Kommentar: Repression und Dialogverweigerung stürzt spanische Regierung
Nach nur neun Monaten muss Pedro Sánchez hinwerfen und Neuwahlen ausrufen, weil er zu durchgreifenden Veränderungen nicht in der Lage ist
Einst hatte der Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez die "Chronik eines angekündigten Todes" verfasst. Dieser Titel passt sehr gut auf den schnellen politischen Tod des spanischen Regierungschefs Pedro Sánchez. Seinen wirklichen Tod wünschen sich nur spanische Rechte und Ultrarechte herbei, die ihn zum Teil auch bewaffnet erzwingen wollen. Der Regierungschef hat auch schon seine Memoiren vorgestellt, die man eigentlich erst schreibt, wenn man den Sessel geräumt hat.
Er hat das Ergebnis vom Mittwoch schon vorweggenommen und es ist mehr als fraglich, dass er bei den anstehenden Neuwahlen noch einmal ans Ruder kommt, auch wenn das Buch "Handbuch des Widerstands" heißt. Ob sich der Mann, der stets links blinkt und dann rechts überholt, erneut als Stehaufmännchen entpuppt, ist mehr als zweifelhaft. Seine Zeit ist abgelaufen, auch wenn er die Agonie noch eine Weile hinauszögern kann wie sein konservativer Vorgänger.
Sánchez hat die Geschichte seines angekündigten Absturzes selbst geschrieben. Es war seit langem klar, dass er mit seinem Haushalt über den "Schauprozess" gegen die Katalanen stürzen würde, wenn er das Ruder in den Beziehungen zu den Katalanen nicht herumreißen würde. Das geschah nicht, weshalb sogar schon die Behandlung des Haushalts im Madrider Parlament abgelehnt wurde und er nun gezwungen ist, nach nur neun Monaten Neuwahlen anzusetzen.
Die Katalanen setzen keine Hoffnungen mehr in ihn, nachdem der Prozess gegen die ehemalige Regierung und Aktivisten begonnen hat. Wofür also das Zeitfenster während der Behandlung des Budgets offenhalten, um die Verabschiedung dann wegen dessen Politik zu verhindern.
Die letzten Zweifel bei der ERC und PDeCat haben die Anklagevertreter des Ministeriums für Staatsanwaltschaft und des Juristischen Dienstes der Regierung mit ihren absonderlichen Ausführungen und Anklagen ausgeräumt, als am Mittwochmorgen unweit vom Obersten Gerichtshof über den Haushalt debattiert wurde.
Sánchez in der Sackgasse
Gegen 13 Uhr blieb es um die Regierung Sánchez mit den Stimmen von Unidos-Podemos ("Gemeinsam können wird es") ziemlich einsam. Sogar in deren Reihen gab es zwei Abweichlerinnen, die gegen den Haushalt gestimmt haben. Eigentlich wollte die gesamte Gruppe aus Galicien gegen den Haushalt stimmen, sie unterwarf sich aber mehrheitlich dann doch der Parteidisziplin.
Der Haushalt musste scheitern, da Sánchez nicht einmal fähig war, mit denen einen realen Dialog zu führen, mit deren Stimmen er erst im vergangenen Juni gewählt wurde. Er knickte vor der Parteirechten und vor der Rechten bis Ultrarechten außerhalb seiner Sozialdemokraten (PSOE) ein. Er brach den Dialog mit den Katalanen, der ohnehin nie richtig begonnen hatte, sogar noch vor der Demonstration von Rechten und Rechtsradikalen am Sonntag ab.
Die Drohung an die Katalanen zog nicht, dass bei Neuwahlen sich die Situation in Andalusien wiederholen könnte, wo die Rechtskoalition nun von der ultrarechten VOX gestützt wird, der weit entgegengekommen wurde. Sogar der Republikanischen Linken Kataloniens riss schließlich die Hutschnur. Die war eigentlich bereit, dem Sozialdemokraten sehr weit entgegen zu kommen.
