"Genies": Pedro Sánchez und Pablo Iglesias einigen sich auf spanische Koalition

Archivbild (Oktober 2018) Pedro Sánchez und Pablo Iglesias. Lizenz: Regierung von Spanien, Ministry of the Presidency. Government of Spain

Kommentar: Sánchez vollzieht die totale Kehrtwende, akzeptiert nun eine Koalition und der Podemos-Chef darf nun sogar Vizeministerpräsident werden

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Da die Träume des spanischen Sozialdemokraten Pedro Sánchez, mit den rechten Ciudadanos (Cs) eine Regierung zu bilden, am Wahlsonntag definitiv zerstoben sind, ist plötzlich ganz schnell der Weg für eine Koalition mit der Linkskoalition Unidas Podemos (UP) frei geworden.

Der geschäftsführende Ministerpräsident Sánchez und der UP-Chef haben eilig am Dienstag eine Vorvereinbarung unterzeichnet, auf deren Basis eine Koalitionsregierung gebildet werden soll. Es wäre die erste in der neueren spanischen Geschichte. Dabei wurde die Rechnung aber wieder einmal ohne den Wirt gemacht, denn wer sie unterstützen soll, ist unklar.

Die plötzlich durch eine Umarmung zur Schau gestellte Einigkeit zwischen Sánchez und Iglesias ist ein regelrecht abstoßender Schmusekurs, denn sie haben sich seit April vor allem gegenseitig beharkt und in aller Öffentlichkeit haben die Narzissten ihren persönlichen Streit ausgetragen. Hier umarmen sich zwei Verlierer, die eigentlich abtreten und die Verantwortung für das Debakel übernehmen sollten, hätten sie Verantwortungsbewusstsein. Denn sie haben das Land in eine absurde Situation geführt.

Besonders der Sozialdemokrat Sánchez hatte stets die dicke Keule gegen Iglesias im Gepäck. Er versuchte, ihn massiv zu erniedrigen. So stellte Sánchez, weil sich der gerade wegen des Wahldebakels zurückgetretene Cs-Chef Albert Rivera geweigert hatte, ihn zu unterstützen, der Linkskoalition fast unmögliche Bedingungen. Sánchez hatte mit einem Veto verhindert, dass Iglesias auch nur in eine Regierung eintreten könnte, da er keine "Wächter" in der Regierung haben wollte.

In 48 Stunden möglich, was monatelang unmöglich war

Der Sozialdemokrat nannte es nach Monaten des Schweigens plötzlich "Verhandlungen", als er kurz vor der Investitur eilig noch versuchte, UP seine Vorstellungen aufzuzwingen. Daran scheiterte er im ersten Wahlgang. Im zweiten Wahlgang wollte er gar keine UP-Mitglieder mehr in der Regierung haben. Die lehnte er wegen des "fehlenden Vertrauens" ab und spielte sein gefährliches Neuwahl-Spiel erneut. Sein Ziel war es nur, UP die Schuld für die vierten Wahlen in vier Jahren und die zweiten in einem Jahr zuzuschustern, um seine Basis zu verbreitern.

Da das scheiterte - auch seine Sozialdemokraten (PSOE) haben Stimmen und Sitze eingebüßt - und da mit den Cs keine Chance mehr auf eine Regierungsbildung besteht, war nun in 48 Stunden möglich, was in mehr als einem halben Jahr zuvor unmöglich war. Sánchez und Iglesias haben jetzt die Bildung einer progressiven und stabilen Regierung für die nächsten vier Jahre versprochen.

"Eine historische Notwendigkeit"

Für die schnelle Einigung wurde der Aufstieg der rechtsextremen Vox zur drittstärksten Fraktion im Parlament angeführt. In einer solchen Situation sei die Zusammenarbeit zwischen progressiven Kräften eine "historische Notwendigkeit", erklärte Iglesias. Man staunt. Dass Vox nun 15% erhielt, ist der Grund? Nicht die Tatsache, dass sie aus dem Stand im April mehr als 10% erhielt?

Es ist also nun wieder Schmusekurs angesagt. Vergessen ist für den Macho-Alpha - wie Iglesias sich selbst nennt - das zögerliche Verhalten der Sozialdemokraten angesichts des Vorgehens der "Kloaken-Polizei" gegen Podemos und seine Person. Vergessen ist das Veto und vergessen ist auch, dass Sánchez mit seinem unverantwortlichen Vorgehen ermöglicht hat, dass die Rechtsradikalen weiter aufsteigen konnten. Der sozialdemokratische Spitzenkandidat ging sogar das Risiko ein, dass sie mit der PP und Cs gemeinsame Sache machen und nach Andalusien, Madrid und Murcia auch das ganze Land regieren können.

