Gendatenbank für eine ganze Nation

Island verspricht sich in der boomenden Gentechnikbranche einen Wettbewerbsvorteil durch eine monopolistisch und privatwirtschaftlich betriebene Gendatenbank

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Wie nach dem Beschluss der isländischen Regierung zu erwarten war, eine nationale, aber privatwirtschaftlich geführte Gendatenbank zu bewilligen, wurde am 22. Januar dem amerikanischen Unternehmen DeCode die schließlich exklusive Lizenz für 12 Jahre gewährt, die medizinischen Daten sowie genealogischen und genetischen Informationen der gesamten Bevölkerung Islands auf kommerzieller Basis auszuwerten.

Trotz des Widerstands eines Teils der Bevölkerung und von Wissenschaftlern, die neben Datenschutzproblemen vor allem vor der Monopolisierung der genetischen Informationen warnen, hat es also die Firma mit dem aus Island stammenden Direktor Kari Stefansson nach langem Lobbying geschafft, ein weltweit einzigartiges Projekt zu realisieren. Bislang gibt es kein Land, das es einem Unternehmen gestattet, die genetischen Informationen der gesamten Bevölkerung zu sammeln, auszuwerten und zu verkaufen. Das Bioethik-Komitee des Europäischen Rats hat inzwischen bestätigt, dass eine solche Datenbank mit dem internationalen Recht vereinbar sei.

DeCode zahlt an Island für die Lizenz 25 Millionen Mark und beteiligt das Land an den zukünftigen Gewinnen. Schon jetzt hat das Unternehmen einen Vertrag mit dem Konzern Hoffmann-La Roche, der 200 Millionen Dollar an DeCode zahlt, um innerhalb von fünf Jahren die Daten nach den Genen für Krankheiten wie der Anfälligkeit für Herzinfarkt, Schizophrenie oder Alzheimer durchsuchen zu können. Gesucht wird von DeCode auch nach Genen, die für eine lange Lebenserwartung verantwortlich sind. Dazu wurden die genealogischen und genetischen Daten den 1500 Isländern ausgewertet, die länger als 90 Jahren gelebt haben. Würde man die Gene für Langlebigkeit und für bestimmte Erkrankungen lokalisieren und in Medikamente oder Gentherapien umsetzen können, würden sich große Einnahmen erwarten lassen. Zwar ist auch der Staat beteiligt, gleichwohl werden die von Ärzten, Krankenhäusern und Behörden gesammelten Daten für ein kommerzielles Unternehmen zur Verfügung gestellt.

Natürlich stellt sich auch hier wieder einmal die Frage, wem die Daten eigentlich gehören, zumal lediglich vorgesehen ist, dass die Isländer zwar die Möglichkeit haben, nach dem Opt-out-Modell ihre Daten zurückzuziehen, aber keine informierte und explizite Zustimmung erfordert wird. Da scheint man davon auszugehen, dass die Daten dem Staat gehören, der sie verkaufen kann, zudem scheint man bewusst mit dem Opt-out-Modell, wie auch sonst gerne praktiziert, auf die Unwissenheit und Trägheit der Menschen zu setzen, um an möglichst viele Daten heranzukommen. Nach Umfragen befürwortet allerdings die überwiegende Mehrheit der Isländer die Einrichtung der Datenbank. Auch die Mehrheit der Mediziner würde diese begrüßen, lediglich 180 von 900 Ärzte haben eine Petition gegen die Einrichtung der Datenbank unterschrieben und wollen für DeCode solange keine Daten zur Verfügung stellen, bis ein Opt-in-Modell eingeführt wird.

Stefansson weist die Sicherheitsbedenken zurück und sagt, dass die Daten so gut wie alle anderen Daten auf der Welt geschützt werden. Namen würden durch Zahlen ersetzt, und niemand würde gleichzeitig Daten von weniger als 10 Menschen erhalten. Was die Zustimmung der Menschen angeht, so entgegnet er lapidar, dass Wissenschaftler überall regelmäßig medizinische Daten von Patienten für die Forschung ohne Zustimmung sammeln und auswerten: "Ich fordere Sie auf, mir eine einzige epidemiologische Untersuchung zu nennen, die auf der Verwendung von Daten aus dem Gesundheitssystem basiert und bei der die Menschen zuvor die Möglichkeiten hatten, eine informierte Zustimmung auszuüben."

Natürlich verspricht DeCode den datenliefernden Isländern viel: neue Arbeitsplätze, einen interessanten Markt und einen Standort weltweit führender Genforschung, ein kostengünstigeres sowie effizienteres Gesundheitssystem und bessere Heil-, Diagnose- oder Präventionsverfahren, die jedem zugute kommen würden. Für DeCode ist die Datenbank der gesamten Bevölkerung vor allem deswegen attraktiv, weil die Einwohnerzahl mit 270000 überschaubar ist, seit 1000 Jahren, nachdem die Wikinger die Insel besiedelt haben, eine kaum nennenswerte Immigration erfolgte und daher der Genpool relativ konsistent oder "rein" ist, seit dem Zweiten Weltkrieg medizinische Daten von jedem Isländer und auch von einem großen Teil der Bevölkerung Gewebeproben gesammelt wurden, genaue genealogische Informationen vorliegen und der Lebensstandard der Bevölkerung einigermaßen einheitlich gut ist. Wegen der Konsistenz des Genpools erwartet man, dass sich die Ursachen genetisch bedingter Erkrankungen besser genealogisch zurückführen und sich die Gene einfacher lokalisieren lassen.

Die Kritiker, die sich zur Organisation Mannvernd (Schutz des Menschen) zusammengeschlossen haben, gehen zwar meist nicht so weit, eine solche nationale Datenbank prinzipiell abzulehnen, aber sie fürchten die Dominanz kommerzieller Interessen, die vornehmlich die Vertraulichkeit der Informationen und den Datenschutz unterminieren könnten. Im Zentrum steht dabei die Sicherheit der Informationen in der Datenbank. So fürchtet man, dass sich mit den Informationen Menschen identifizieren lassen können, was zur Diskriminierung führen könnte, wen diese Daten in die falschen Hände gelangen, z.B. von Versicherungen oder Arbeitgebern. Nach dem isländischen Gesetz müssen Maßnahmen zum Datenschutz ergriffen werden, um die Informationen aus dem Gesundheitssystem nicht mit den genealogischen und genetischen Daten so verbinden zu können, dass einzelne Menschen identifiziert werden können, was durch eine mehrfache Verschlüsselung geschehen soll. Zunächst war noch ein Decodierungsschlüssel vorgesehen, mit dem sich die anonymisierten Daten wieder verbinden ließen, in der endgültigen Fassung ist dieser aber nicht mehr vorgesehen. Überdies müssen die Angestellten von DeCode sich schriftlich verpflichten, alle Daten vertraulich zu behandeln. Gleichwohl ist natürlich ein absoluter Schutz nicht zu gewährleisten.

Kritisch diskutiert wird auch, inwieweit ein privatwirtschaftliches Monopol auf die medizinischen Daten den freien Fluss wissenschaftlicher Informationen verhindert. Isländische Wissenschaftler fürchten etwa, dass die genetisch Forschung darunter leiden könnte, weil keine Forschungsgelder mehr fließen könnten. DeCode hingegen argumentiert, dass die Daten besser zugänglich werden und die Datenbank mehr Forschungsgelder nach Island ziehen wird. Allerdings wird man davon ausgehen können, dass von DeCode unabhängige Forschungen, die gegen die Interessen der Firma gehen, behindert werden könnten.