Frankreichs Innenminister will Hassseiten im Internet schließen

Die Attentäter unterliefen die Überwachung der Geheimdienste. Das Land hat bereits weitgehende Anti-Terror-Gesetze. Nun fragt sich die Regierung, wie sie auf den Albtraum der letzten Woche reagieren soll

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In der ersten Aufarbeitung der Terrortaten und der Akteure zeigen sich "Schwachstellen" im Sicherheitsapparat, wie es Premierministers Valls ausdrückte. Sein Innenminister Cazeneuve blieb, darauf angesprochen, dass die drei Täter - deren Verantwortung für den Anschlag auf Charlie Hebdo, für einen weiteren Polizistenmord und den vierfachen Mord in dem jüdischen Supermarkt nach bisherigen Ermittlungsstand als bestätigt gilt - der Polizei, den Geheimdiensten und der Justiz bekannt waren, zunächst vage. Man habe sie überwacht, deutete er an, aber die Wachsamkeit wurde nicht aufrechterhalten.

Nach Informationen des Parisien wurden beide Brüder mehrmals zwischen Frühling 2009 und Juli 2014 von Geheimdiensten unter Überwachung gestellt.

Saïd Kouachi, ältere der beiden Brüder, wurde vom Geheimdienst telefonisch abgehört und "mit technischen Mitteln überwacht" - nachdem der amerikanische Geheimdienst die französischen Kollegen über einen dreiwöchigen Jemenaufenthalt in Kenntnis gesetzt hatten. Die Überwachung dauerte etwa drei Jahre lang. Ende 2011 wurde er angeblich auch observiert. Etwa drei Jahre später, im Juni 2014, wurde entschieden, die Überwachung einzustellen. Grund: Saïd verhielt sich unauffällig, er bot keinen weiteren Anlass zur Überwachung.

Auch bei seinem jüngeren Bruder Chérif scheint sich bei den Geheimdiensten und Anti-Terrorspezialisten die Auffassung durchgesetzt zu haben, dass er sich "vom islamistischen Milieu abgesetzt" habe, so beschreibt es der Nouvel Observateur. Bekannt war allerdings seine frühere Verstrickung in Dschihadistenkreise und seine Beteiligung an einer geplanten Befreiung des Attentäters Smaïn Ait Belkacem. Das Gericht ließ die Anklage gegen Chérif Kouachi im November 2013 mangels Beweise fallen.

Amedy Coulibaly wurde nach Informationen des Nouvel Obs von den Anti-Terror-Diensten nicht überwacht. Man habe sich anderen Objekten zugewandt, die zu diesem Zeitpunkt ein größeres Risiko darstellten, zitiert Le Parisien eine ungenannte Justiz-Quelle. Entsprechend kommen von vielen Seiten nun Vorwürfe der Nichtachtsamkeit, der falschen Prioritäten etc., aber auch das Argument, dass man nicht das Personal habe, um solche Überwachungen durchzuführen. Es ist demnach zu erwarten, dass der Apparat auf 40.000 Mitarbeiter aufgestockt wird - soweit die knappen Staatskassen dies zulassen. Bestimmte Begrenzungen bleiben aber auch bei mehr Personal: Wie lange hält man eine intensivere Überwachung durch, wenn sich die verdächtige Person möglichst unauffällig verhält?

Was die Schläfer, wenn es denn solche waren, zur Aktion gebracht hat, ist Spekulationen unterworfen. Ein Befehl aus dem Kalifat? Eine Anordnung von al-Qaida? Oder war es das "inspirierende Klima" der Medienaufmerksamkeit für die IS-Dschihadisten?

Für Abwehrmaßnahmen in dieser Grauzone gibt es die üblichen Wege, die Cazeneuve bereits angedeutet hat: Eingriffe in Internetangebote und einen Ausbau der Kommunikationsüberwachung, engere Anti-Terror-Zusammenarbeit in Europa und damit einhergehend der Ausbau der europäischen Datenbanken, wie dies die europäischen Justizminister nach ihrem aktuellen Zusammentreffen beschlossen haben (siehe: Entschlosseneres Vorgehen der EU gegen Radikalisierung und gewaltbereiten Extremismus). Man haut in die "gleiche Kerbe wie die USA".

Man werde künftig enger mit den Internetprovidern zusammenarbeiten, um bestimmte Inhalte, die "zum Hass und zum Terror aufwiegeln" zu identifizieren und aus dem Netz zu nehmen, erklärte das französische Innenministerium nach dem Treffen, das vor der gestrigen Großkundgebung in Paris stattfand. Zudem wolle man die Kontrolle der Ausreisenden an den EU-Außengrenzen verschärfen - und eine europäische Version des Passenger Name Record schaffen, die Fluggesellschaften sollen, was Passagierlisten betrifft, besser mit den europäischen Abwehrdiensten kooperieren.

Nachtrag: Überwachungskritiker werden es schwerer haben in Frankreich - und nicht nur dort. Die eigenartige Front der Politiker, die die französische Regierung gestern nach Paris einlud, um für Demokratie und Meinungsfreiheit zu paradieren ("Wir sind Charlie" - zur Staatsveranstaltung umfunktioniert), stimmt wenig hoffnungsfroh, was die künftig umgesetzte Auffassung von Meinungsfreiheit in Frankreich angeht.