Freihandel mit aller Gewalt

Symbolbild: Chester Ho

Die Energie- und Klimawochenschau: Von Fluten, Dürren und Sojawüsten, von brennenden Wäldern, einem neuen Freihandelsvertrag und der Götterdämmerung der Automobilindustrie

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Japan wurde am Wochenende von extremen Niederschlägen heimgesucht. Vor allem auf Kyushu, der südlichsten der Hauptinseln, wurden zahlreiche Menschen getötet. Dort und in den nördlich angrenzenden Landesteilen traten zahlreiche Flüsse über die Ufer. Die Wassermassen sowie zahlreiche Hangrutsche zerstörten Straßen, Brücken, Gebäude und unzählige Fahrzeuge.

Die Japan Times berichtete am Montag von 22 bestätigten Todesopfern und weiteren 18, für die es wenig Aussicht gäbe. Einige Dörfer seien von der Außenwelt abgeschnitten, mancherorts die Überlandleitungen der Stromversorgung zerstört. Auch für die kommenden Tage werden weitere starke Regenfälle vorhergesagt.

Angesichts der vielen Menschen, die ihre gefährdeten oder bereits zerstörten Häuser verlassen müssen und nun in Notunterkünften in Turnhallen untergebracht sind, warnen Seuchenexperten vor der Ausbreitung des Covid-19-Virus. Wenn, wie in den japanischen Katastrophenplänen vorgesehen, jedem Menschen nur etwas mehr als eineinhalb Quadratmeter zugestanden werden, sei es nicht möglich, ausreichend Abstand zu halten. Unabhängig von den Unwettern war es in Japan bereits in der vergangenen Woche zu einem Wiederanstieg der Zahl neuer Infektionen gekommen.

Weiter zu trocken

Ganz andere Problem haben derweil Mittel- und Osteuropa, wie unter anderem der Spiegel berichtet. Trotz der Niederschläge der vergangenen Wochen hat sich der Grundwasserstand noch lange nicht von den beiden zurückliegenden trockenen Jahren und dem niederschlagsarmen Winter und Frühjahr erholt.

Grundwasser am 22. Juni, abgeleitet aus Variationen in der Anziehungskraft, die mit dem Satellitensystem GRACE-FO gemessen werden. Dargestellt ist die Abweichung vom langjährigen Mittel. Die dunkelroten Zonen sind so trocken, wie es nur alle 50 Jahre einmal vorkommen sollte. Bild: NASA

Das zeigen Satellitenmessungen und für Deutschland deutlich detaillierter auch der am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig erstellte Dürremonitor. Etwas weniger dramatisch sieht es aufgrund der jüngsten Niederschläge im obersten Bereich des Bodens aus, der für die Pflanzen besonders wichtig ist. Doch auch hier sind weite Teile der Ukraine, die ein wichtiger Getreideexporteur ist, tiefrot, wie von der NASA veröffentlichte Daten darlegen.

Offenbar sind die trockenen Jahre Teil eines länger anhaltenden Trends. Eine im März von der Europäischen Umweltagentur veröffentlichte Analyse der Niederschlagsdaten 1950 bis 2015 zeigt für nahezu das ganze Gebiet der Mitgliedsländer eine Zunahme von Dürreperioden. Nur in Teilen Skandinaviens, in Westschottland, auf Island und im Osten der Türkei nehmen die niederschlagsarmen Zeiten eher ab. Das entspricht im Großen und Ganzen dem, was die Klimawissenschaften in einer wärmer werdenden Welt erwarten.

Die Folgen der Trockenheit sind hierzulande in den Städten noch nicht zu spüren, aber auf dem Land sieht es schon etwas anders aus. Aus Niedersachsen berichtet zum Beispiel das ZDF, dass im dortigen Landkreis Osnabrück bis Ende September das Beregnen von Äckern, Grünflächen und Sportanlagen in der Zeit von 12 bis 18 Uhr verboten wurde. So soll Wasser effizienter eingesetzt werden. In der Zeit der größten Tageshitze können nämlich je nach Bewässerungsart bis zu 40 Prozent des eingesetzten Nass verdunsten, bevor es noch den Pflanzen nutzen kann.

In Brandenburg hat das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz die Landkreise und Städte gebeten, sparsamer mit Wasser umzugehen. In verschiedenen Landkreisen im Osten und Südosten wurden bereits Beschränkungen für die Entnahme von Oberflächenwasser erlassen.

