Freiwillige oder Söldner?

Nach Ansicht der Menschenrechtsorganisation HRW findet in der Ostukraine ein "bewaffneter Konflikt" statt und gilt daher das Kriegsrecht für alle Konfliktparteien

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat in einem Bericht darauf aufmerksam gemacht, dass der "bewaffnete Konflikt" in der Ostukraine zwischen ukrainischen Streitkräften und "bewaffneten Gruppen/Aufständischen" nach dem internationalen Kriegsrecht einen internen bewaffneten Konflikt darstellt. Die bewaffneten Gruppen müssen dazu hinreichend organisiert und ausgerüstet sein, um militärische Aktionen durchzuführen. Das sei in der Ostukraine gegeben, weswegen hier auch das internationale Kriegsrecht gelte, d.h. die sich bekämpfenden Konfliktparteien müssen die internationalen humanitären Regeln der Genfer Konventionen einhalten.

Die Miliz Azov wird privat finanziert und sucht auch Kämpfer aus dem Ausland.

Das Kriegsrecht muss auch eingehalten werden, wenn die jeweils andere Seite sich nicht daran hält. Angriffe dürfen nur auf militärische Ziele erfolgen, direkte Angriffe auf Zivilisten und zivile Ziele sind ebenso verboten wie exzessive und ungerichtete Gewaltanwendung. Zivilisten dürfen nicht als Schutzschild verwendet werden, Artilleriebeschuss oder Bombardierung von militärischen Zielen in dicht besiedelten Gebieten können gegen das Kriegsrecht verstoßen, wenn nicht alles getan wird, um das Risiko für Zivilisten zu mindern. Journalisten, die nicht an Kämpfen teilnehmen, dürfen "niemals" angegriffen werden. Radio- und Fernsehsender dürfen nur angegriffen werden, wenn sie direkt für militärische Zwecke verwendet werden, das gilt auch für Flughäfen, Brücken und Straßen. Gefangene müssen angemessen versorgt und dürfen nicht misshandelt werden.

Die Ukraine hat allerdings nicht das Rom-Statut ratifiziert, daher kann der Internationale Gerichtshof (ICC) hier nur gegen Verstöße des Kriegsrechts ermitteln, wenn es einen Beschluss des UN-Sicherheitsrats gibt oder wenn der Beschuldigte Bürger eines Landes ist, das den ICC anerkannt hat. Auch Russland ist - ebenso wie die USA - kein Vertragsstaat. Die Verfolgung von möglichen Kriegsverbrechen wird also schwierig sein, wenn es nicht um die jeweiligen Gegner geht.

Nach den Genfer Konventionen gelten "Kombattanten", also etwa Angehörige der separatistischen Milizen oder "Volkswehren", als Kriegsgefangene. Die Bezeichnung der separatistischen Kombattanten als "Terroristen" oder "Kriminelle", wie dies in Kiew von offizieller Seite gepflegt wird, dient wohl auch dazu, diesen Schutz zu unterlaufen. Artikel 44 des "Zusatzprotokolls über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte" sagt dazu:

Obwohl alle Kombattanten verpflichtet sind, die Regeln des in bewaffneten Konflikten anwendbaren Völkerrechts einzuhalten, verwirkt ein Kombattant bei Verletzung dieser Regeln nicht das Recht, als Kombattant oder, wenn er in die Gewalt einer gegnerischen Partei gerät, als Kriegsgefangener zu gelten.

Ausnahmen gibt es bei "heimtückischem" Verhalten, wenn ein Kombattant sich nicht von der Zivilbevölkerung unterscheidet und seine Waffen nicht offen mit sich führt. Ausnahmen gibt es für Spione und für Söldner. Da immer wieder von ukrainischer Seite behauptet wird, dass auf Seiten der Separatisten Söldner aus Russland oder anderen Staaten mitwirken, ist dieser Punkt besonders interessant. So hatte etwa der oberste Nato-Kommandeur, General Breedlove, am Montag zwar nicht von Söldern in der Ukraine gesprochen, aber von "russischen irregulären Kräften", die in der Ukraine sehr aktiv seien. Gemeint sind damit wohl auch Söldner. Die russischen Streitkräfte würden überdies helfen, dass Kämpfer, Ausrüstung und Geld in die Ukraine fließen:

Russian regular forces are very active along the border of Ukraine facilitating the movement of forces, equipment, and finances across that border. Russian irregular forces are very active inside eastern Ukraine. Russian-backed forces are active inside eastern Ukraine. And Russian financing is very active inside eastern Ukraine.

General Breedlove

Als Söldner gilt nach dem Zusatzprotokoll

  1. wer im Inland oder Ausland zu dem besonderen Zweck angeworben ist, in einem bewaffneten Konflikt zu kämpfen,
  2. wer tatsächlich unmittelbar an Feindseligkeiten teilnimmt,
  3. wer an Feindseligkeiten vor allem aus Streben nach persönlichem Gewinn teilnimmt und wer von oder im Namen einer am Konflikt beteiligten Partei tatsächlich die Zusage einer materiellen Vergütung erhalten hat, die wesentlich höher ist als die den Kombattanten der Streitkräfte dieser Partei in vergleichbarem Rang und mit ähnlichen Aufgaben zugesagte oder gezahlte Vergütung,
  4. wer weder Staatsangehöriger einer am Konflikt beteiligten Partei ist noch in einem von einer am Konflikt beteiligten Partei kontrollierten Gebiet ansässig ist,
  5. wer nicht Angehöriger der Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei ist und
  6. wer nicht von einem nicht am Konflikt beteiligten Staat in amtlichem Auftrag als Angehöriger seiner Streitkräfte entsandt worden ist.

