Sánchez spielt gefährliches Neuwahlen-Spiel weiter

Pedro Sánchez. Bild: European Union 2019/ EP/CC BY-SA 4.0

Kommentar: Da Sánchez nicht von Stimmen der Linken und von Katalanen abhängig sein will, könnte als Ergebnis der Durchmarsch einer von Rechtsradikalen geduldeten Regierung stehen

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Alles wie erwartet in einem Spanien, das sich immer mehr Italien angleicht. Das gilt nicht nur für Korruption, sondern auch bei der Unmöglichkeit, eine stabile Regierung zu bilden. So wird, wie hier schon mehrfach als hochwahrscheinlicher Ausgang aus der Krise dargelegt, im Herbst zum vierten Mal in nur vier Jahren gewählt. Nun musste König Felipe VI. der Realität Rechnung tragen, wonach der spanische Sozialdemokrat Pedro Sánchez nach seinem Scheitern im Juli erneut keine Chance hat, eine Regierung zu bilden.

Deshalb wurde Sánchez nicht - aber auch kein anderer Kandidat - damit beauftragt, eine Regierungsbildung zu versuchen. Das wurde aus dem Königspalast am späten Dienstag mitgeteilt. Zuvor hatte Felipe zwei Tage mit den Chefs verschiedener Parteien gesprochen und kam zum Ergebnis, dass es keinen Kandidaten gibt, der die nötige Unterstützung hat.

Die Regierungsbildung in Spanien wird immer schwieriger, weshalb am 10. November die vierten Wahlen in vier Jahren abgehalten werden - weil sich die politische Klasse in Madrid als unfähig zum Dialog zeigt.

Pedro Sánchez hatte nie einen realen Dialog mit der Linkspartei Podemos geführt. Erst kurz vor der Investitur, zwei Monate waren ungenutzt verstrichen, versuchte er ihr im Eilgang seine Vorgaben aufdrücken. Podemos lehnte ab und Sánchez scheiterte im Juli im Parlament. Erneut ließ er den Sommer ungenutzt verstreichen. Erst Anfang September nahm er einen zaghaften Dialog auf. Er fiel dabei noch deutlich hinter sein vorheriges Angebot zurück. Er lehnte nun wieder jeden Eintritt von Podemos-Mitglieder in eine Koalitionsregierung wegen "fehlenden Vertrauens" ab.

"Sie haben es uns unmöglich gemacht"

"Ich habe alles versucht, doch sie haben es uns unmöglich gemacht", erklärte Sánchez kryptisch nach seinem Gespräch mit dem König. Diese Darstellung stößt bei allen Parteien auf Widerspruch, besonders bei Podemos, mit der er nie ernsthaft verhandelt hat, wie auch bei der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) und der baskischen Linkspartei EH Bildu (Baskenland Vereinen). Die hatten ihm ihre Stimmen im Juli sogar geschenkt, obwohl er Gespräche mit ihnen verweigert hatte.

Doch hatte der Baske Jon Inarritu etwa im Telepolis-Gespräch angekündigt, das man alles tun werde, um eine Rechtsregierung zu verhindern. So wäre Sánchez schon im Juli Präsident geworden, hätte er sich zuvor mit Podemos geeinigt.

Sánchez verstrickt sich immer tiefer in gravierende Widersprüche und sogar Lügen. Erstens hat er wahrlich nicht alles versucht. Zweitens gibt er nun sogar zu, dass er die Regierung mit Podemos nie wirklich wollte. Als "einzige Grenze" bezeichnete er nun, "keine Regierung zu akzeptieren, die von Misstrauen gespalten ist und deren Stabilität exklusiv von Unabhängigkeitsparteien abhängt".

Ohnehin sind das zwei Grenzen, aber er versteht offensichtlich nicht, dass es normal ist, dass sich Koalitionspartner nicht voll vertrauen. Sonst wären sie vermutlich auch nicht in verschiedenen Parteien mit verschiedenen Vorstellungen.

Aus verschiedenen Vorstellungen einen Minimalkonsens zu schaffen, dazu ist er nicht fähig. Das scheint eine allgemeine spanische Krankheit zu sein. In der neueren Geschichte gibt es keine einzige Koalitionsregierung, wie sie in Europa üblich sind - und innerhalb Spaniens auch im Baskenland oder Katalonien. Denn dort gibt es deutlich mehr demokratische Reife. Massive Probleme, wie mit Katalonien aufgebrochen, werden nicht angegangen. Es wird nicht gesprochen und nicht verhandelt. Deshalb stürzte die Sánchez-Regierung schon nach wenigen Monaten erneut.

Dialogverweigerung

Dialogverweigerung ist in Spanien pathologisch. Man geht sogar gegen einen Dialog zur Problemlösung auf die Straße. Und letztlich ist weitgehend egal, wer gerade in Madrid regiert. Die Antwort in Richtung der Minderheiten ist immer Repression. Das gilt nicht nur für Basken oder Katalanen, wo das auch international immer deutlicher erkannt wird, sondern das gilt auch für den Umgang mit der internen Opposition und vermeintlichen oder realen Gegnern, die schnell zu Terroristen gestempelt werden sollen.

Dafür schafft man auch Maulkorbgesetze, eine illegal agierende politische "Kloaken-Polizei" und setzt massiv auf Spionage im Land und in ganz Europa.

Eigentlich könnte Sánchez auch offen sagen, dass er nie mit Podemos regieren wollte, nicht einmal von der Partei geduldet werden wollte. Doch das steht klar im Widerspruch dazu, dass er angeblich eine "progressive" Regierung will. Doch wie an dieser Stelle schon vor den letzten Wahlen im April festgestellt wurde, war er stets auf ein nationalistisches Bündnis mit der rechten Ciudadanos (Cs) aus.