Die Chance dazu bekamen sie allein von Sánchez und seiner PSOE. Das haben die Wähler glücklicherweise verhindert, aber den Ultras eine neue Startrampe für weitere Höhenflüge verschafft. Iglesias stimmt schnell einer unverbindlichen Vorvereinbarung zu, um seinen Traum zu verwirklichen: Er soll nun sogar Vize-Ministerpräsident werden. Nach den Statuten von Podemos müsste über eine Koalition eigentlich die Basis entscheiden, die wurde aber längst zum Abnickverein degradiert.

Zur Mehrheit fehlen Sitze

Das Besondere an der Situation zeigt sich auch darin, dass es nicht einmal ausgemacht ist, dass diese Regierung durchkommt. Sie kann nun nur noch auf 155 von 350 Abgeordneten im spanischen Parlament zählen. Im April waren es noch 165. Selbst wenn man die Podemos-Abspaltung Más País und ihre drei Abgeordneten hinzuzählt, reicht es nicht ohne die Stimmen von Befürwortern der Unabhängigkeit. Nur mit der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) kommt man auf die Zahl, die PSOE und UP im April noch alleine hatten.

Es fehlen zu einer Mehrheit noch immer mindestens 11 weitere Sitze oder Enthaltungen von katalanischen und baskischen Unabhängigkeitsparteien, um wenigstens im zweiten Wahlgang durchzukommen. Wie mit dieser Gemengelage stabil vier Jahre regiert werden soll, wissen wohl auch Sánchez und Iglesias nicht.

Die abgestrafte rechts-neoliberale Ciudadanos-Partei hat schon jede Unterstützung für eine Linksregierung abgelehnt, die sie "verheerend" nennt. Cs hält das Veto gegen Sánchez aufrecht, obwohl sie dafür fast 80% aller Wähler verloren hat. Klar schält sich auch heraus, dass die Stimmen der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) und die ihres baskischen Partners EH Bildu (Baskenland vereinen), die Sánchez zuvor gratis bekommen hätte, nun nur für Gegenleistungen zu haben sind.

"Heute ist unsere Position Nein", sagt nach den absurden Urteilen gegen Anführer der Unabhängigkeitsbewegung nun auch die ERC. Sánchez und seine Truppe hatten im Wahlkampf noch weiter Öl ins Feuer gegossen und klargemacht, dass sie von Gewaltenteilung ebenso wenig halten wie die rechten Vorgänger.

Blockade im Baskenland. Foto: Euskal Tsunami

Seither wird in Katalonien mobilisiert und die heftigen Proteste reißen nicht ab. Das zeigen die Autobahn- Straßen und Schienenblockaden, die nun auch auf das Baskenland übergegriffen haben. Aber was die ERC nicht sagt, ist, dass sie Wunden leckt.

Anstatt ihre Basis mit einem weichen Kurs gegen Sánchez verbreitern zu können, büßte sie etwa 130.000 Stimmen ein. Die fuhr entweder die linksradikale CUP oder die Formation von Exil-Präsident Carles Puigdemont ein, dessen Partei "Gemeinsam für Katalonien" (JxCat) sogar Stimmengewinne verbuchen konnte, obwohl die Beteiligung deutlich geringer war.

Angesichts dieser Vorgänge kann man Puigdemont eigentlich nur zustimmen, der von "einigen Genies" im Fall von Sánchez und Iglesias spricht: "Was unmöglich war, als sie noch mehr Abgeordnete hatten, ist heute möglich, wenn sie weniger haben." Indessen sei die Rechte und Ultrarechte gestärkt worden, kommentiert er den Vorgang auf Twitter.

Tatsächlich kann er - und da hat die PSOE von Sánchez gleich die nächste Baustelle - darauf hoffen, dass der Europäische Gerichtshof den undemokratischen Ausschluss aus dem Europaparlament rückgängig macht, den Spanien zu verantworten hat. Die Konsequenz daraus ist, dass mehr als zwei Millionen Katalanen bisher nicht vertreten sind.

Im Fall des inhaftierten ERC-Präsidenten hat nun der Generalanwalt sein Gutachten vorgelegt, dem die Richter in fast allen Fällen folgen. Demnach genießt Oriol Junqueras parlamentarische Immunität, müsste also im Parlament anstatt im Gefängnis sitzen.