In den letzten beiden Jahren kam es wiederholt zu extremen Niedrigwassersituationen mit trockenfallenden Fließgewässern, erheblichen Wasserstandsverlusten in den Seen und fallenden Grundwasserständen. Die Wintermonate konnten die Wasserdefizite nicht ausgleichen. Durch fehlende Niederschläge im März und April hat sich die hydrologische Situation in allen brandenburgischen Flussgebieten trotz der teilweise ergiebigen Niederschläge im Mai und Juni nur geringfügig erholt.

Brandenburgisches Landwirtschafts- und Umweltministerium

Wälder in Not

Im ganzen Land macht die Trockenheit inzwischen massiv den Wäldern zu schaffen. 245.000 Hektar Wald seien bereits zerstört, berichtet die Frankfurter Rundschau. Das entspricht fast der Fläche des Saarlandes. Die Waldböden seien bis in größere Tiefen staubtrocken.

Andere Faktoren setzen die gestressten Bäume zusätzlich unter Druck. Der milde Winter hat den Borkenkäfer geschont, der nun in umso größerer Zahl über die geschwächten Kiefern herfällt. Hinzu kommen die seit den 1980er Jahren bekannten Dauerbrenner wie Stickoxide aus den Emissionen von Kraftwerken und vor allem Fahrzeugen sowie das in der Landwirtschaft in viel zu großem Ausmaß freigesetzte Ammoniak. Beide tragen zur Versauerung der Böden und dem Auswaschen von Nährstoffen bei.

Dennoch hat der Bundestag mit dem sogenannten Kohleausstiegsgesetz letzte Woche beschlossen, dass unter bestimmten Umständen der Einsatz von Biomasse - also auch Holz - in ehemaligen Kohlekraftwerken gefördert wird. Für Europas Wälder ist das sicherlich eine schlechte Nachricht.

Schon jetzt, so das Ergebnis einer Studie, über die die Berliner taz schreibt, hat der Holzschlag in den EU-Ländern stark zugenommen. Zuletzt habe die kommerzielle Holzernte um fast 50 Prozent über dem Niveau von 2016 gelegen, hat die Analyse von Satellitenaufnahmen ergeben. Hinzu kommt auch in den anderen EU-Staaten eine erhebliche Zunahme der Schäden durch Waldbrände und Insektenfraß.

Sibirien brennt

Richtig schlimm sieht es aber weiter in Osten, in den größten zusammenhängenden Wäldern der Erde aus. Sibirien ist nicht nur viel zu warm und leidet unter auftauendem Permafrost. Mit der Wärme kommt auch die Trockenheit und ein erheblicher Anstieg der Waldbrandgefahr. Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet von sogenannten Zombie-Feuern, die im torfigen Untergrund selbst im Winter weiterschwelen können. Im Frühjahr können diese dann neu entfacht werden.

Im Juni seien die Feuer, gemessen an der Menge freigesetzten CO2, noch etwas schlimmer als im Juni 2019 gewesen. Dieser galt bisher als der schlimmste Monat in einer Datenserie, die bis 2003 zurückreicht. Im Juni 2020 wurden durch die sibirischen Brände 60 Millionen Tonnen des Treibhausgases in die Luft geblasen. Das entspricht gut sieben Prozent der deutschen Jahresemissionen.

Schweinezyklen

Mehr Schlagzeilen haben im letzten Jahr die Feuer im brasilianischen Amazonasbecken gemacht. Der dortige Regenwald steht vor allem unter dem Druck der Agrarindustrie, die der ewige Landhunger für Rinderweiden und Sojaanbau umtreibt. Soja, das nach Europa oder China exportiert wird, um dort in riesigen, Umwelt und Anwohner belastenden Mastbetrieben verfüttert zu werden, für die Aufzucht gequälter Tiere, die dann unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen von miserabel bezahlten und von Ministerpräsidenten rassistisch diskriminierten Arbeitern geschlachtet und zerlegt werden.

Um diese Geschäfte künftig noch etwas reibungsloser abwickeln zu können, drängt die Agrarlobby in Brasilien und Argentinien auf ein Freihandelsabkommen mit der EU. Hierzulande ist die Exportindustrie mehr als aufgeschlossen. Seit vielen Jahrzehnten gehörten erst Westdeutschland und dann der später vereinigte deutsche Staat zu den weltweit eifrigsten Werbern für Freihandelsabkommen.

