Forencheck: der RS-Virus, "Omnibus"-Gesetze und Enteignungen

Drei Fragen aus dem Forum. Eine Wochenkolumne

Check 1: Neue Probleme auf den Intensivstationen?

Im Kommentar zum Artikel "Corona in Österreich: Kommt 1-G?" wird auf die Ausbreitung anderer Atemwegserkrankungen verwiesen:

Die Intensivstationen in der Schweiz haben auch andere Probleme.

RS-Virus bei Kleinkindern: die Welle nach der Welle (NZZ)

Hier noch ein Link ohne Bezahlschranke:

RS-Virus bei Kindern breitet sich in Basel aus (telebasel.ch)

User kid1212

Das RS-Virus heißt mit vollem medizinischem Namen Respiratorisches Synzytial-Virus und kann vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern schwere Atemwegsinfektionen auslösen. Besonders gefährdet durch das Virus sind Frühgeborene und Kinder mit bestimmten Vorerkrankungen. Dass nun auf den Intensivstationen der Schweiz bereits ein Problem herrscht, geht aus dem angeführten Artikel nicht hervor: "Im Kinderspital habe man genügend Betten und Personal."

Ein verfrühtes Auftreten von Infektionen mit dem RS-Virus wird allerdings nicht nur in der Schweiz verzeichnet.

RSV-Atemwegsinfektionen treten vermehrt in den Wintermonaten, z.B. in Deutschland zwischen November und März auf. Während der Pandemie kam es am ehesten durch die Lock-Down bedingten Beschränkungen zu einem deutlich reduzierten Auftreten von RSV Infektionen im Kindesalter. In mehreren Ländern (England, Schweiz, USA, Australien) wird jedoch in den letzten Wochen ein für die Sommer-Jahreszeit untypischer Anstieg an Krankenhausaufnahmen von Kindern mit RSV bedingten Atemwegsinfektionen beobachtet

... heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung medizinischer, vor allem pädiatrischer Fachgesellschaften. Auch in Deutschland gebe es "für die Jahreszeit untypische häufige Einzelnachweise".

Kinderärzt:innen werden daher aufgefordert, RSV-Erkrankungen schon frühzeitig bei der Diagnostik einzubeziehen, Risikopatient:innen sollten bereits ab Oktober eine medikamentöse Prophylaxe erhalten.

Mit einem Anstieg von Grippe und Atemwegsinfektionen im Winter hat das RKI bereits gerechnet und schrieb am 22. Juli:

Erschwerend ist im Herbst ein paralleler Anstieg von SARS-CoV-2, Influenza, und RSV aufgrund der reduzierten Grundimmunität (ausgebliebene Booster-Infektionen für Influenza und RSV) der letzten beiden Saisons zu erwarten; das gemeinsame Auftreten dieser Infektionskrankheiten kann zu einer deutlichen Gesundheitsbelastung durch die Erkrankungen selbst und zusätzlich durch sekundäre Pneumonien führen.

Check 2: Gesetzesänderung per Omnibusverfahren - ein unvorstellbarer Vorgang?

Da (also in D) hat man jetzt die Abstimmung zu Änderungen am IfSG mit der Abstimmung zur Flutopferhilfe verknüpft!

Wer also gegen die neuen Regulungen bzgl. dieses Gesetzes, jedoch für Flutopferhilfe war, wurde vorsätzlich in die Klemme gebracht. (Folgerichtig mußte sich die AfD enthalten, andere haben unter den üblichen "Bauchschmerzen" zugestimmt.)

(...)

Zum Vorgang bzgl der Verknüpfung der Abstimmung selbst ist hier ein Artikel

Ich empfinde es als unvorstellbaren Vorgang…

User Ulf Kotzer

So ein weiterer Kommentar zum bereits genannte Artikel.

Dass die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes in der letzten Bundestagssitzung am 7. September 2021 im Paket mit der Fluthilfe abgestimmt worden sind, ist richtig. Diese Verknüpfung wurde von allen Oppositionsparteien kritisiert, wie die Tagesschau berichtet.

Auch hatten in einer ersten namentlichen Abstimmung über die einzelnen Bestandteile des Gesetzespakets alle Oppositionsparteien gegen die Änderung des Infektionsschutzgesetzes gestimmt.

Bei der Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf in der vom Haushaltsausschuss geänderten Fassung (19/32275) stimmten fünf Fraktionen zu, die AfD enthielt sich mit Ausnahme von zwei Abgeordneten, die dagegen stimmten.

Bericht des Deutsche Bundestags

Das hier angewandte Verfahren, dass Gesetzesänderungen zu einem anderen Thema mit abgestimmt werden, wird Omnibusverfahren genannt und wird von der Opposition auch immer wieder kritisiert.

