Frauen in Deutschland 2023 – das gesellschaftlich benachteiligte Geschlecht?

Bild: Becca Tapert/Unsplash

Grenzen und Widersprüche des Gleichstellungsfeminismus. Ein Einwurf mit Hintergründen zur Debatte.

Anhänger des Gleichstellungsfeminismus engagieren sich gegen solche Arbeitseinkommen von Frauen, die niedriger sind als die der Männer, und treten dafür ein, dass mehr Frauen in Führungspositionen gelangen.

Gleichstellungsfeministinnen kritisieren zudem eine Sozialisation, die Mädchen eine schwächere Position im späteren Leben verschafft – durch Bravheit, Nachgiebigkeit und Fügsamkeit sowie durch Distanz zu technischen und naturwissenschaftlichen Themen. Feministinnen bekämpfen den männlichen Chauvinismus, der Frauen abwertet, und männliche Gewalt gegen Frauen.

Viele Feministinnen geben den Unterschied zwischen Arbeitseinkommen von Frauen und Männern in Deutschland mit 18 Prozent an.

Allerdings ist, so Frank Specht, sei es

"unstrittig, dass ein großer Teil der 18-Prozent-Differenz darauf zurückzuführen ist, dass Frauen eher in schlechter bezahlten Berufen und öfter in Teilzeit arbeiten. Sie unterbrechen häufiger ihre Erwerbsbiografie, um sich um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige zu kümmern, und erreichen deshalb auch seltener Führungspositionen. Rechnet man diese Faktoren heraus, verbleibt für das Jahr 2018 eine sogenannte bereinigte Entgeltlücke von 5,3 Prozent, wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) […] ermittelt hat" (Specht 2021, siehe "Literatur" am Ende des Beitrags).

Vertreterinnen des Gleichstellungsfeminismus sehen in diesem Unterschied der Arbeitseinkommen einen Verstoß gegen die Norm der Gleichheit. Mit dem Wertesystem der bürgerlichen Gesellschaft sind ständische Hierarchien, Ungleichbehandlung von Gleichem sowie Diskriminierung unvereinbar.

"Gleichheit" als Verfassungsnorm lässt sich gegen willkürliche oder sachfremde Hierarchien geltend machen, nicht aber gegen die gesellschaftlich als sachlich notwendig geltenden Hierarchien. Der Gleichheitsgrundsatz "ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung nicht finden lässt" (Hesselberger 1988, 77).

Die Zuordnung von Personen zu unterschiedlichen Positionen in den sozialen Hierarchien soll sich nach den Qualifikationen der jeweiligen Kandidaten richten. Mit der Gerechtigkeitsnorm sind weder diese Hierarchien selbst infrage gestellt, noch eine gleiche Höhe aller Arbeitseinkommen vorgesehen.

Frauen und Männer werden gleichen Maßstäben unterworfen

Anhänger des Gleichstellungsfeminismus interpretieren den durchschnittlichen Unterschied zwischen den Arbeitseinkommen von Männern und Frauen als Ergebnis eines Verstoßes gegen die Verfassungsnorm der Gleichheit. Diese Erklärung sieht von den Maßstäben ab, die in der kapitalistischen Ökonomie an Männer und Frauen angelegt werden.

Frauen stellen so lange ein "unternehmerisches Risiko" dar, wie sie gebärfähig sind. Bei Schwangerschaft ist eine neue Arbeitskraft zu suchen und einzuarbeiten. Kleine Kinder sind für Krankheiten anfällig. Arbeitskollegen haben dann Mehrarbeit zu leisten.

"Eben mal" Überstunden oder eine plötzlich anberaumte Zusatzarbeit sind für Mütter häufig nicht möglich. Bei ihnen können leicht Störungen des effizient geregelten Arbeitstages anfallen, wenn der Kindergarten plötzlich anruft, weil das Kind fiebert, oder wenn die Tagesmutter überraschend absagt.

Mütter kleiner Kinder unterliegen Einschränkungen in der Verfügung über ihre Arbeitskraft. Auch Frauen, die sich aktuell keine Kinder wünschen, könnten es sich ja noch anders überlegen. Die Einstellungskriterien beziehen sich auf Maßstäbe, die nicht daraus resultieren, dass die Unternehmer Männer sind. Auch Unternehmerinnen müssen so handeln, um ihr Kapital zu erhalten, und das heißt, es zu vermehren.

Eine wenigstens ökonomisch rationale Arbeitsteilung

Wenn jemand unter den gegebenen Bedingungen bei der Versorgung des Nachwuchses die Arbeit aufgibt, dann eher die Person, die weniger an Einkommen nach Hause bringt. Frauen haben durch Unterbrechung ihrer Erwerbsbiografie infolge von Schwangerschaft durchschnittlich geringere Chancen zum Aufstieg in Betrieben bzw. Organisationen.

