Gedankenkontrolle: Die neue Tatort-Folge aus wissenschaftlicher Sicht

Bild: geralt/Pixabay.com

Sind die Ideen zur Fernsteuerung von Gedanken Science oder Science-Fiction?

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Der Tatort vom 29.3.2020 - "Krieg im Kopf" - verknüpft einige Ideen des "Gehirnkriegs" aus der Zeit des Kalten Kriegs (50 Jahre Brain Warfare) mit Entwicklungen der Hirnforschung. Im Folgenden möchte ich aus wissenschaftlicher und philosophischer Sicht diskutieren, wie realistisch die in der Serie dargestellten Szenarien sind. Wer fürchtet, dabei zu viel über die Handlung zu erfahren, möge sich den Tatort erst selbst ansehen. Es lohnt sich!

Um was für Technologien geht es konkret? Erstens, eine Bundeswehrsoldatin, die seit einem Suizidversuch querschnittsgelähmt im Rollstuhl sitzt, kann dank einer Gehirn-Computer-Schnittstelle wieder laufen, jedenfalls ein bisschen; zweitens, mithilfe eines elektronisch ausgerüsteten Helms werden Eigenschaften wie Aggressivität, Aufmerksamkeit oder Wachheit von Soldaten ferngesteuert; drittens, mit einer Strahlenwaffe werden in einer Zielperson aus der Ferne körperliche Prozesse gestört, bis hin zum Herzstillstand; und viertens, mit dieser (oder einer ähnlichen) Strahlenwaffe kann auf das Gehirn einer Zielperson dahingehend eingewirkt werden, dass diese Halluzinationen und Wahnzustände erlebt und unter Umständen sogar Gewalttaten und Suizid begeht.

Gehirn-Computer-Schnittstellen

Der Reihe nach: Gehirn-Computer-Schnittstellen (oder Englisch Brain-Computer-Interfaces, BCI) gibt es: Elektrische oder physiologische Signale können im Gehirn aufgezeichnet - etwa mittels implantierter Elektroden, eines EEG-Geräts oder fMRT-Scanners - und an einen Computer gesendet werden. In verschiedenen Anwendungen konnte damit buchstabiert, eine Prothese gesteuert oder auch "Brain Pong" gespielt werden, wie hier in einem Werbefilmchen der Virginia Tech School of Neuroscience dargestellt wird.

Wer das Original-Pong auf dem Atari noch kennt, dem dürfte der überproportional große Cursor (Pong-Schläger) auffallen - siehe zum Vergleich diesen Sketch von Gray Bright, der mit dem Atari-Gründer Nolan Buschnell die Idee von "Brain Pong" auf den Arm nimmt. Je größer der Cursor, desto einfacher das Spiel. Das sagt uns schon etwas über die Genauigkeit dieses Verfahrens. Das Filmchen von Virginia Tech stammt übrigens vom April 2018, ist also relativ aktuell.

Etwas allgemeiner formuliert: Diese Versuche bauen auf der Idee des Biofeedbacks - oder, wer es so nennen will: Neurofeedbacks - auf. Durch die Rückmeldung (engl. Feedback) körperlicher Signale an die Versuchsperson (z.B. in Form des sich bewegenden Cursors) lernt diese, bestimmte physiologische Reaktionen zu kontrollieren. Das kann etwa zur Stressreduktion verwendet werden oder, wie meine Kollegin Jonna Brenninkmeijer genauer untersuchte, zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizits-/Hyperaktivitätsstörung ADHS.

Dieser Unterschied ist wichtig, denn er macht deutlich, dass die Schnittstellen keine Gedanken lesen. Der Computer erkennt und interpretiert schlicht aufgrund seiner Programmierung ein Hoch- oder Runter-, Stopp- oder Start-Signal. Das Verfahren setzt nur voraus, dass wir physiologische Reaktionen derart beherrschen - oder dies zur Not lernen können -, dass diese als hinreichend stabile Muster erkannt werden. Das hat vereinzelt zwar Forscher dazu veranlasst, vollmundig von "Gedankenlesen" oder gar "Gehirn-Telepatie" zu sprechen. Doch wie ich hier kürzlich diskutierte, sind solche Aussagen übertrieben (Mensch in Körper und Gesellschaft: Was heißt Freiheit?).

