Flüchtiges Spätsommermärchen

Seite 2: Empathie und Empörung der Zivilgesellschaft

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Die Hilfsbereitschaft und Empathie der deutschen Bevölkerung kommt ebenso wenig überraschend - die Zivilgesellschaft ist längst viel weiter in ihrer Akzeptanz des Einwanderungslandes Deutschland, als die Politik mit ihrer bis heute anhaltenden Verweigerung eines entsprechenden Gesetzes bislang wahrhaben wollte (vgl. Willkommenskultur in Deutschland: Entwicklungen und Herausforderungen).

In den letzten Jahren ist das ehrenamtliche Engagement für Flüchtlinge stark gewachsen, neben den schon eine Weile existierenden Flüchtlingsräten entstanden in vielen Orten lokale Initiativen, die vor Ort konkrete Hilfe unter anderem bei der Unterbringung, Arztbesuchen, Spendenvermittlung, Behördengängen, der Arbeitssuche, Kinderbetreuung oder für Freizeitaktivitäten anbieten.

Familien nehmen Flüchtlinge bei sich auf, Paten binden sich längerfristig und Freundschaften entstehen. Inzwischen gibt es auch ein Portal im Internet um bundesweit Initiativen zu finden, wenn man helfen möchte: Wie kann ich helfen?.

Spätestens seit 2005, als die Berichte und Bilder von den Toten und Verletzten an den europäischen Grenzzäunen in Ceuta und Melilla ("Anschlag auf die Grenze"), sowie der menschenunwürdigen Verhältnisse im Flüchtlingslager auf Lampedusa erschienen, begannen sich immer mehr Menschen angesichts der grausamen europäischen Flüchtlingspolitik zu empören.

Das Elend an den Grenzen setzte sich kontinuierlich fort, die Todesraten stiegen kontinuierlich (vgl. Das Flüchtlingssterben geht weiter und Europa kurzsichtig und kalt gegenüber den afrikanischen Flüchtlingen). 2013 erschütterte das Bootsunglück von Lampedusa mit hunderten Toten die Öffentlichkeit. Das Mittelmeer ist zum Massengrab mit jährlich tausenden Toten geworden (mindestens 23.000 tote Flüchtlinge seit dem Jahr 2000).

Nicht nur der Papst sprach angesichts dieses grauenvollen Elends von einer Schande für Europa. Während die Berichterstattung über ertrunkene Flüchtlinge und das Einstellen der italienischen Rettungsmission MARE NOSTRUM die europäische Politik offensichtlich kaum berührte, entstand in der deutschen Bevölkerung zunehmend Empathie, danach Trauer und Wut - und schließlich das Bedürfnis, ganz konkret etwas für Flüchtlinge zu tun.

Als die EU die Mission "Triton" der EU-Grenzschutz-Agentur Frontex etablierte, die unter anderem mit militärisch Mitteln Schlepperboote versenken soll, fragten sich viele, warum man mit Schlachtschiffen gegen Schlauchboote und Seelenverkäufer vorgehen sollte, statt Menschenleben zu retten (Humanitäre Fassade und vergiftete Angebote). 25.000 Personen beteiligten sich ab Herbst 2014 an dem Appell von Pro Asyl: Wie viele Tote noch? - Seenotrettung jetzt!.

Kaltschnäuzig lehnten die Politiker ab - inklusive des deutschen Innenministers Thomas de Maizière der ein derartiges Seenotrettungsprogramm als Anreiz zur Flucht und damit "Beihilfe für das Schlepper-Unwesen" glatt ablehnte.

Deutsche Politiker waren derweilen sowieso weit mehr damit beschäftigt, sich mit den lautstarken "patriotische Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) auseinander zu setzen, als mit dem stillen Sterben im Mittelmeer.

Die Wende in der Flüchtlingspolitik, die nach der Katastrophe von Lampedusa 2013 großmundig von der Politik angekündigt worden, blieb aus. Die Lippenbekenntnisse der europäischen Regierungen nahmen viele Deutsche nur noch als Sprachhülsen und bitteres Armutszeugnis für den Friedensnobelpreisträger Europäische Union wahr. Sie wollten nicht mehr auf Taten ihrer Volksvertreter warten, sondern selbst aktiv werden.