Ein Kreislauf bildet sich heraus, in dem die Nachteile, die Frauen mit Kindern in der Erwerbsarbeit haben, diese Frauen in die innerfamiliäre Arbeit drängen. Das wirkt sich wiederum nachteilig auf ihre Stellung im Erwerbsleben aus.

Solange das Erwerbsleben zugeschnitten ist auf den Vollzeiterwerbstätigen, der weitestgehend frei von Familienverpflichtungen dem Betrieb mit ganzer Arbeitskraft zur Verfügung steht, werden Personen, die dies nicht können oder nicht wollen oder von denen nur erwartet wird, dass dies irgendwann der Fall sein könnte, Nachteile im Beruf in Kauf nehmen müssen.

Krombholz 1991, 226

Die Notwendigkeit, für die Betreuung der Kinder zu Hause zu bleiben, steigt in dem Maße, wie es an Personal und Plätzen in Kinderkrippen und Kitas fehlt. Um ein Resultat von Frauenfeindlichkeit oder "Männerherrschaft" handelt es sich dabei nicht. Wir haben es vielmehr mit indirekten Konsequenzen zu tun, die aus den herrschenden Maßstäben des Geschäfts- und Erwerbslebens resultieren.

Die kapitalistische Hierarchie zwischen Mehrwertproduktion und reproduktiven Tätigkeiten

Wie kommt es zu den im Vergleich zur "Wirtschaft" niedrigeren Arbeitseinkommen im Bereich der Kitas, Kranken- und Altenpflege?

In der kapitalistischen Ökonomie geht es primär darum, Mehrwert zu schaffen. Erziehung, Kranken- und Altenpflege stellen eine notwendige Bedingung der Mehrwertproduktion dar, aber meistens – Privatschulen und -krankenhäuser ausgenommen – keine Tätigkeiten, die selbst Mehrwert schaffen. Vielmehr werden sie durch Steuern oder durch Versicherungsbeiträge finanziert.

Erziehung, Kranken- und Altenpflege sind teurer als andere Bereiche, insofern in ihnen die Produktivität der Tätigkeit geringer ist als in der Industrie. Sie vermag Arbeitskosten leichter durch Maschinisierung zu senken. Zur kapitalistischen Marktwirtschaft gehört die Notwendigkeit, an diesen Bereichen so weit zu sparen wie eben möglich und sie nur so weit auszustatten wie eben nötig.

Aus der Tatsache, dass im Bereich von Erziehung, Kranken- und Altenpflege sehr viel mehr Frauen als Männer beschäftigt sind, ist es üblich geworden, von "Frauenberufen" zu sprechen. Die im Vergleich zu mehrwerttauglichen Betrieben im Durchschnitt geringere Bezahlung hat seine Ursache nicht in der Geringschätzung des Geschlechts der dort hauptsächlich tätigen Personen.

Das gegenwärtige Verhältnis zwischen Erziehungswesen, Kranken- bzw. Altenpflege und Industrie ist kein Verhältnis zwischen Frauen und Männern, sondern zwischen Tätigkeiten, die im Kapitalismus unterschiedlich zählen: Die einen schaffen Mehrwert, die anderen nicht.

Wer für höhere Arbeitseinkommen von Erziehern, Kranken- und Altenpflegekräften in öffentlichen Einrichtungen eintritt, hat nicht "das Patriarchat" gegen sich. Ebenso wenig gibt es deshalb im Friseurhandwerk schlechte Löhne, weil es sich meist um Frauen handelt, die diesen Beruf ausüben.

Vertreterinnen und Vertreter des Gleichstellungsfeminismus wenden sich gegen stereotype Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit. An den Schulen wird einiges dafür unternommen, dass auch Mädchen sich für Mint-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) interessieren. Männliche Grundschullehrer und Erzieher sind gegenwärtig händeringend gesucht, damit die Kinder es in Kita und Grundschule nicht ausschließlich mit Frauen zu tun haben.

Der Gleichstellungsfeminismus lehnt zu Recht ungleiche Arbeitseinkommen bei gleicher Leistung sowie wie eine Kinder ungleich behandelnde Sozialisation ab. Entsprechendes gilt für Vorstellungen über "die" weibliche oder männliche "Natur".

Solche Unterschiede in der Sozialisation werden als ein Grund dafür angeführt, warum Mädchen und Jungen bislang unterschiedliche berufliche Präferenzen haben.

Männer bilden eine winzige Minderheit unter Sprechstundenhilfen und eine kleine Minderheit unter Erziehern und Krankenpflegepersonal. Frauen sind unter Mechanikern, Elektrikern und Ingenieuren selten.