Querschnittslähmungen überwinden

Nun kontrolliert die Soldatin im Tatort über ein scheinbar ins Gehirn implantiertes Gerät ihre Beine derart, dass sie wieder laufen kann. Bei einer Querschnittslähmung wurden die Nervenbahnen in der Wirbelsäule durchtrennt. Dabei entscheidet die Höhe der Trennung über die Schwere der Lähmung. In meinem Zivildienst betreute ich einen Mann, dem bei einem Autounfall die Nerven auf Höhe des dritten oder vierten Halswirbels (C3 oder C4 genannt) durchtrennt wurden. Er konnte gerade noch seinen Kopf, sein Gesicht und nur noch sehr eingeschränkt die Arme bewegen.

Zum Leidwesen solcher Patienten wachsen die verletzten Nerven nicht einfach so wieder zusammen, was zu einer Selbstheilung führen könnte. Bei neueren Versuchen probiert man zum Beispiel, einen Träger aus Spinnenseide zu konstruieren, an dem die Nervenfasern zueinander wachsen, so wie etwa die Ranken des Weinstocks an ihrem Gerüst. Dass das schon Behinderte geheilt hätte, ist mir nicht bekannt.

Beim Versuch über eine Gehirn-Computer-Schnittstelle probiert man es über eine externe elektrische Verbindung, die unterhalb der Verletzung die entsprechenden Nerven stimuliert und damit Bewegungen erzeugt. Dieses Verfahren befindet sich meines Wissens im Stadium erster Gehversuche. Aber mit Blick auf die Tatort-Folge können wir zu dem Fazit kommen, dass die (eingeschränkte) Heilung der querschnittsgelähmten Soldatin in einigen Jahren durchaus Realität sein könnte.

Soldaten mit Super-Helm

Damit kommen wir zum zweiten Beispiel, dem Helm. Es gibt tatsächlich Versuche, durch Verwendung von Neurotechnologie etwa die Aufmerksamkeit oder den Stress von Soldaten im Einsatz zu überwachen und mit Verfahren wie der Transkraniellen Magnetstimulation (TMS) zu beeinflussen. Die Beeinflussung - oder Verbesserung - wird von manchen auch im Rahmen der Neuroenhancement- beziehungsweise Gehirndoping-Debatte diskutiert. In der Tatort-Folge wurde das Verfahren so dargestellt, dass man die entsprechenden psychischen Fähigkeiten mit einem Schieberegler auf der Benutzeroberfläche der Steuerungssoftware stufenlos herauf- oder herunterregeln kann.

Auch hier will ich erst noch einen allgemeinen Punkt anmerken: Wenn man sich überlegt, ob man Aggressivität, Aufmerksamkeit oder Fokussierung mit technologischen, pharmakologischen oder rein psychologischen (denken wir etwa an Meditation) Mitteln beeinflussen kann, dann sollte man einen Moment bei der Natur dieser Begriffe innehalten. Es handelt sich um Wörter, die uns selbstverständlich erscheinen, weil wir in diese Sprache - mit Wittgenstein könnte man sagen: in dieses Sprachspiel - hineingewachsen sind. Das nennt man manchmal auch unsere "Alltagspsychologie", also die Art und Weise, wie wir es gewohnt sind, über uns als Menschen mit Gedanken, Erfahrungen und Gefühlen zu sprechen.

Ein kurzer Blick auf Googles Ngram Viewer, der die Häufigkeit bestimmter Wörter in einer Textsammlung von (u.a. deutschen) Büchern veranschaulicht, zeigt aber, dass etwa "Fokussierung" vor 1980 kaum verwendet wurde. Sogar "Aggressivität" scheint erst seit ca. 1900 im Deutschen in nennenswerter Zahl vorzukommen. "Aufmerksamkeit", wobei nicht klar ist, inwiefern es hier auch um eine Verwendung im Sinne von "Geschenk" geht oder "Liebe", lässt sich demgegenüber schon viel länger in den Büchern finden, mindestens seit 1800. Noch deutlicher ließe sich das an psychischen Störungen zeigen: Auf einmal sind ganz viele "hysterisch" oder haben sie "multiple Persönlichkeiten", "Burn-out" und so weiter - und ein paar Jahre später wird kaum noch darüber geredet (Aus Sicht der Wissenschaftstheorie).

