzt) immer wieder neu entwerfen und ausprobieren könnten, ohne schon zu sehr festgelegt zu sein – auf bestimmte Blutsbande, auf eine Idee, worauf auch immer, was ja für Gemeinschaften wiederum geradezu typisch sei.

Im Alltag von Auftragskommunikation und auch von Journalismus wird statt solches wissenschaftlich reflektierten Sprachgebrauches leider immer wieder ein falsches "Wir" im Sinne von "Wir sitzen alle im selben Boot", "We are family" und eben "unsere Gemeinschaft" verwendet.

Nicht zuletzt, um damit kaum reden zu müssen von Machtverhältnissen und Interessengegensätzen sowohl innerhalb von als auch zwischen Nationalstaaten sowie innerhalb und auch zwischen Bündnissen von Staaten (wie Nato, EU, oder G7).

Zusammengefasst auf einen gemeinsamen Nenner: Eine Wendung wie "die internationale Gemeinschaft" wirkt als Floskel (zu) absolut und beschönigend – sie verbirgt, bewusst oder unbewusst, viel mehr und dabei gerade Kritikwürdiges, als sie ausdrückt.

Das "wiedervereinigte" Deutschland ist laut sehr vieler hiesiger Leitmedien selbstverständlich Teil jener vermeintlichen "internationalen Gemeinschaft". Aber, und damit zur zweiten Floskel der jüngsten Jahrzehnte, wieso eigentlich "Wiedervereinigung", wie es fast unisono in Politik und Journalismus heißt?