"Frau Baerbock ist in ihrer Wortwahl vorsichtiger geworden"
Ein Gespräch mit dem russischen Deutschland-Experten Wladislaw Below über die grüne Außenministerin, die angespannte Lage in Osteuropa und den möglichen Schlüssel zur Entspannung
Das deutsch-russische Verhältnis ist zerrüttet, in den letzten Jahren von Vorwürfen, Skandalen und Sanktionen geprägt. Mit dieser Ausgangslage übergab Heiko Maas (SPD) das deutsche Außenamt an seine betont russlandkritische grüne Nachfolgerin Annalena Baerbock.
Diese ist nun wenige Monate im Amt und hat Moskau besucht. Welches Bild herrscht auf der russischen Seite von der neuen Außenpolitik der Ampelkoalition? Telepolis sprach darüber mit Wladislaw Below. Er ist als stellvertretender Direktor des Europainstituts der Russischen Akademie der Wissenschaften einer der führenden Deutschland-Experten des Landes.
Baerbock fehlt "Hintergrundwissen aus der 'Bundesliga'"
Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Tass haben Sie vor Frau Baerbocks Amtsantritt ausgesagt, dass sie für ihr Amt nicht die nötige Erfahrung hat und ungeeignet ist. Hat sich Ihre Meinung nach dem ersten Besuch der Außenministerin in Moskau geändert?
Wladislaw Below: Ich bin bei dieser Einschätzung geblieben. Frau Baerbock besitzt leider keine Erfahrung als Regierungsmitglied oder in der Außenpolitik. Ihr fehlt einfach das Hintergrundwissen aus der "Bundesliga" der deutschen Politik. Der Besuch in Moskau hat allerdings gezeigt, dass sie lernfähig ist und ihre Kompetenzen Schritt für Schritt erweitern kann.
Sie meinten auch, wegen Frau Baerbock ablehnender Haltung Russland gegenüber würden sich die deutsch-russischen Beziehungen verschlechtern.
Wladislaw Below: Das ist ebenfalls weiter richtig und schon Realität. Sie hat ohne zwingenden Grund im Dezember zwei russische Diplomaten ausgewiesen (Anmerkung der Redaktion Die Ausweisung erfolgte aufgrund des Urteils im sogenannten Tiergartenmord). Frau Baerbock ist aber in ihrer Wortwahl vorsichtiger geworden.
Appelle zu Menschenrechten sind "Pflichtprogramm" ohne Effekt
Außenministerin Baerbock legt sehr großen Wert auf deutliche Appelle an die russische Regierung zur Einhaltung von Menschenrechten und Pressefreiheit. Hier gibt es ja wirklich restriktive Entwicklungen in den letzten Jahren. Haben solche Appelle einen Effekt auf die Innenpolitik des Kreml?
Wladislaw Below: Das ist ein Pflichtprogramm für jedes deutsche Regierungsmitglied, hat aber keinen Effekt auf die hiesige Politik. Natürlich hat sie etwa Nawalny oder Memorial erwähnt. Der Druck auf Oppositionelle ist in Russland nicht besser geworden.
Wichtig wäre, dass etwa mit dem Petersburger Dialog wieder der zivilgesellschaftliche Dialog in Gang kommt. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat diese Institution beim Treffen in Moskau auch erwähnt und Frau Baerbock hat ihm zumindest nicht widersprochen, im Grunde genommen hat sie ihn sogar bestätigt.
Sehen Sie den ökologischen Wandel Deutschlands und auch Russlands als Chance für eine mögliche Zusammenarbeit? Oder überwiegt hier für Russland eher die Gefahr, dass nach Mitteleuropa verkaufte Bodenschätze langfristig nicht mehr so gut absetzbar sind?