Auf Grundlage der von Google digitalisierten Bücher sieht man, dass manche psychologischen Begriffe erst seit einigen Jahrzehnten verwendet werden (der Übersicht halber hier nur die Jahre 1940 bis 2000). Das erinnert uns daran, dass die Art und Weise, wie wir über uns selbst sprechen, kulturell und historisch geprägt ist. Quelle: Google Books NGram Viewer

Auch wenn manche solche philosophischen Fragen nerven, kann man doch nicht von der Hand weisen, dass man erst einmal wissen muss, was Aufmerksamkeit überhaupt ist, wenn man sie wissenschaftlich untersuchen oder gezielt beeinflussen will. Fachfremde würden sich wahrscheinlich wundern, wie viele unterschiedliche Definitionen - in Fachkreisen nennt man es auch "Operationalisierungen" - von "Aufmerksamkeit" Psychologen, Hirnforscher, Mediziner und wer noch alles verwenden. Oder um bei der Liebe zu bleiben: Eine ehemalige Studentin von uns hat in einem privaten Hobbyprojekt über hundert Menschen in Berlin dazu befragt, was Liebe eigentlich ist - und ungefähr hundert unterschiedliche Antworten bekommen.

Begriffliche Unschärfe

Wenn man im Supermarkt Tomaten kaufen will, dann wissen die allermeisten (aus unserem Kulturkreis) wahrscheinlich nicht nur, wonach sie suchen müssen, sondern auch, wo sie das finden werden (nämlich in der Gemüse-Abteilung). Wenn man stattdessen Gemüse kaufen will, dann wird es abstrakt: Obwohl es zweifellos Gemüse im Supermarkt gibt, kann man es nicht so kaufen wie Tomaten. Nun ist unser Gehirn nicht so aufgebaut wie ein Supermarkt, und gibt es keine Abteilungen wie für die verschiedenen Produkte oder Gemüsesorten. Man weiß also weder genau, wonach man sucht, noch, wo man es genau findet.

Unter dem heutigen Produktivitätszwang haben natürlich die wenigsten Forscher noch Zeit dafür, sich mit solchen tiefgreifenden Fragen zu beschäftigen. Wer grübelt, publiziert nicht - und ohne Publikationen verlieren Forscher ihre Stellen oder zumindest Karrierechancen ("publish or perish"). Deshalb verwendet man ganz pragmatisch diejenigen Definitionen, die für das Ausführen von Experimenten und Publizieren wissenschaftlicher Arbeiten nützlich sind.

Diese begriffliche Unschärfe rächt sich aber spätestens dann, wenn man etwa diese Eigenschaft "Aufmerksamkeit" in der Praxis beeinflussen will. Natürlich ist das nichts, womit sich das Tatort-Team auseinandersetzen müsste. In diesem Artikel geht es aber um wissenschaftliche Fragen. Und darum will ich darauf hinaus, dass man zwar mit ganz unterschiedlichen Verfahren - Drogen, Medikamenten, elektrischer Stimulation, Tanz, Meditation und so weiter - Eigenschaften beeinflussen kann, die man als "Aufmerksamkeit" bezeichnen könnte. Man sollte aber nicht denken, dass es darum so etwas wie ein "Aufmerksamkeitsmodul" im Gehirn gäbe. Und das war tatsächlich auch einer der Fallstricke für die bildgebende Hirnforschung, der inzwischen zu erheblicher Ernüchterung geführt hat.

Das heißt, man sollte nicht davon ausgehen, dass es im Gehirn oder irgendwo sonst im Körper ein einfaches Merkmal gibt, das man in Aufmerksamkeit übersetzen könnte, wie man mit einem Drehschalter die Lautstärke seiner Musik beeinflussen kann. In diesem Sinn mein Fazit zu dem zweiten Aspekt aus dem Tatort: Ja, mit elektrischer Stimulation lassen sich prinzipiell psychische Eigenschaften beeinflussen. Man darf sich das aber nicht zu einfach vorstellen.

Genauso, wie es bisher keine Glückspille gibt oder keinen Liebestrank, auch wenn man seit Jahrhunderten danach sucht, gibt es dafür kein elektrisches Modul in einem Helm. Zwar könnte man die genannten Eigenschaften grob beeinflussen, würde dabei aber auch viele andere Prozesse verändern. Und das ruft nicht nur zahlreiche Nebenwirkungen auf den Plan, sondern stößt irgendwann auch an seine natürliche Grenze. So kommt es dann ja auch in der Tatort-Folge zum Zusammenbruch der Soldatin, an der die Funktion des Helms ausprobiert wurde.

