G20: Scharfe Verurteilung des Ukraine-Kriegs

Bild: Weißes Haus, Public domain.

Themen des Tages: das Bürgergeld braucht Zeit und soziale Vernunft, die geopolitische Blockbildung verhindert die Klimaforschung in der Arktis und China trägt zu Russlands Misserfolg beim G20-Gipfel bei.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. wie altvorderne Unions-Politiker beim Streit über das Bürgergeld ohne eigene intellektuelle Schöpfungshöhe auskommen,

2. fatale Blockbildungen: wie Sanktionen gegen Russland die gemeinsame Klimaforschung mit deutscher Beteiligung in der Arktis beendet und der Militarisierung den Vorrang lässt,

3. eine diplomatische Niederlage Russlands beim G20-Gipfel: Chinas Annäherung an den Westen?

Doch der Reihe nach.

Bürgergeld: Hilfe, um einen Arbeitsplatz jenseits des Niedriglohnsektors zu finden

Es gab ein Nein zum Bürgergeld im Bundesrat mit Ankündigung. Unionspolitiker wie zum Beispiel Markus Söder hatten die Ablehnung angekündigt. Nun soll es der Vermittlungsausschuss auf den Weg bringen.

"Bei gutem Willen aller Beteiligten" könne ein Kompromiss gefunden und bei der nächsten Bundesratssitzung am 25. November beschlossen werden", so Arbeitsminister Hubertus Heil. Aber wie steht es mit dem guten Willen?

Die Diskussion über das Bürgergeld bietet den Unionspolitikern tolle Möglichkeiten, sich ohne jede intellektuelle Anstrengung mit Empörungen aus dem Archiv zu profilieren. "Dieses sogenannte Bürgergeld ist der Weg in ein bedingungsloses Grundeinkommen aus Steuermitteln", hatte etwa der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz gesagt, wie ihn Telepolis-Autor Bernd Müller in seinem Beitrag zitiert: Bürgergeld abgeschmettert: Bundesrat stoppt soziale Reform.

Leicht zu erkennen, welcher Vorwurf hier platziert wird: Das Bürgergeld unterstützt die, denen es an Leistungsbereitschaft mangelt. Der alte Vorwurf der Faulheit, der von Staatsseite geholfen wird.

"Statt arbeitslosen Menschen vom ersten Tag an bei der Jobsuche zu helfen, schafft die Scholz-Regierung falsche Anreize und schmälert die Motivation", so CDU-Generalsekretär Mario Czaja.

Die Wirklichkeit der Gegenwart ist komplizierter, wie Bernd Müller darlegt.

Mit dem Bürgergeld sollte es allerdings den Menschen ermöglicht werde, einen Arbeitsplatz jenseits des Niedriglohnsektors zu finden. Gerade den sogenannten Geringqualifizierten sollte es so möglich werden, Zugang zum Arbeitsmarkt für Fachkräfte zu bekommen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatte sich im Sommer positiv zu den geplanten neuen Regeln geäußert. Zum geplanten Weiterbildungsgeld etwa… Dieses sollte Hilfebedürftigen gezahlt werden, wenn sie an einer Weiterbildung teilnehmen, die zu einem Abschluss führt. … Der Hintergrund dieser Idee war, dass sich viele Bezieher von Grundsicherung nicht die Teilnahme an einer langfristigen Weiterbildung leisten konnten.

Der Zorn der Christdemokraten, so Bernd Müller, entzündet sich daran: Die Bundesregierung hatte vor, Arbeitslose nicht erst in die Armut zu treiben, bevor ihnen geholfen wird.

Der Grundsatz, wonach sich Arbeit lohnen müsse, hat bei den Unionspolitikern ohnehin nur begrenzte Gültigkeit, wie sich jedes Mal zeigt, wenn es um anständige Löhne und Mindestlöhne geht.

Arktis: Wie Sanktionen gegen Russland wichtige Klimaforschung verhindern

Zusammenarbeiten oder sich hinter unversöhnliche Positionen verschanzen? Die Frage stellt sich mit besonderer Schärfe auf geopolitischer Ebene, wenn es darum geht, unseren Planeten bewohnbar zu halten.

Die Klimakrise ist "das größte Sicherheitsproblem für alle Menschen auf dieser Erde", beteuerte Außenministerin Baerbock erst neulich. In der Praxis sieht das allerdings anders aus, wie aus der Antwort der deutschen Regierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linken hervorgeht.

Über diese berichtet Telepolis heute exklusiv. Daraus geht, wie Telepolis-Autorin Andrea Seliger schildert, hervor, dass sämtliche deutschen Klimaforschungs-Kooperationen mit dem größten Arktis-Anrainer Russland gestoppt wurden.

Mehrere Projekte mit Russland endeten planmäßig Ende Dezember 2021, doch drei neue hätten im Sommer starten sollen. Daraus wurde nichts, aus bekannten Gründen: Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurden die Kontakte abgebrochen. "Mit seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich Russland als Partner diskreditiert. Eine Zäsur in allen Bereichen der Zusammenarbeit ist deshalb auch in den Bereichen erforderlich, in denen bisher Interesse an Austausch bestand", heißt es in der Antwort auf die Kleine Anfrage.