Sie fühlt sich veräppelt von dauernden Versprechungen, die von der PSOE nicht eingehalten wurden. Genau deshalb hatte sie auf einen unabhängigen "relator" in den Gesprächen gedrängt, damit der Berichterstatter bezeugen könnte, was vereinbart wurde. Das ist üblich und war auch bei Verhandlungen mit der baskischen Untergrundorganisation ETA normal, die sowohl die Sozialdemokraten als auch Vertreter der PP geführt haben. Beide verweigern sich aber einem Dialog mit friedfertigen Katalanen und behandeln sie stattdessen wie Terroristen. Ein spanisches Trauerspiel in mehreren Akten.
Sánchez hatte sogar kurz vor Toresschluss noch einmal eine Chance, da die geplante Machtdemonstration der Rechten massiv floppte, obwohl man die Menschen auf Parteikosten aus dem ganzen Land herbeigekarrt hatte. Statt einer Menge zwischen einer halben Million bis zu einer Million waren es aber nur 45.000. Das ist verschwindend wenig gegenüber den katalanischen Demonstrationen für die Unabhängigkeit.
Doch Sánchez hatte sich längst tief in eine Sachgasse treiben lassen. Er war zu keiner Umkehr mehr fähig, um in den letzten Stunden doch noch einen realen Dialog ohne Vorbedingungen unter Beobachtung unabhängiger Beobachter mit den Katalanen zu beginnen. Nur so hätte er seinen Haushalt und seine Regierung retten und eine neue Phase in den Beziehungen zu Katalonien einleiten könnten.
Er hätte darauf bestehen müssen, was international der Normalzustand ist. Per Dialog werden Konflikte bearbeitet, auch wenn Rechte und Ultrarechte im Land nun schon gegen jeden Dialog auf die Barrikaden gehen wie auch ein Teil seiner Parteiführer. Die hätte er endlich in die Schranken weisen müssen, zumal sich seine Lage nach dem Absturz von Susana Díaz, seiner großen Widersacherin aus der Parteirechten, verbessert hatte. Denn sie ist in Andalusien abgestürzt und damit nun weitgehend entmachtet.
Er hat sich nichts getraut. Deshalb war die Zeit für seine Regierung mit Beginn des "Schauprozesses" abgelaufen. Die vielen Möglichkeiten für Entspannungsgesten, ließ seine Regierung ungenutzt verstreichen. Eigentlich hatte Sánchez das Urteil über seine Regierung schon geschrieben, als die Anklageschriften vorgelegt wurden. Telepolis hatte schon im vergangenen November darauf hingewiesen, dass letztlich das Ministerium für Staatsanwaltschaft damit vorgezogene Neuwahlen angesetzt hatte.
Chance beim Prozess gegen die Katalanen verpasst
Es wäre ohne juristische Probleme möglich gewesen, die absurden Anklagen wegen Rebellion und Aufruhr zurückzuziehen, die ohnehin niemand versteht, der nicht nationalistisch spanisch verblendet ist. So hatten viele hochrangige Juristen den Sozialdemokraten unzweideutig erklärt, dass diese Strafanträge der Generalstaatsanwaltschaft und der Regierungsjuristen keinerlei "juristische Basis" haben.
Die einzige - schwache - Geste bestand darin, dass der Juristische Dienst der Regierung statt von Rebellion nur von Aufruhr spricht. Gefordert wird damit keine Höchststrafe von 25 Jahren, sondern eine von "nur" 12 Jahren. Sánchez Ministerium für Staatsanwaltschaft plädiert mit den rechtsradikalen Nebenklägern von VOX dagegen sogar weiter auf Rebellion.
Was der katalanische Verteidiger Jaume-Alonso Cuevillas als "Justizautarkie" bezeichnet könnte man auch Justiz-Autismus nennen. Denn sogar 120 Juraprofessoren unterschiedlicher Universitäten, sprechen von einem Irrtum, mit dem die Vorwürfe der "Rebellion und Aufstand banalisiert" werden.