Strahlenwaffen

Bei der dritten Frage ging es darum, ob man mit einer Strahlenwaffe aus der Ferne in den Körper eingreifen und so unter Umständen sogar einen Herzstillstand hervorrufen könnte. Das ist nun nicht mein Fachgebiet. Aber prinzipiell kann man Energie, sei es in Form von elektromagnetischen Wellen oder Licht (Laser), auf ein bestimmtes Ziel richten. Wir wissen ja, dass sogar beim Telefonieren mit einem schlichten Mobiltelefon ein Teil der Strahlung vom Körper als Wärme absorbiert wird. Deshalb gibt es Grenzwerte dafür, wie stark die elektromagnetischen Wellen sein dürfen.

Wenn man sich nun nicht um solche Grenzwerte scheren muss, weil man eine Waffe entwickelt, und dann auch noch Details über Gewebe im Körper (etwa des Herzmuskels) kennt, dann halte ich es durchaus für möglich, aus der Ferne einen tödlichen Schaden anzurichten. Das kann man mit anderen Waffen natürlich auch, wenn auch vielleicht weniger unauffällige. Mein Fazit zum dritten Punkt ist also, dass ich so eine Strahlenwaffe für realistisch halte.

Gedankenfernsteuerung

Ob sich damit, wie bei der vierten Frage, aber gezielt im Gehirn Halluzinationen oder Wahnzustände erzeugen lassen, ist ein anderes Thema. Aus dem, was ich vorher schrieb, wurde schon deutlich, dass weder die psychologische noch die neurologische Materie trivial ist und hier auch unsere Begriffe schnell an ihre Grenzen stoßen. Nun wissen wir, dass man durch bestimmte Substanzen, seien es Drogen, Medikamente oder Gifte, stark auf die Gedanken, Erfahrungen und Gefühle eines Menschen einwirken kann; aber auch zum Beispiel durch Stress, Drohungen, Gewalt oder, im positiven Sinne, eine Massage, einen Spaziergang oder einen Strandurlaub.

In der Tatort-Folge wird das nun so dargestellt, dass man aus der Ferne mit der Strahlenwaffe nur auf das Gehirn der Zielperson zielen, einen Knopf drücken muss und schon bekommt der- oder diejenige im Fadenkreuz Halluzinationen und Panik. Das halte ich nun wirklich für Science-Fiction. Mit der Strahlenwaffe könnte man vielleicht Gewebe zerstören oder auf alle Arten von Gehirnprozessen einwirken. Bis zu einem gewissen Grade würde aber erst einmal gar nichts passieren, denn unser Körper hat ja ein bestimmtes Kompensationsvermögen. Und ab einer gewissen Grenze könnte unvorhersehbar schlicht alles passieren.

Man vergleiche das Szenario einmal mit dem Aufwand eines Neurochirurgen, der beispielsweise einen Tumor aus dem Gehirn seines Patienten entfernt. Dieser kann sich oft nicht einmal auf die funktionellen Aufnahmen aus dem Hirnscanner verlassen, sondern wird während der Operation mit elektrischer Stimulation direkt im Gehirn überprüfen, ob das eventuell zu entfernende Nervengewebe eine entscheidende Funktion, etwa die Sprache, beeinflusst. (Solche Operationen müssen also am wachen Patienten durchgeführt werden.) Und das ist eine viel breitere Kategorie als eine Halluzination etwa mit dem konkreten Inhalt, dass die Kommissarin den durchgedrehten Ex-Soldaten vor sich sieht, den sie ein paar Tage vorher im Sinne der Nothilfe erschießen musste.

Wenn jemand bei einem anderen unbemerkt Halluzinationen hervorrufen wollte, dann würde er das wohl am ehesten durch die Gabe einer halluzinogenen Droge machen. Der Inhalt der Halluzinationen wäre aber ungewiss. So etwas sollte man aber nicht einmal im Spaß machen, denn das ist nicht nur ein strafbarer Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, sondern kann beim Betroffenen auch schwere Panik auslösen. Der weiß dann ja gar nicht, wie ihm geschieht und wird wahrscheinlich denken, dass er jetzt verrückt geworden ist.

Mein Fazit zum vierten Punkt ist also, dass ich so eine Manipulation von außen beim heutigen Kenntnisstand für unmöglich halte. Und selbst wenn man über Drogen Halluzinationen und Wahnzustände auslöst, lässt sich deren Inhalt nicht kontrolliert steuern. Das schließt natürlich nicht aus, dass man in einem bestimmten kulturellen oder religiösen Kontext, wie es beispielsweise in Südamerika seit Langem mit Ayahuasca gemacht wurde und heute auch in Nordamerika oder Europa populärer geworden ist, bestimmte Erfahrungen wahrscheinlicher machen kann. Diese Personen werden dann durch Geschichten und Rituale darauf vorbereitet, meinetwegen blaue Engel oder so etwas Ähnliches zu sehen. Im christlichen Kontext gibt es das sicher auch mit Gebeten, Buße, Selbstgeißelung, Visualisierung von Heiligen und so weiter.

