Forschung an Biowaffen - rein defensiv?
Das US-Heimatschutzministerium baut ein hochgeheimes Labor zur Erforschung von Biowaffen; die Suche nach dem Versender der Milzbrandbriefe im Oktober 2001 ist bislang im Sand verlaufen
Ein paar Wochen nach dem 11.9. ging in den USA und danach in vielen anderen Ländern erneut die Panik um, als die Milzbrandbriefe ihre ersten Todesopfer forderten. Schon lange davor war die Angst gerade vor den biologischen Waffen von Politikern, Sicherheitsexperten und auch von Medien, dem Kino und Thrillern geschürt worden. Die biologischen Erreger waren, weil kaum verstanden, unheimlich, in der Aufgeregtheit nach dem 11.9. schien dann alles möglich zu sein. Auch wenn schließlich der Anthrax-Anschlag mittels Briefen gezeigt hat, dass die Gefährlichkeit mit 5 Toten und 23 Erkrankten weit geringer als befürchtet war und vermutlich keine islamistischen Terroristen dafür verantwortlich waren, sind biologische Waffen, vielleicht noch eher als nukleare oder schmutzigen Bomben, die Inkarnation von „Massenvernichtungswaffen“, vielleicht gerade weil ihre Gefährlichkeit noch nicht wirklich eingeschätzt werden kann. Zur Vorbereitung für den Irak-Krieg waren dann gerade vermeintlich im Land vorhandene biologische Waffen besonders gut (Die Pocken am Frühstückstisch). Auch die als größte Polizeiaktion beschriebene Suche nach dem Versender der Anthrax-Briefe hat bis heute keine Ergebnisse gebracht. Gegen den biologischen Terror werden jedoch neue Labors gebaut, in denen eben jene Monster gezüchtet werden, vor denen die Menschen geschützt werden sollen.
Im Juli 2001 hatte die Bush-Regierung im Zug der schon damals verfolgten Strategie, möglichst keine internationalen Verpflichtungen einzugehen, das Zusatzprotokoll zur Biowaffenkonvention zu Fall gebracht, das für eine wirksamere Kontrolle hätte sorgen können. Wenige Tage vor dem 11.9. musste das Pentagon zugeben, dass man seit einigen Jahren Milzbranderreger züchtet, natürlich rein defensiv, wie es hieß, um Impfstoffe gegen die mögliche Bedrohung zu entwickeln. Die Vermutung wurde laut, dass die Bush-Regierung deswegen die Biowaffenkonvention hat platzen lassen, um sich nicht in die Karten schauen zu lassen.
Nach dem Schock, der von den brachialen, aber mit konventionellen Mitteln durchgeführten Anschlägen vom 11.9. verursacht wurde, ließen dann die mit Milzbrandsporen gefüllten Briefe eine landesweite Panik entstehen. Sie waren nicht nur an Politiker, sondern auch listigerweise an Medienvertreter geschickt worden, die dadurch erst recht die Panik aufrührten. Nachdem sich ziemlich schnell der Verdacht nicht mehr wirklich aufrecht erhalten ließ, dass die Briefe von islamistischen Terroristen abgeschickt worden waren, wurde von einem Täter ausgegangen, der vermutlich Zugang zu Forschungslabors des Militärs gehabt haben muss. Die von manchen vertretene Theorie war, dass die Panik absichtlich von einem Insider geschürt wurde, um so mehr Mittel für die Forschung zu erzwingen. Es hieß nämlich, dass die Anthrax-Sporen waffenfähig und besonders rein seien, dass sie vermutlich aus einem staatlichen, wahrscheinlich aus einem Pentagon-Labor stammten, da sie dem Ames-Stamm, der in Militärlabors verwendet wurde, angehören sollten (Auf der Spur der Anthrax-Briefe). In Verdacht geriet vor allem das "US Army Medical Research Institute of Infectious Diseases" (Aus US-Militärlabor verschwanden Anthrax-Bakterien). Es gab Hinweise, dass beim FBI Listen mit möglichen Verdächtigen zirkulierten (Angeblich tappt das FBI im Dunkeln). Der größte Verdacht fiel schließlich auf Steven Hatfill, der in diesem Institut gearbeitet hatte (Zerstreuter Professor oder krimineller Biowaffenexperte?). Allerdings scheint sich dieser Verdacht wieder im Sand verlaufen zu haben.