Allgemein wird unter einem Omnibusgesetz ein Gesetz verstanden, das mehrere Änderungsanliegen mit gemeinsamen Ziel - Passagieren gleich - einsammelt und zur Abstimmung bringt. Zum Teil wird bei einem Omnibusverfahren auch einer ursprünglichen Gesetzesvorlage im bereits laufenden Gesetzgebungsverfahren durch Änderungsantrag eine Gesetzesänderung beigefügt. In diesen Fällen entfällt dann bezüglich der angehängten Änderung die bei einem Gesetzgebungsverfahren übliche 1. Lesung. Oft findet auch keine Anhörung zur angehängten Gesetzesänderung statt; eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit wird so verhindert. Bei den Oppositionsfraktionen im Bundestag stößt dieses Verfahren daher regelmäßig auf Kritik.

... heißt es in einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Der Dienst kommt auch zu dem Schluss, dass das Omnibusverfahren verfassungsrechtlich zulässig ist, da das Grundgesetz keine inhaltlichen Anforderungen in der Gesetzgebungsarbeit im Parlament vorgebe.

Check 3: Verhindert Enteignung Neubau?

"Da die Enteignung nicht entschädigungslos wäre, besser davon selber bauen", fordert ein User in Bezug auf den Artikel "'Triell' vor der Bundestagswahl: Baerbock gegen Enteignung" und weiter:

Seien wir uns darüber klar, eine entschädigungslose Enteignung wird es nicht geben. Rechtlich und politisch nicht durchsetzbar.

Da sollte man den Millardenwert, den man als Entschädigung zahlen müsste, doch lieber nehmen und neu bauen. Würde dem Wohnungsmarkt sicherlich mehr helfen als der Kauf existierender Wohnungen.

Wenn die Mieter bezahlbare Alternativen hätten, könnten die Mietpreise auch nicht weiter angehoben werden.

User ollid

Es ist richtig, dass über eine entschädigungslose Enteignung beim Volksentscheid in Berlin nicht abgestimmt wird. Allerdings unterscheiden sich die Einschätzungen der Initiative "Deutsche Wohnen & Co Enteignen" und des Berliner Senats, welche Entschädigungssumme zu entrichten wäre.

Laut Initiative betrüge diese 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro, laut Senat 28,8 bis 36 Milliarden Euro plus Erwerbsnebenkosten. Die Initiative argumentiert, dass die Enteignung haushaltsneutral möglich wäre:

Wir schlagen vor, dass die Anstalt öffentlichen Rechts (in die die Wohnungen überführt werden sollen, Anm. d. Autorin) die Entschädigung aus Krediten oder Schuldverschreibungen finanziert, die durch die stetigen Mieteinnahmen abbezahlt werden können. Der Berliner Haushalt wird nicht belastet, sodass keine Konkurrenz zu anderen notwendigen Ausgaben entsteht. Auch wenn noch weitere Konzerne zur Liste der Enteignungskandidaten hinzukommen, gibt es kein Problem mit der Finanzierung: Mehr Wohnungen liefern mehr Mieteinnahmen, die höhere Entschädigungssummen finanzieren können. Sind die Schulden einmal abbezahlt, können die Mieteinnahmen sogar in weiteren Neubau investiert werden.

Argumentiert man, dass mit dem Geld besser neue Wohnungen gebaut werden sollten, um den Mietwohnungsmarkt zu entlasten, muss beachtet werden, in welchem Segment neuer Wohnraum geschaffen wird.

Zwar beruft sich die Immobilienwirtschaft häufig auf einen "Sickereffekt", das heißt, dass durch Umzugsketten günstigere Wohnungen frei würden, in einem angespannten Wohnungsmarkt wie Berlin ist mit einem solchen Effekt aber nicht zu rechnen.

Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hat anhand der Umzugsbewegungen in den Städten Bremen, Köln, Leipzig und Nürnberg in den Jahren 2016 und 2017 untersucht, wie weit der Sickereffekt reicht. Eine neu gebaute Wohnung hat - je nach Stadt - nur 2,2 bis 3,2 Umzüge ausgelöst. Die Umzugskette reißt also schon früh ab und die Entspannung kommt "unten" nicht an. Gründe dafür sind zum einen die vielen Zuzügler von außerhalb, die - ohne selbst eine Wohnung innerhalb der betreffenden Gemeinde freizumachen - mit ihrer Anmietung die "Sickerkette" unterbrechen. Zum anderen heben Vermieter bei der Wiedervermietung der freigezogenen Wohnungen die Mieten stark an, so dass sie für Mieter mit wenig Geld nicht mehr verfügbar sind.

Jens Sethmann dazu im MieterMagazin

Abhilfe könnte wohl nur der gezielte Bau preisgebundener Wohnungen schaffen. Deren vorgeschriebenen Anteil am Neubau in Höhe von 30 Prozent möchte die derzeit in den Umfragen führende Bürgermeisterkandidatin der SPD allerdings nicht erhöhen.