Gehirnkrieg der CIA

Eine historische Fußnote scheint mir aber noch wichtig: Das Tatort-Team setzt die Entwicklung dieser Wunderwaffen nämlich in Bezug zu dem eingangs erwähnten Gehirnkrieg. Der Titel "Krieg im Kopf" ist dann wahrscheinlich auch kein Zufall. Treue Telepolis-Leser wissen natürlich, dass die CIA in Projekten wie MKULTRAin den 1950er und 1960er Jahren versuchte, mit Drogen und psychologischen Tricks bis hin zu Folter gezielt psychische Vorgänge zu beeinflussen. Die Dokumente sollten Anfang der 1970er zerstört werden. Aufgrund eines Fehlers bei der Lagerung blieben viele aber erhalten und kam das Projekt schließlich ans Tageslicht. In der Tatort-Folge heißt es, dass daran auch deutsche Institutionen beteiligt gewesen seien. Darüber ist mir nichts bekannt.

Ich habe hier aber selbst über die Jahre immer wieder über die Versuche des Neurowissenschaftlers José M. R. Delgado (1915-2011) geschrieben - am ausführlichsten in meinem Telepolis-Buch über die Neurogesellschaft. Und Delgado forschte nicht nur an Versuchstieren (v.a. Katzen und Affen), sondern schließlich auch an Menschen (v.a. Randgruppen wie Kriminellen oder Prostituierten), was mit elektrischer Stimulation im Gehirn alles möglich ist.

Gegen Ende der MKULTRA-Zeit, 1969, veröffentlichte er seine weitreichenden Ideen für eine "psychozivilisierte Gesellschaft" in seinem Buch "Physical Control of the Mind". Aus heutiger Sicht überrascht vor allem die Offenheit, mit der er über seine Forschung schreibt. Mir sind zwar keine Verbindungen zwischen ihm und der CIA bekannt. Aber wenn der Geheimdienst einen Hirnforscher hätte anwerben wollen, der zum Thema Gedankenkontrolle arbeitet, dann hätte Delgado wohl ganz oben auf der Prioritätenliste gestanden. In der Tatort-Folge geht es übrigens um den MAD, den Geheimdienst der Bundeswehr, und einen deutschen Professor, der ein Buch geschrieben hat, das Delgados Titel ähnelt.

Psychozivilisierende Hirnforschung

Ein konkretes Beispiel aus Delgados Forschung ist, dass er durch das Provozieren aggressiven Verhaltens mittels elektrischer Gehirnstimulation versuchte, die soziale Hierarchie in einer Affenkultur zu verändern. Das gelang in einem gewissen Maße auch. Und dann wäre natürlich noch sein wohl seiner spanischen Herkunft geschuldeter Versuch zu nennen, einen angreifenden Stier wie ein Torero zu bändigen. Die Fotos und Videos, wie ihm das per Funk gelang, gingen damals um die Welt. Das setzte aber die Implantation eines Empfängers in den Gehirnen der Tiere voraus.

Wie diese Versuche aus psychologischer Sicht zu deuten sind, ist unklar. Aggressives Verhalten lässt sich also unter bestimmten Voraussetzungen durch elektrische Stimulation im Gehirn hervorrufen oder unterdrücken. Dafür dürfte es auch viele andere Wege geben - wieder können wir an Drogen oder psychologische Tricks denken. Ethisch ist dieses ganze Gebiet natürlich ein Minenfeld. Und so dürfte die Moral aus der Tatort-Folge wohl sein, dass Geheimdienste und Hirnforscher besser die Finger von solchen Versuchen lassen.

Wer sich eingehender mit dem Thema beschäftigen will, dem kann ich noch den Sammelband über Fremdkontrolle von dem Soziologen Michael Schetsche und Renate-Berenike Schmidt empfehlen. Wer hierzu lieber spannende Kriminalromane lesen möchte, für den sind Philip Kerrs preisgekröntes "Wittgensteinprogramm" (engl. "A Philosophical Investigation") und Jens Johlers "Kritik der mörderischen Vernunft" heiße Tipps. In beiden Büchern wird auch die Willensfreiheitsproblematik durchgründet, die es nur ganz am Rande in die Tatort-Folge geschafft hat.

Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.