Berlin will Mercosur-Abkommen

Deshalb hat sich die Bundesregierung vorgenommen, den Verhandlungen über das sogenannte Mercosur-Abkommen während ihrer gerade begonnenen EU-Ratspräsidentschaft neuen Schub zu geben. Benannt ist der angestrebte Vertrag nach dem südamerikanischen Staatenbund, dem Argentinien, Uruguay, Brasilien und Paraguay angehören. Venezuelas Mitgliedschaft ist ausgesetzt. Die anderen südamerikanischen Länder sind größtenteils assoziiert.

Die Chancen für das Abkommen sind aber nicht besonders gut, weil es auf beiden Seiten des Atlantiks erheblichen Widerstand gibt. So sprach sich letzten Monat die Zweite Kammer des niederländischen Parlaments mit knapper Mehrheit gegen das Abkommen aus. Befürchtet wird von den Kritikern neben dem wachsenden Druck auf den Amazonas-Regenwald ein weiteres Aufweichen von Sozial- und Umweltstandards im Namen des ungebremsten Freihandels.

Über den Charakter der brasilianischen Agrarindustriellen, eifrigen Freunden des rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro, gibt eine Reportage der taz Aufschluss. Mit kleinen Privatarmeen machen sie im südlichen Bundesstaat Mato Grosso Jagd auf Angehörige des Volks der Guarani. Diese versuchen seit einigen Jahrzehnten, sich das Land mit Besetzungen zurückzuholen, von dem ihre Vorfahren einst von weißen Siedlern vertrieben wurden.

Diese haben inzwischen die Wälder abgeholzt und riesige Soja-Monokulturen angelegt. Nun bezahlen sie Pistoleros, die immer wieder Guarani-Aktivisten ermorden. Daran konnten selbst die linken Präsidenten Lula da Silva und Dilma Rousseff zwischen 2003 und 2016 nichts ändern, die im Parlament meist auf Stimmen der Agrarlobby angewiesen waren. Und seit neuestem hat das Land einen Präsidenten, der alle Schranken für die Großgrundbesitzer einreißen will.

"Klima der Angst"

Wie immer gab es in der vergangenen Woche mal wieder viel mehr aus dem Bereich Klima und Energie, als hier Platz hatte. Über das Kohleausstiegsgesetz hatten wir hier auf Telepolis ja schon mehrfach berichtet, über den schleppenden Ausbau der Windenergie auch, verlinken wollen wir aber hier noch einmal auf die neuesten Zahlen.

Erwähnen sollten wir noch die innergewerkschaftliche Kritik in der IG Metall, die sich an deren Ruf nach einer Abwrackprämie reibt, den wichtigen Erfolg der US-amerikanischen Umweltbewegung gegen die Dakota-Access-Ölpipeline, die von einem Gericht am gestrigen Dienstag vorerst gestoppt wurde und den beschleunigten Eisverlust in der Antarktis. Auch die Entwicklung der EEG-Umlage, die nun gedeckelt wird, - ein Aufschlag auf die Stromrechnung der Verbraucher von etwas über sechs Cent pro Kilowattstunde - wäre noch eine Erwähnung wert.

Und dann war da noch die französische Werbeaufsichtsbehörde, die einen Werbeclip einer niederländischen Fahrradmarke verboten hat. Einige der gezeigten Bilder seien "unausgewogen und geeignet, die Autobranche zu diskreditieren". Es würde ein "Klima der Angst" erzeugt.

Die scheint allerdings ohnehin in der Branche umzugehen. Die Corona-Beschränkungen sind größerenteils vorerst vorüber, aber die Kauflust will nicht recht wieder anspringen. Im Juni 2020 gab es in Deutschland 32,3 Prozent weniger Neuzulassungen als im Juni 2019, vermeldet das Kraftfahrtbundesamt.

Die Zahl der privaten Neuzulassungen sei gar um 38,2 niedriger gewesen. Damit setzte sich der stark negative Trend der vergangenen Monate fort. Insgesamt wurden im ersten Halbjahr 2020 in Deutschland 34,5 Prozent oder gut 580.000 weniger neuer Pkw zugelassen.