Kurios scheint vor allem der Punkt zu sein, dass Söldner mehr verdienen müssen als reguläre Soldaten. Auch dass das Streben nach persönlichem Gewinn ausschlaggebend sein müsse, dürfte beispielsweise im Fall der Ukraine schwer nachzuweisen sein.

Kämpfer des Bataillons Azov

Interessant ist aber, dass vor kurzem zwei Abgeordnete der nationalistischen und rechtsextremen Liberaldemokratischen Partei (LDPR) das russische Söldner-Gesetz ändern wollen. Parteichef Wladimir Schirinowski ist nicht nur wegen seiner zahlreichen Provokationen bekannt, er ist immerhin auch stellvertretender Vorsitzende der Duma, hat also durchaus politischen Einfluss. Ausdrücklich wollen die beiden Abgeordneten erreichen, dass russische Staatsbürger, die sich der "Volkswehr", also den Milizen der Separatisten im Donbass, angeschlossen haben, vor einer strafrechtlichen Verfolgung geschützt werden. Das soll dadurch geschehen, dass russische Bürger nicht mehr als Söldner eingestuft werden sollen, wenn sich wegen des Geldes, sondern aus eigener Überzeugung im Ausland kämpfen.

Dabei wird Bezug auf das Zusatzprotokoll genommen, weil die Definition im russischen Strafgesetzbuch nur die Formulierung enthält, dass Söldner "mit dem Ziel einer materiellen Vergütung" handeln. Der Sold könne also im Gegensatz zu den Ausführungen im Zusatzprotokoll geringer als der eines im Rang und Aufgabenspektrum vergleichbaren Soldaten. Zudem würden die Mitglieder der Milizen des ukrainischen Oligarchen Ihor Kolomojskyj, der seit März von der ukrainischen Übergangsregierung als Gouverneur von Dnepropetrowsk eingesetzt wurde, mit angeblich 1000 Griwna täglich mehr verdienen als normale Soldaten. Sie würden aber nicht als Söldner bezeichnet, weil sie ukrainische Bürger sind. Der Gouverneur hat im April schon einmal eine Prämie von 10.000 US-Dollar für jeden gefangenen Separatisten ausgelobt und etwa die Freiwilligeneinheit Dnepr in Kooperation mit dem Rechten Sektor begründet, die er auch finanziert. Russland will ihn wegen Kriegsverbrechen auf die Interpol-Liste setzen lassen.

Faschistoide Ästhetik überwiegt bei den Milizen aus der Westukraine. Überhaupt gleichen sich die Bilder von den ukrainischen und separatistischen Milizen mit denen der islamistischen Gruppen: Männer, die in ihre Waffen verliebt sind und sich in Posen der Stärke präsentieren.

Die staatliche Nachrichtenagentur Ria Nowosti schreibt, es sei "sehr schwer", russische Freiwillige, die in Jugoslawien, Transnistrien oder Abchasien gekämpft hätten, als Söldner einzustufen, das wäre auch so jetzt in der Ukraine, hier würden die "russischen Freiwilligen" meist gar nicht entlohnt. Die Liberaldemokraten würden mit ihrem Vorschlag einer Gesetzesänderung vermutlich mehr Russen dazu motivieren wollen, sich den Separatisten in der Ostukraine anzuschließen. Ria Nowosti bemerkt dazu: "Eine übermäßige Aufmerksamkeit könnte jedoch den Freiwilligen nur schaden und der Regierung in Kiew zusätzlichen Anlass geben, Russland die Verschärfung des Konfliktes vorzuwerfen." Man scheint diese Gesetzesinitiative also in Moskau nicht so gerne zu sehen, zumal dies auch bedeutet, dass bereits zahlreiche "Freiwillige" - oder Söldner? - in der Ukraine tätig sind. Als Freiwillige wären sie Kombattanten und vom Kriegsrecht geschützt, als Söldner nicht.

Nach Meldungen urkainischer Medien haben die Russen Grenzübergänge gesperrt und auf russische "Söldner" geschossen, um zu verhindern, dass sie aus der Ukraine zurück nach Russland gelangen. Das wäre allerdings seltsam, wenn die "Söldner" tatsäöchlich von Russland gesteuert würden. Oder soll dies nur Angstmache sein, um die Militanten zur Niederlage der Waffen zu bewegen?

Nach dem Chef des ukrainischen Geheimdienstes SBU, Valentyn Nalyvaichenko, lässt Russland weiterhin "Söldner" und große Mengen an Waffen von Granaten über Maschinengewehre bis hin zu Panzern die Grenze Passieren: "Russland muss dies mit allen Mitteln stoppen."