Wladislaw Below: Ich habe mich kürzlich mit einem Vertreter der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer zum Thema der Chancen durch den "New Green Deal" getroffen und die Perspektiven sind positiv. Hier herrscht kein kritisches Klima. Auch im aktuellen Koalitionsvertrag steht ja, dass Erdgas als Brückentechnologie bis zur Umstellung auf regenerative Quellen genutzt wird.
Über Nuklearwaffen verhandeln die USA und Russland direkt
Ihr Kollege Kamran Gasanow hat in einer Analyse für den Russischen Rat für Auswärtige Beziehungen geschrieben, Deutschland habe Angst, im Schatten der amerikanisch-russischen Verhandlungen zu bleiben. Gibt es eine Art Konkurrenz im Westen, wer die wichtigen und zentralen Themen federführend bespricht?
Wladislaw Below: Ich kenne Kamran Gasanow gut, aber das ist eine Meinung, die andere führende Experten nicht teilen. Scholz oder Macron legen Wert darauf, dass auch die russisch-amerikanischen Verhandlungen Einfluss auf Europa haben. Aber was Nuklearwaffen angeht: Hier können weder die Europäer noch die Chinesen wirkungsvoll direkt mitverhandeln.
Die Europäer üben hier über die Nato intern Einfluss auf die USA aus. Die Nato ist eine Institution, in der nicht nur Amerika sprechen kann. Die direkten Verhandlungen über Atomwaffenkontrolle führen aber Washington und Moskau.
USA "nicht dominant gegenüber der EU"
Kann Deutschland innerhalb des Westens eine eigenständige Russlandpolitik machen? Ist es nicht stark in das westliche Bündnis eingebunden? Gerade in Russlands Staatsmedien bezeichnen ja immer wieder Sprecher die Europäer als abhängige "Untergebene" der USA?
Wladislaw Below: Die deutsche Russlandpolitik ist nur durch die EU eingeschränkt. Die Bundesregierung betont immer: Es gibt nur eine deutsch-europäische Russlandpolitik unter Berücksichtigung der Interessen der Staaten in Ost-Mitteleuropa und Osteuropa. Zwischen Brüssel und Washington wiederum gibt es viele Konfliktlinien und Konkurrenz.
Hier muss Washington den Europäern auch entgegenkommen, es ist eine konkurrierende Partnerschaft. Es ist nur für manche russische Propagandisten in den Talkshows bequem, die USA als dominant darzustellen. Es ist aber eher eine gegenseitige Abhängigkeit und aufeinander abgestimmte Politik.
Es wird bald ein Treffen im Normandie-Format Deutschland-Frankreich-Ukraine-Russland geben, um den Stillstand in der Lösung des Ukraine-Konflikts zu beenden. Erwarten Sie vom Treffen einen echten Fortschritt? Wie könnte ein solcher aussehen?
Wladislaw Below: Ich wünsche mir einen Fortschritt. Leider wissen wir nicht, was aktuell in den Mappen der Teilnehmer des Treffens liegt. Russland hat ja zu früheren Zeitpunkten Treffen abgelehnt, da Kiew nichts anzubieten hatte. Auch Frau Baerbock reiste jetzt aus Kiew nicht mit einem sichtbaren Ergebnis nach Moskau weiter. Ich hoffe trotzdem, dass die Mappen der Teilnehmer etwas Sinnvolles enthalten.
Ich sehe aber leider auch etwas Säbelrasseln in Kiew, während mir auch auf Diskussionsveranstaltungen in Deutschland niemand beantworten kann, aus welchem Grund Russland jetzt in die Ukraine einmarschieren sollte. Auf beiden Seiten der Grenze stehen erhebliche Truppenkonzentrationen.
Für mich liegt der Schlüssel zur Lösung des Konflikts in Kiew - es gibt ja eine innerukrainische Konfliktlinie. Deutschland sollte, wenn es Verantwortung übernehmen will, auch Einfluss auf Kiew ausüben. Es schlimm, dass wir am Rande eines Krieges stehen. Dieser kann jedoch nur von Kiew provoziert werden.
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