Deshalb hatte er schon im Jahr 2016 einen Pakt mit dieser Partei geschlossen, um zu versuchen, Präsident zu werden. Doch das ging schief, weil ihm dafür die Unterstützer fehlten, denn Podemos sagte logischerweise Nein. So holte sich Sánchez eine blutige Nase und ging als erster Kandidat in die Annalen ein, der bei einer Investitur scheiterte. Es gehört zu dem narzisstischen Sozialdemokraten wie das Weihwasser zur Kirche, stets links zu blinken, um dann rechts zu überholen.

Vorstoß von Ciudadanos-Parteichef Albert Rivera

Eigentlich hatte Sánchez schon im April sein Wahlziel erreicht. Er hätte seither mit den rechten Cs ohne Stimmen von Podemos, Katalanen oder Basken regieren können. Bisher hat Cs sich allerdings verweigert, doch der Cs-Chef bricht langsam seine Haltung sachte auf. Das zeigte ein letzter Vorstoß von Parteichef Albert Rivera gestern. Er forderte aber undurchführbare und verfassungswidrige Maßnahmen, nämlich zum Beispiel eine sofortige neue Zwangsverwaltung für Katalonien - die musste nach erzwungenen Neuwahlen und der Regierungsbildung im vergangenen Jahr aufgehoben werden.

Zudem forderte Rivera den Sturz der breiten Regionalregierung in Navarra, die eigentlich ein Beispiel für Spanien hätte sein können. Auch hier hat er klar gezeigt, wo er steht, trat sogar in einer großen Rechtskoalition an. Denn Rivera ist in den letzten Monaten auch gegen massive interne Widerstände wieder ganz nach rechts zurück zu seinen Wurzeln gegangen.

Denn auch der angebliche "Liberale", dessen Partei mit der FDP kooperiert, stammt aus der Volkspartei (PP), die von Regierungsmitgliedern der Franco-Diktatur gegründet wurde, und von der sie sich nie klar distanziert hat.

Riveras Partei regiert schon in Andalusien, Murcia und Madrid in einer Koalition mit der PP. Und auch er schreckt dabei nicht einmal vor einer Zusammenarbeit mit der offen faschistischen VOX-Partei zurück. Das hat inzwischen sogar Cs-Mitbegründer zum Austritt getrieben, die ebenfalls nicht verstanden haben, dass er kein Bündnis mit Sánchez eingeht.

Hasardeur Sánchez

Das Vorgehen des Hasardeur Sánchez ist respektlos gegenüber seinen Wählern. Er will offenbar so lange wählen lassen, bis das Wahlergebnis stimmt und dabei auch die von ihm gewünschte Regierung herauskommt. Natürlich unter seiner Führung. Das ist fatal für ein Land, das ohne Regierung und Haushalt in die nächste Krise geht, die sich längst in Fundamentaldaten zeigt. Dabei ist die letzte noch nicht einmal ausgestanden, wie eine noch immer hohe Arbeitslosigkeit von fast 14 Prozent zeigt.

Eigentlich müsste Sánchez nur seine eigenen Worte ernst nehmen oder sofort abtreten. Er hatte einst seinem Vorgänger Mariano Rajoy mitgeteilt, als niemand mehr den alten Ministerpräsidenten und dessen PP-Korruptionspartei unterstützen wollte: "Wenn niemand mit Herr Rajoy paktieren will, ist es das Problem von Herr Rajoy der die Verantwortung dafür übernehmen und mit Verhandlungen beginnen sollte."

Doch bei Sánchez ist es üblich, genau das zu tun, bisweilen noch ausgeprägter, was er an anderen kritisiert hat.

Das kann man am Umgang mit Einwanderern und Flüchtlingen gut sehen, wo er einen humaneren Umgang versprach, aber real schlimmer als Rajoy vorgeht und sich eher wie der Ultra-Italiener Salvini aufführt. Versprechen umzusetzen, ist nicht seine Stärke, wie die das Vorhaben der Exhumierung des Diktators zeigt, die vor mehr als einem Jahr abgeschlossen sein sollte. So verspricht er nun erneut das, was er im vergangenen Jahr nicht umgesetzt hat und hätte umsetzen können, wie die sehr schädliche Arbeitsmarktreform zu schleifen.

Die steht hinter sehr vielen Problemen im Land. Es ist zu befürchten, dass sich linke Wähler genervt abwenden und die Wahlbeteiligung im November deutlich geringer ausfällt. Damit steigen die Chancen für eine "Trifachito"-Regierung im ganzen Land, wie das Bündnis der Rechten hier genannt wird. Sánchez pokert wieder einmal sehr hoch, die Rechnung bezahlen wie üblich andere.

Den bisher sinnvollsten Vorschlag hat der außerordentliche Koch Karlos Arguiñano gemacht. Der Mann mit den höchsten Auszeichnungen und den drei Michelin-Sternen meint: "Sie sollen alle abhauen", da sie seit Jahren versagen. Man benötige "völlig neue Leute" mit einem "versöhnlichen Vorgehen", meint der Baske. Diese politische Klasse kümmere sich "mehr um sich selbst" und "ihre Parteien", als um die Leute, die sie gewählt haben.

140 Millionen Euro werden diese Wahlen kosten, die anders sicher besser angelegt wären. Während die Politik wieder kräftig auf die Propagandatrommel hauen kann, leiden alte Menschen weiter unter miserablen Pensionen, werden weiter Firmen geschlossen und derweil geht auch der Klimawandel weiter - so begründet Arguiñano seine Forderung, sie alle zum Teufel zu jagen.