"Frieden ist eben schlecht fürs Geschäft"

Seite 2: Die Bundesregierung benimmt sich immer noch wie ein Teenager gegenüber Washington

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Nun haben Sie vor kurzem einen weiteren offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel unterzeichnet und sie aufgefordert, alles zu tun, um die Drohnenmorde der US-Regierung zu stoppen. Die US Airbase in Ramstein in Deutschland spielt eine wesentliche Rolle. Ein großer Teil des Drohnenkrieges läuft über diesen Stützpunkt ab. Spielt das eine Rolle bei Ihrem Besuch in Deutschland?

Ray McGovern: Wir hatten diesen Deutschland-Besuch schon vor Monaten geplant. Aber eines der Themen ist natürlich Ramstein. Amerikaner im Allgemeinen und viele Deutsche wissen nicht, dass es ohne Ramstein keinen Drohnenkrieg geben kann. Es ist ein Zufall, dass wir dort eine Basis haben. Aber es ist souveräner deutscher Boden. Und die Bundesregierung tut so, als wisse sie nicht, was in Ramstein vor sich geht - wo sie es doch im "Spiegel" nachlesen kann.

Die Bundesregierung benimmt sich also immer noch - nach 70 Jahren - wie ein Teenager gegenüber Washington. Das ist weder gut für die deutsche Bevölkerung noch für die USA. Wir brauchen jemanden, der von uns Rechenschaft verlangt, weil die Medien der Öffentlichkeit nicht sagen was los ist.

Ray McGovern

Frau Murray, der Nahe Osten ist ohne Zweifel einer der geopolitischen Brennpunkte. Die Medien berichteten, dass sich 50 Geheimdienst-Analytiker in den USA darüber beschwerten, Vorgesetzte verwässerten ihre Berichte über IS und Al Qaida, um den Eindruck zu erwecken, diese seien schwach und die USA würden sie besiegen (Geheimdienstberichte über Inherent Resolve verschönt?). Was könnten derartige Fälschungen bezwecken?

Elizabeth Murray: Ich bin mir nicht sicher, aber ich vermute, dass der Mangel an Krieg beziehungsweise der Frieden schlecht ist für das Geschäft, schlecht für die Kriegsmaschine, schlecht für die Hersteller von Drohnen, schlecht für jene, die vom Verkauf von Rüstungsgütern profitieren. Ich denke, dass auch die Analytiker sehr besorgt sind, dass das amerikanische Volk nicht die Wahrheit erfährt. Es ist keine gute Entwicklung und zeigt, dass unsere Regierung den Status quo wahrt. Ich denke, unterm Strich ist Frieden eben schlecht fürs Geschäft.

Könnten derartige Fälschungen dazu beitragen eine diplomatische Lösung zu behindern, etwa unter Einbeziehung Russland oder der Assad-Regierung?

Elizabeth Murray: Leider ja. Und ich hoffe, das wird nicht passieren. Ich denke, die Iraner, Russen und Amerikaner sollten sich jetzt an einen Tisch setzen und versuchen, Probleme zu lösen, den IS zu bändigen, der gegenwärtig außer Kontrolle zu geraten droht. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird das schwierig sein. Sie sollten sich wie Erwachsene an einen Tisch setzen. Das Abkommen der USA mit Iran und die offensichtliche Annäherung zwischen Obama und Herrn Putin zeigen, dass diese drei Länder den Status quo ändern und vielleicht die Weiterverbreitung des Terrorismus im Mittleren Osten stoppen können.

Wenn es so weitergeht wie jetzt, dann wird der IS Ableger entwickeln. Wenn man weiter Drohnen schickt und Bomben abwirft, dann tötet man Menschen, dann wird man jeweils 50 oder 100 weitere Terroristen schaffen, die aus den Familien der Überlebenden kommen. Ich bin froh, dass die Analytiker ihre Meinung kundgetan haben. Und ich hoffe, dass andere Geheimdienst-Analytiker in der US-Regierung das Zeichen verstehen und das Gleiche tun.

Im letzten Mai wurde auf Anordnung eines US-Gerichts ein Geheimbericht der Defense Intelligence Agency vom 12. August 2012 veröffentlicht. Bereits vor drei Jahren schrieb die DIA, wenn die Entwicklung in Syrien so weiterginge - und ich zitiere - "entsteht die Möglichkeit der Etablierung eines erklärten oder nicht erklärten salafistischen Hoheitsgebiets im Osten Syriens. Das ist genau das, was die Mächte, die die Opposition unterstützen, wollen, um das syrische Regime zu isolieren."

In anderen Worten, die US-Regierung kannte die terroristische Gefahr, die damit für die syrische Bevölkerung verbunden war. War der IS-Terrorismus im US-Interesse? Was denken Sie?

Elizabeth Murray: Ich glaube, dass der IS-Terrorismus in Syrien tatsächlich dem US-Interesse diente, solange er versuchte die Assad-Regierung zu stürzen. Und ich glaube, die US-Regierung sah bewusst weg, als der IS sich ausdehnte, so lange es dem US-Interesse diente. Nun hat der IS nicht immer diesem Interesse gedient und ich denke, die USA greifen ihn an, wenn er gegen ihre Interessen handelt.

In Syrien haben die USA nur zu gerne weggesehen. Aus diesem Bericht wird deutlich, dass die Entscheidungsträger die Informationen hatten. Sie hätten den IS also im Keim ersticken können. Wir sehen nun die Folgen dieser Unterlassung. Es ist ein gutes Beispiel dafür, was geschieht, wenn solide, ehrliche Aufklärung ignoriert wird, weil es gerade passt.

Wir haben das ja schon während der sowjetischen Besatzung Afghanistans gesehen, als die USA damit einverstanden waren, dass die muslimischen Fundamentalisten das Land übernahmen und mit US-Hilfe die Sowjetunion verdrängten. Und die Leute wundern sich, wo Al Qaida herkommt? Sie kommen von den Mudschaheddin, die von den USA unterstützt wurden. Und nun sehen wir diesen Frankenstein namens IS in fast allen Ländern des Mittleren Ostens. Solange wir wegschauen, werden wir unangenehme Folgen zu spüren bekommen. Ich hoffe, wir können das beenden, wenn wir mit vernünftigen regionalen Akteuren an einem Tisch sitzen.

Herr McGovern, in der Frage von Krieg und Frieden scheinen die Differenzen zwischen Berlin und Washington zuzunehmen. In einem Kommentar in der New York Times vor wenigen Tagen plädierte Außenminister Steinmeier für eine diplomatische Lösung in Syrien. Wie interpretieren Sie diesen Kommentar?

Ray McGovern: Ich denke Steinmeier handelt sehr vernünftig, wenn er dies für die einzig mögliche Lösung hält. Jetzt, wo Iran mit uns redet und wir mit ihm, die Russen eine konstruktive Rolle spielen und dies von Obama bereits anerkannt wurde, habe ich die Hoffnung, dass wir damit diplomatisch handeln können. Es wird nicht einfach sein.

Aber ich denke auch, so wie Herr Steinmeier eine konstruktive Rolle in Bezug auf die Ukraine spielte, spielt er sie auch hier. Die deutsche Regierung weiß, dass das ständige Geschrei "Assad muss weg! Assad muss weg!" keine Politik ist. Es ist eine Losung. Man muss schon auch die Frage stellen: "Was kommt nach Assad?" Und diese Aussicht sieht nicht gerade schön aus. Hoffentlich kommen die Menschen wieder zur Besinnung und sagen: "Lasst uns sehen wie wir das Ding lösen können, ohne die Menschen in halb Syrien mit Drohnen zu töten."