Nachdem sich herausgestellt hatte, dass im Weißen Haus nach dem 11.9. der Präsident und andere Regierungsangehörige bereits das Antibiotikum Cipro gegen Milzbrand eingenommen haben sollen (Wusste man im Weißen Haus schon frühzeitig von drohenden Anthrax-Anschlägen?), kam auch hier der Verdacht auf, dass die US-Regierung womöglich selbst hinter den Briefen stecken könnte, weswegen die Aufklärung auch nicht vorankäme. Angeblich hat sich nun aber herausgestellt, dass die Milzbrandsporen in den Briefen doch nicht so gut und rein waren, wie zuerst angenommen wurde. Die Erreger seien ziemlich gewöhnlich, ohne Zusätze und nicht besonders als Waffe aufbereitet, daher würden nun nicht mehr nur militärische Labors in Frage kommen, sondern die Täter könnten überall im ganzen Land zu finden sein. Allerdings, so heißt es, seien die Sporen, gerade weil sie nicht von einem militärischen Labor stammen würden, das über entsprechende Techniken verfügt, ungewöhnlich rein und von guter Qualität gewesen. Zudem habe sich herausgestellt, dass der Ames-Stamm weit verbreitet ist und nicht nur von US-Militärlabors verwendet wurde.
Wer oder was auch immer hinter den Anthrax-Briefen stecken mag, so waren sie der Anlass, mächtig in die Abwehr biologischer Anschläge zu investieren und neue Forschungsprogramme und auch Labors hochzuziehen (Die vage Bedrohung durch Bioterrorismus bindet Forschungsgelder). Unter anderem wird eben in Fort Detrick, in dem sich US Army Medical Research Institute of Infectious Diseases befindet, für 128 Millionen Dollar ein neues Forschungslabor vom Heimatschutzministerium aufgebaut, in dem die gefährlichsten bekannten Viren und Bakterien für die Forschung gezüchtet werden, um bessere Strategien und Mittel gegen Angriffe mit solchen Waffen zu entwickeln. Das National Biodefense Analysis and Countermeasures Center (NBACC), das 2008 fertig gestellt sein soll, ist ein in Geheimnis gehülltes Projekt. Schon das Gebäude mit den Hochsicherheitslabors ist als hochgeheim klassifiziert. Das hat natürlich mit der erforderlichen Sicherheit zu tun, vielleicht aber auch damit, dass die Züchtung von äußerst gefährlichen und waffenfähigen Erregern, auch wenn sie angeblich aus rein defensiven Gründen erfolgt, gegen die Biowaffenkonvention verstoßen könnte. Dazu kommt, dass die US-Regierung einem anderen Staat, den sie als Schurkenstaat bezeichnet, wohl vorwerfen würde, wenn dieser dasselbe täte, dass er ein Programm zur Herstellung biologischer Waffen verfolgt. Da die USA das Zusatzprotokoll für Verifizierungskontrollen der Biowaffenkonvention auch nach den Anthrax-Briefen boykottiert haben, ist die defensive Biowaffenforschung auch im Fall der USA mit der sie umgebenden Geheimhaltung vor allem in ihrer politischen Wirkung ambivalent.
2004 hatte eine Powerpoint-Präsentation von George Korch, dem Leiter des NBACC, klar gemacht, dass in dem Labor eben auch gefährliche Erreger gezüchtet und gentechnisch verändert werden sollen. Die kurz im Internet veröffentlichte Präsentation wurde dann schnell wieder entfernt, offenbar fürchtete man zu große Aufmerksamkeit und Kritik. In Fort Detrick hat man schon vor der Fertigstellung des Labors mit der Forschung begonnen. Die Labors hier kamen nicht nur in Zusammenhang mit den Anthrax-Briefen in Verdacht, hier wurde auch im Kalten Krieg noch offensiv an biologischen Waffen geforscht, bis Präsident Nixon dies 1969 einstellte. Mit Pathogenen wie Milzbrand wurde allerdings weiter experimentiert. Auch eine angeblich rein defensive Forschung ist notwendig ambivalent, da sie die Pathogene besitzen und züchten muss, gegen die Abwehrmaßnahmen entwickelt und getestet werden.