Eine Ausnahmeregelung von den Sanktionen zur Forschungszusammenarbeit, die die EU beschlossen hatte, "erscheint aus Sicht der Bundesregierung vor diesem Hintergrund nicht zielführend".

Die Klimaforschung in der Arktis ist relevant: "Das Auftauen von Permafrostböden ist bekanntlich einer der Kipppunkte, die den Klimawandel noch entscheidend vorantreiben können", schreibt Andrea Seliger, die wichtige Projekte dazu vorstellt. Nun werden Foren fehlen, um Erkenntnisse über Blockgrenzen hinweg auszutauschen, so ihr trauriger Ausblick:

Die Auswirkungen des Klimawandels in der Arktis werden sich aber nicht an die Blockgrenzen halten. Und: "Was in der Arktis passiert, bleibt nicht in der Arktis" ist auch keine neue Erkenntnis. Die Arktis wird nicht in Vergessenheit geraten, im Gegenteil: Sie ist für militärische Aktivitäten interessanter als je zuvor, für alle Seiten.

Die "militärischen Aktivitäten" Russlands in der Ukraine sind großes Thema beim G20-Treffen in Bali. Wie mehrere internationale Medien berichten, soll in der Abschlusserklärung, die protokollgemäß auch Russland unterzeichnet, von "Krieg" die Rede sein.

Das wäre ein diplomatisch ein Schritt in neues Gelände, da die russische Führung bisher größten Wert auf ihre Formulierung von einer "militärische Spezialoperation" gelegt hat. Wie ist das einzuordnen?

"Dieser Krieg ist nicht zu akzeptieren"

Morgen geht der G-20-Gipfel in Bali zu Ende. In der gemeinsamen Abschlusserklärung soll "überraschend deutliche Kritik am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine" geäußert werden, wie mehrere Medien vorab berichten.

So meldet die dpa, dass es in dem Entwurf heiße: "Die meisten Mitglieder verurteilten den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste."

Der britischen Financial Times wurde das Papier zugespielt. Sie ergänzt, dass die "meisten Mitglieder (…) betonen, dass er (der Krieg, Einf. d. A. )unermessliches menschliches Leid verursacht und bestehende Schwachstellen in der Weltwirtschaft verschlimmert", dass er "das Wachstum einschränkt, die Inflation erhöht, die Versorgungsketten unterbricht, die Energie- und Nahrungsmittelunsicherheit verschärft und die Risiken für die finanzielle Stabilität erhöht".

Und:

"Es gab andere Ansichten und unterschiedliche Einschätzungen der Situation und der Sanktionen."

Es ist klar, wer damit gemeint ist. Aus Sicht der russischen Führung ging es um Schadensbegrenzung. Die westlichen Länder, so wird der russische Außenminister von der britischen Zeitung zitiert, hätten versucht, "das Kommuniqué zu ‚politisieren‘, indem sie eine ausdrückliche Verurteilung Moskaus aufgenommen hätten."

Das geschah nicht. Lawrow plädierte laut FT für eine "faire Art und Weise" für die Klarstellung, "dass wir bei diesem Thema Differenzen haben".

Demnach ist es wahrscheinlich, dass Lawrow morgen eine Erklärung unterzeichnen wird, die von westlicher Seite als diplomatischer Erfolg herausgestellt wird.

Bundeskanzler Scholz ist zufrieden. "Es zeichne sich ab, dass die G20 klarstellten, dass dieser Krieg nicht akzeptiert werden könne", zitiert ihn die Tageschau und:

"Wenn sich die G20-Staaten auf eine Warnung gegen den russischen Einsatz von Atombomben in der Ukraine einigen würden, wäre dies ein wichtiger ‚Haltepunkt‘ für Moskau."

Der Tenor der westlichen Medienberichte kontrastiert den schwachen Auftritt Russlands (ohne Präsident Putin) mit der starken Rolle Chinas. So kann man bei Le Monde nachlesen, wie freundlich, nett und versöhnlich es angeblich beim dreistündigen Treffen zwischen Joe Biden und Xi Jinping zuging.

Der Schluss, der damit nahegelegt wird, ist, dass das aktuelle Aufleben der Diplomatie mit China dafür gesorgt hat, dass eine schärfere G20-Abschlusserklärung möglich wurde. Dass Russlands Krieg in der Ukraine nicht unbedingt im Interesse der Handelsgroßmacht China liegt, war zwar schon vorher deutlich.

Aber es gab darüber hinaus noch andere Entwicklungen, wie etwa die Bestrebungen aus westlichen Ländern, zum Beispiel aus Deutschland, die Handelsbeziehungen mit China neu zu überdenken, die möglicherweise die Führung in Peking dazu veranlasst haben, einen neuen Weg der Annäherung zu versuchen.

In den USA gibt es dazu wie meist eine Falkenfraktion, die mit großem Druck und Härte in den Konkurrenzkampf agiert, und eine Fraktion, die versucht in einer multipolaren Welt andere Geopolitik zu betreiben. Vorstellbar wäre, dass die chinesische Führung versucht, die letztere Fraktion diplomatisch zu stärken.