Folter im Ritz-Carlton in Riad?

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Saudi-Arabien: Investoren und neues Image gesucht. G20-Gipfel soll helfen

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Saudi-Arabien ist an diesem Wochenende der Veranstalter des G20-Gipfels. Der Gipfel findet wegen Corona online statt. Die Erwartungen, die daran geknüpft werden, gehen nicht über die üblichen Standardfloskeln hinaus. Mit dem großen weltwirtschaftlichen Ereignis der jüngsten Zeit, dem asiatischen Freihandelspakt RCEP, wird das Treffen nicht ansatzweise konkurrieren können. Sensationelles ist nicht zu erwarten. Zumal die Situation im Land des größten Unterstützers noch ungeklärt ist; noch ist nicht klar, welche Politik Joe Biden als US-Präsident gegenüber Saudi-Arabien genau einschlagen wird.

Im Mittelpunkt der Vorabberichterstattung steht der Prestigegewinn, den sich das Land als G20-Veranstalter erhofft. Seit Jahren fließen reichlich Petro-Dollars aus Saudi-Arabien in Imagearbeit, um dringend benötigte Investoren anzuwerben. Waren diese ohnehin nicht so begeistert vom Projekt "Vision 2030" mit seinem veralteten Futurismus, wie man sich das in Riad vorgestellt hatte, so richtete der Mordfall Khashoggi einen größeren Schaden an, als man das in Riad kalkuliert hatte, und auch die sogenannte "Green Revolution" überzeugt Investoren eher von anderen Anlageoptionen. Und Saudi-Arabien braucht Geld. Längst setzt der Rentenstaat auf Austeritätspolitik.

Die brutale Seite war nicht mehr zu übersehen

Die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi, der in Opposition zum mächtigen Kronprinzen Mohammed Bin Salman stand, Anfang Oktober 2018 im saudi-arabischen Generalkonsulat in Istanbul, den die Führung in Riad später eingestehen musste, war ein Bruch. Sie veränderte die Wahrnehmung des Landes. Zwar weiß jeder, dass Saudi-Arabien nicht das einzige Land ist, das verdeckte Killer-Operationen durchführt, und dass das Königreich kurzen Prozess mit Oppositionellen macht, war ebenfalls nicht neu, aber nun war die brutale Seite nicht mehr zu übersehen.

Für Politiker wie Trump, Putin oder Macron hatte das keine drastischen Konsequenzen, die Beziehungen zu Saudi-Arabien sind "systemrelevant". Der Prinz musste eine Zeitlang ins Abseits. Das war alles. Anders aber bei den Medien: Die Jubelartikel über die tollen Reformen in Saudi-Arabien konnten nicht einfach so weitergeschrieben werden. Saudi-Arabien beschäftigte PR-Agenturen, um den Schaden wettzumachen. In Istanbul setzte Erdogan hingegen auf neue Enthüllungen, die eine leitende Rolle des Kronprinzen in der Tötungsaktion behaupteten. Er hielt den Skandal lange am Leben.

Das Image-Problem zeigt sich auch jetzt beim Gipfel (siehe Tagesschau; früher hat Carsten Kühntopp noch wohlwollender berichtet). In der Online-Präsentation zum G20 gibt sich Saudi-Arabien als Unterstützer des Empowerments für die Bevölkerung und für die Frauen aus, News-Artikel kontern mit der Frage, warum oppositionelle Frauen, die in friedlicher Weise Rechte reklamierten und wie Loujain al-Hathloul Reformen wie etwa die Berechtigung zum Autofahren anstießen, noch immer im Gefängnis sitzen?

Mag sein, dass Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty bei ihren Kritikern an Kredit eingebüßt haben, die Wirkung auf Investoren dürfte wegen des Falls Khashoggi eine gewisse Nachhaltigkeit haben. Dem Staatsminister für Auswärtiges, Adel al-Dschubair, fiel in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur nichts Besseres ein, als zu betonen:

Wir werden unsere Gesetze nicht ändern, weil jemand sagt: Wir mögen Eure Gesetze nicht. (…) Wir haben unser Rechtssystem und unser Rechtssystem ist unabhängig und reagiert nicht auf Druck von außerhalb Saudi-Arabiens.

Adel al-Dschubair

Die Regierung in Riad täusche einen Reformwillen nur vor, sagen Menschenrechtsvertreter und werfen der saudischen Führung vor, dass sie die Todesstrafe auch an politische Oppositionelle verhängt, dass es "Tausende politische Häftlinge in Saudi-Arabien" gebe und der Umgang mit Frauenrechten scheinheilig sei.

Nun bringt der Guardian rechtzeitig zum Beginn des G20-Gipfels eine weitere Enthüllungsgeschichte. Darin geht es um die spektakuläre Festsetzung reicher saudi-arabischer Geschäftsmänner im Hotel Ritz-Carlton Anfang November 2017. An dieser Stelle wurde damals vom Autor dieses Beitrags behauptet, dass Menschenrechtsorganisatoren kaum Anlass zur Kritik an den Haftbedingungen haben würden, da die Angehörigen der Elite in einem 5-Sterne-Hotel festgehalten wurden, was doch auf relativ komfortable Bedingungen schließen ließ (Saudi-Arabien: Der Kronprinz räumt die Konkurrenten weg). Der Eindruck täuschte.

"400 der reichsten und mächtigsten Personen Saudi-Arabiens gefesselt und geschlagen"

Wie die britische Zeitung über einen Informanten erfuhr, wurden "fast 400 (!) der reichsten und mächtigsten Personen Saudi-Arabiens, unter ihnen Prinzen, Tycoons und Minister" bei der "Säuberungsaktion" gefesselt, geschlagen ("manche ziemlich schwer"), bedroht, erpresst und verhört. Wobei sich zeigte, dass das Verhörpersonal angeblich wenig Sachkenntnis über Anlagearten hatten und möglicherweise infolgedessen auch "nur" 28 Milliarden Dollar aus der Aktion herausholten.

Offiziell hatten saudische Vertreter laut Guardian früher geltend gemacht, dass man bis zu 107 Milliarden US-Dollar wieder an die saudische Staatskasse zurückgebracht habe - Kronprinz Mohammed Bin Salman erklärte damals, dass die Geschäftsmänner der Korruption schuldig gewesen seien. Er war kurz vor der Aktion von seinem Vater, dem König von Saudi-Arabien, zum Chef eines "Super-Komitees zur Bekämpfung der Korruption" berufen worden.

Die aktuellen Gipfelberichte von Arab News bemühen sich nun, das Bild eines fortschrittlichen Saudi-Arabiens zu zeichnen, das "viele Talente auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz" hat.

Politisch muss sich das Land mit den "weisen Führern" keine Sorgen um Verbündete machen, solange es darum geht, Iran in Schach zu halten. Dafür unterstützen die USA, Großbritannien und Frankreich dann auch den Krieg im Jemen, der Millionen unter der Zivilbevölkerung leiden lässt.