Im NBACC wird es ein forensisches Testzentrum (BAC) geben, in dem Techniken zur Identifizierung von Pathogenen entwickelt werden, sowie ein Biothreat Characteriziation Center (BTCC), das in Hochsicherheitslabors u.a. den Einsatz und die Wirkung von bestehenden und künftig möglichen Biowaffen untersucht. Dazu kommen ein Biodefense Knowledge Center (BKC) und ein Agricultural Biodefense Center (ABC) „Tatsächlich werden wir“, so räumt auch Penrose Albright, ehemals Staatssekretär beim Heimatschutzministerium für Wissenschaft und Technik, ein, „für biologische Kriegsführung geeignete Pathogene im NBACC herstellen, um sie zu studieren.“ Dabei werden nicht nur Pathogene und die Mittel getestet, die für einen Angriff oder einen Anschlag gegen Menschen, Tiere oder Pflanzen eingesetzt werden könnten, sondern auch neue Pathogene gezüchtet oder durch Genmanipulation geschaffen, um gegen künftige Bedrohungen gewappnet zu sein. Gleichzeitig besitzt man diese Pathogene, die womöglich noch gefährlicher als die bislang bekannten sind, und nimmt damit teil an dem heimlichen Wettrüsten, das in der Entwicklung von biologischen Waffen und Abwehrmöglichkeiten auch in anderen Ländern vorangetrieben wird.
Support national security, law enforcement, and medical communities by improving our understanding of potential bioterrorism pathogens that may be weaponized, transported, and disseminated against U.S. targets for the purpose of improving our protection of human health and agriculture against biological terrorism, and sustaining homeland security through knowledge of the threat prevention of surprise, and attribution of use.
Nach den von George Korch gegebenen Beschreibungen sollen “traditionelle, künftige und gentechnisch veränderte Pathogene” nach ihrer Waffentauglichkeit untersucht, bekannte, neue und nicht-endemische Verbreitungstechniken bewertet, vermehrt Tests zur Aerosol-Verbreitung an Primaten durchgeführt und „Szenarios und Möglichkeiten“von Angriffen operational ausgeführt werden.
Dem Kongress liegt überdies mit dem Biodefense and Pandemic Vaccine and Drug Development Act ein Gesetzesvorschlag (S.1873) im Rahmen des groß angelegten Project Bioshield vor, mit dem eine neue Behörde, die Biomedical Advanced Research and Development Agency (BARDA) im Gesundheitsministerium geschaffen werden soll. Sie würde für alle bestehenden und neuen biologischen, chemischen oder nuklearen Bedrohungen zuständig sein, diese ebenfalls erforschen und könnte die Forschung sowie Aufträge an Unternehmen auch ebenso geheim halten, wie dies beim NBACC geschieht. Das gesamte Labor gilt als supergeheime „Sensitive Compartemented Information Facility“ (SCIF).
Laut dem Heimatschutzministerium bleibt die Forschung im legalen Bereich des Biowaffenabkommens, weil sie rein defensiv sei. Das Abkommen ermöglicht es, kleine Mengen von Pathogenen für „friedliche Zwecke“ zu besitzen. Das Problem liegt aber nicht nur in der Beachtung oder Missachtung des internationalen Abkommens, sondern vor allem in der strikten Geheimhaltung und in der Konsequenz, dass auch andere Länder sich auf das Recht berufen werden, Pathogene in defensiver Absicht zu züchten, vorrätig zu halten und zu testen. Nach Alan Pearson vom Center for Arms Control and Non-Proliferation, gibt es bereits einen “globalen Boom” im Bereich der defensiven Biowaffenforschung.