Frankreich schränkt Privatgesetzgebung der Filmindustrie ein

Verkauf von DVDs ohne Regioncode 2 mit Fristenregelung erlaubt

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Das Problem ist mehr als bekannt (Vgl. Die Rückkehr des Volksempfängers mit anderen Mitteln): Die Filmindustrie hat die Welt zur besseren DVD-Vermarktung in sechs Regionen unterteilt. Jede DVD und jedes Abspielgerät haben einen Region-Code, nur dann, wenn beide deckungsgleich sind, kann die Scheibe abgespielt werden. Angeblich soll damit das Überleben der Kinos sichergestellt werden, weil ansonsten z. B. deutsche Filmfans Filme auf importierten amerikanischen DVDs sehen, ehe der Film überhaupt ins Kino kommt.

Faktisch ist das gelogen: Nur eine Minderheit von echten Fans gibt sich mit dem englischen Originalton zufrieden (und die echten Fans gingen dann trotzdem noch ins Kino). Vielmehr dienen Region-Codes in aller erster Linie der besseren Vermarktung, weil so Exklusivlizenzen für bestimmte Weltregionen vergeben werden können. Auf der anderen Seite der Waage stehen aber unerhörte Nachteile: Erstens erscheinen die allermeisten Filme überhaupt nicht mit allen Codes. Nach Meinung der Filmwirtschaft müssen sich also z. B. Australier mit den Krumen zufrieden geben, die für Region-Code-4-Bewohner übrig bleiben. Japaner (Region-Code-2) können z. B. die Sieben Samurai nur in einer Version mit nicht abschaltbaren englischen Untertiteln sehen (während die nordamerikanische Version dagegen die Möglichkeit bietet, die englischen Untertitel an- oder abzuschalten. )

Genauso schlimm wie dieser Eingriff in die Kultur ist die Machtanmaßung der Industrie: Dieses System soll mit aller Macht juristisch durchgesetzt werden. Konsumenten wurde eingeredet, dass dies Rechtslage sei. Händler, die nicht klein beigeben wollten, wurden unter Vorwänden ihrer Existenz beraubt. (Vgl. Die Rückkehr des Volksempfängers mit anderen Mitteln). Auf politischer Ebene wurde und wird massiv Lobbyarbeit betrieben, um diese Privatlegislation der Filmindustrie in nationales Recht zu verwandeln. In Deutschland geschah bislang gar nichts: In der Legislative ignoriert man das Problem, die Exekutive ließ sich mehr als einmal als Büttel der Filmfabriken missbrauchen. Wer als Händler DVDs mit fremden Region-Code anbietet, muss jederzeit damit rechnen, entweder Opfer einer Hausdurchsuchung und Beschlagnahmung zu werden (wofür eigentlich kein Rechtsgrund besteht!) oder bald keinen Nachschub mehr zu erhalten, weil es den Großhändler getroffen hat. Privatkunden blieb also nur die Mund-zu-Mund-Propaganda (da oder dort gibt es noch einen Cinema-Laden, der unter der Ladentheke RC1 verkauft) oder der Eigenimport aus den USA.

Die französische Politik ist in dieser Hinsicht weniger träge und ignorant. Bei unserem westlichen Nachbarn hat das DVD-Problem eine gesetzliche Regelung gefunden, die zwar nicht den Maximalforderungen der Filmfreaks entspricht, aber insgesamt als Kompromiss angesehen werden kann.

Schon seit den 1980er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kennt Frankreich die so genannte "Chronologie des médias" (Dekret N° 83-4 vom 4. Januar 1984 ) und Dekret N° 87-36 vom 26. Januar 1987 ). Sie soll sichern, dass die verschiedenen Vermarktungsformen von Filmen nebeneinander existieren können. So durfte ein Film erst neun Monate nach dem Kinostart als Video erscheinen. Erst nach einen Jahr dürfen ihn Pay-Sender zeigen und nach drei Jahren das freie Fernsehen (bzw. zwei Jahre, wenn ein Fernsehsender Koproduzent war).

Ende 2000 (oder, um genau zu sein, am 24. November 2000 durch das Dekret N° 2000-1137) gab es zwei, drei kleine Änderungen an diesem System (die Änderungen sind jetzt eingearbeitet ins Dekret N°83-4, siehe Link oben).

Erstens finden DVDs explizite Erwähnung (in der gallizisierten Form vidéodisques, versteht sich). Zweitens wurde festgelegt, dass "diese Regelungen unabhängig von den Sprachversionen des Werks gelten, das auf diesen Trägern [Kassetten bzw. DVDs] gespeichert ist." Im Klartext: Ende der Rechtsunsicherheit, die französische Gesetzgebung betrifft also Region-Code-1-DVDs (oft in Englisch und Französisch, oft auch nur Englisch) und alle anderen DVDs genauso. Drittens wurde die Verzögerung für Kauf- bzw. Leihvideos bzw. -DVDs ein klein wenig modifiziert: Von früher 9 Monaten ging man über auf 12, die jedoch auf Antrag des Rechte-Inhabers auf 6 verkürzt werden können.

Offensichtlich stellen die Rechteinhaber diese Anträge in großer Regelmäßigkeit, so regelmäßig, dass Amazon.fr behaupten kann, die Frist würde überhaupt nur 6 Monate betragen. (Publiziert werden Listen von Filmen, für die die Verkürzung erwirkt wurde, durch das Centre national de Cinématographie - aber offensichtlich nicht auf der Website (www.cnc.fr)). Wie dem auch sein mag: Spätestens 12 Monate nach dem Kinostart ist jeder Film mit fremden Region-Code in Frankreich legal zu bekommen.

Dank Europäischer Union kommt so auch der deutsche Konsument legal, problemlos und mit erträglicheren Portokosten an amerikanische, hong-kong-chinesische und alle anderen DVDs. Der deutsche Einzelhandel im Region-Code-1-Bereich wird dagegen von der Filmindustrie verfolgt, von der Politik ignoriert und von den Kunden - zwangsläufig - gemieden.

Deutschland hat übrigens keine offizielle Entsprechung zur "Chronologie des médias". Dass Kaufvideos sechs Monate nach Kinostart und Leihvideos weitere sechs Monate nach den Kaufvideos erscheinen, dass nach weiteren sechs Monaten dann die Ausstrahlung im Pay-TV beginnt und der Film erst nach zwei Jahren im freien Fernsehen zu sehen ist, ist nur Konvention der Filmindustrie. (Allerdings werden die Sperrfristen von der Filmförderungsanstalt eingefordert, falls der Film mit Fördermitteln produziert wurde).

Da die französische Gesetzgebung im Bereich Film schon immer deutlich fortgeschrittener war, würde es dem deutschen Gesetzgeber etwas mehr legislatorischen Aufwand bereiten, um für Rechtssicherheit, freien Handel und Zirkulation kultureller Werke zu sorgen. Aber andererseits sollten diese Ziele etwas Arbeit der Volksvertreter rechtfertigen können.