Frieden, Fetisch, Feminismus

Seite 2: Ausstrahlung, Charme, Flair - und Israel

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Hinzu kommen schieres Können, Ausstrahlung und Charme der Hauptdarstellerin Gal Gadot. Sie ist der unbestrittene Star des Films, sie wirkt stark und verwundbar zur gleichen Zeit, sie scheint trotz übermenschlicher Kräfte menschliche Fähigkeiten zu haben. Sie hat den Überraschungseffekt für sich, auch wenn man sie in ein paar Filmen schon am Bildrand gesehen hat, und wenn manche wissen, dass sie mal Miss Israel war.

Bild: © Warner Bros.

Und ihr Flair. Denn natürlich macht es einen Unterschied, dass diese Frau zwei Jahre in der Armee ihres Heimatlandes gedient hat, und auch jenseits der Militärausbildung Kampftechniken beherrscht: Kung Fu, Kickboxen, Jiu-Jitsu und Capoeira. Einen Unterschied, den man sieht und den man mitdenkt. Natürlich macht es auch einen Unterschied, dass man bei dieser Israelin zum 50. Jahrestag des "Sechs Tage Kriegs" 1967, gleich noch an die viele Frauen in der israelischen Armee erinnert wird.

Gadot ist auch nur die letzte in der langen Reihe einer Verbindung zwischen jüdischen Autoren und Darstellern und dem Superhelden-Sujet. Superman wurde von Joe Shuster und Jerry Siegel geschaffen, Batman von Bill Finger und Bob Kane, Jack Kirby, Stan Lee und Joe Simon schufen Captain America, den Incredible Hulk, Thor, Iron Man, Spider-Man, die X-Men und die Fantastic Four.

Es passt, dass sich Gal Gadot auch wenig um die vermeintlichen Empfindlichkeiten mancher Zielgruppen oder um linksliberale Denkverbote westeuropäischer Tugendwächter schert. Während des Gaza-Kriegs 2014 hat Gadot per Facebook zu Gebeten für israelische Soldaten aufgerufen, die "ihr Leben riskieren, um mein Land gegen fürchterliche Aktionen der Hamas zu schützen".

Darum haben nun Kinos in Algerien, Jordanien, Libanon und Tunesien den Streifen vorerst zensiert - sollen sie doch! Man kann darauf wetten, dass er bereits jetzt auf den Bazaaren dieser Länder als schwarzgebrannte DVD zu haben ist.

Appeasement ist keine Alternative für diese Heldin

Jenseits solcher filmhandwerklichen Pflichtaufgaben, die trotzdem längst nicht jeder Film erfüllt, ist "Wonder Woman" aber viel mehr. Es ist dies auch ein cleverer Versuch der Versöhnung antiker Mythologie und Popkultur, eine philosophische Meditation über Heldentum über Gewalt. Denn Appeasement ist keine Alternative für diese Heldin: Sie weiß: "This is Ares, and he will not surrender." Und so kämpft sie mit Lasso, mit Schild.

Dieser Ares ist ein düster-faszinierender Gegenpol, der uns in kommenden "Wonder Woman"-Folgen gewiss wiederbegegnen wird. Zunehmend entwickelt er eine Art "Magneto"-Flair. Er weiß: "I am not the god of war, but I am the god of truth." Und er wird zu einer Art Lehrer, der ihre Ausbildung per Crash-Kurs komplettiert: "Oh my dear, you have so much to learn. ... let's see what kind of god you really are. ... You will help me destroying them, or you will die." Und in Bezug auf den Krieg: "Look at this. mankind it is, not me."

Macht und Outfit

"What is a secretary?"
"I go where he tells me to go and I do what he tells me to do."
"Where I come from, that's called slavery..."

Aus: "Wonder Woman"

Es ist ein populärkulturelles Manifest und ein subversives Meisterwerk des Feminismus: Diese "Wonder Woman" ist alles andere als perfekt, aber sie ist gradlinig und entschlossen, dabei immer verwundbar und human (obwohl sie ja eine Halbgöttin ist). Sie ist die legitime Erbin einer Tradition, die im Kino bisher nur von Sigourney Weaver’s Ripley in "Alien" und Linda Hamiltons Sarah Connor in "Terminator" verkörpert wurde.

Offenbar musste auch erst eine Frau kommen, damit wir endlich einmal einen Superhelden erleben, der auch nicht mal von einem Hauch innerer Dämonen und Selbstzweifel gepeinigt ist. Sie will einfach frei sein, "she wants to function freely in the world, to help out when needed and to be respected for her abilities. No wonder she encounters so much resistance" (Stephanie Zacharek).

Ihre emanzipatorische Botschaft ist klar: "Wir haben schon so viele männlich dominierte Stories gesehen. Je mehr wir weibliche Narrative haben, umso besser." Aber auch: Achtet aufs Outfit, praktisch muss es sein, aber was hermachen, soll es schon auch, ignoriert nicht die Macht der Schönheit, sonst wird das alles nix. Feminismus und Fetischismus gehen zusammen.

Diana ist zudem eine "liberale Ironikerin" (Richard Rorty) und sie besitzt ein gesundes Maß an Hedonismus - ein Mensch aus der Mitte unserer Gegenwart.

Bild: © Warner Bros.

Erinnern wir uns: Mit seiner Figur der "liberalen Ironikerin" erschuf der amerikanische Philosoph Richard Rorty in seinem Buch "Kontingenz, Ironie und Solidarität" die Utopie eines Menschen, der der Tatsache ins Gesicht sehen kann, dass seine Überzeugungen und Bedürfnisse "kontingent" sind, also zufällig und veränderlich, und der trotzdem an ihnen als an seinen Wahrheiten festhält. Die Handlungen der liberalen Ironikerin sind von Anstand und dem Sinn für ein humanes Miteinander stärker geprägt als von theoretischen Beweisen. Bei Gewalt, Schmerz und Grausamkeit hört für die liberale Ironikerin die Ironie auf. Sie ist ein "do-gooding bleeding hart".

"A girl and a gun"

Schließlich, das soll nicht verschwiegen werden, schon gar nicht, wenn ein Mann diesen Film rezensiert, ist "Wonder Woman" natürlich auch das, was Kino immer war: "A girl and a gun" (John Sturges), "Wenn schöne Mädchen schöne Dinge tun." (Otto Preminger, Jean-Luc Godard, Francois Truffaut)

Ein Stück Fetischismus, "guilty pleasure" und visueller Überschuss in Zeiten, in denen viele Filme überkorrekt politische Tages-Agenden abarbeiten, moralisieren und immer auf der richtigen, braven Seite stehen. Das alles tut "Wonder Woman" übrigens auch. Aber anders. Und besser.

Dietmar Dath: "Superhelden"; Reclam Verlag, Stuttgart 2016
Richard Rorty: "Kontingenz, Ironie und Solidarität"; Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1988