Denn, so führen sie aus, die Rebellion ist verbunden mit der Benutzung von "Kriegswaffen und Sprengstoffen". Sie ist definiert als "gewaltsame öffentliche Erhebung", die als Ziel einen Angriff auf das "demokratische System" hat, um den "frei von den Bürgern gewählten Staat und Regierung zu ersetzen".
Man braucht wahrlich kein Rechtsexperte zu sein, wie Cuevillas im Telepolis-Gespräch anmerkte, um zu erkennen, dass nichts davon in Katalonien geschehen ist. Es war auch nicht das Ziel, die spanische Regierung zu stürzen, schon gleich gar nicht mit Waffengewalt. Das Ziel war, ein demokratisches Referendum zu vereinbaren, wie es Großbritannien mit Schottland und Kanada mit Quebec auf Basis des demokratischen Prinzips vereinbart hatten.
Sogar der Verfasser des Rebellionsartikels, der Sozialdemokrat Diego López Garrido, lehnt die Anwendung auf die Katalanen ab. Er hatte den Putschversuch 1981 bei der Formulierung vor Augen, als die paramilitärische Guardia Civil bewaffnet das Parlament stürmte und die Armee die Panzer aus den Depots holte.
Und so wenig wie deutsche Richter in Schleswig-Holstein sehen auch die vielen spanischen Experten keinen Aufruhr. Denn für eine "tumultartige Erhebung" braucht es noch immer massive Gewalt. Was brauchte Sánchez mehr als die Steilvorlage des Parteifreunds Garrido und der Rechtsexperten im eigenen Land oder der Justiz in halb Europa, die katalanische Exil-Politiker nicht wegen dieser Vorwürfe an Spanien ausliefern wollten?
Man hätte sich also den ehemaligen Regierungschef Carles Puigdemont aus Deutschland ausliefern lassen und versuchen können, ihm den Prozess wegen der angeblichen Untreue und Ungehorsam zu machen, wie es für drei der Angeklagten der Fall ist.
Gut, dafür hätte man, wie im Fall von drei ehemaligen Ministern auf der Anklagebank, keine Untersuchungshaft rechtfertigen und damit das Rachebedürfnis nicht ausreichend befriedigen können. Dazu hätte man über massive juristische Tricks des Verfassungsgerichts nicht verhindern können, dass der legitime katalanische Regierungschef Puigdemont auch wieder zum Regierungschef gewählt wird.
Das gilt auch für Jordi Sànchez, dessen Investitur gegen Auflagen des UN-Menschenrechtskomitees verhindert wurde. Man hätte sich zudem das extrem peinliche Schauspiel erspart, als man Jordi Turull durch die "unabhängige Justiz" nach dem ersten Wahlgang noch schnell verhaften ließ, bevor er im zweiten Wahlgang zum Präsidenten gewählt werden konnte.
Kaum eine unabhängige Justiz
Und, das ist sehr wichtig, der Vorwurf der Veruntreuung steht auf sehr wackeligen Beinen, da sogar der ehemalige Finanzminister Montoro eindeutig erklärt hatte, "kein Euro" sei für das Referendum ausgegeben worden. Die Anklage behauptet aber, es seien fünf Millionen veruntreut worden. "Ich weiß nicht, mit welchem Geld das Referendum bezahlt wurde, aber nicht mit Steuergeldern", sagte Montoro. Er muss es wissen, er hatte zu dem Zeitpunkt des Referendums schon die Kontrolle über die katalanischen Finanzen, denn darüber sollte es ausgehebelt werden.
Er ist als Zeuge zugelassen und wird das demnächst wohl im Verfahren bestätigen. Dann bliebe nur noch "Ungehorsam" als Tatbestand übrig, worauf zwei Jahre Haft als Höchststrafe stehen, die stets zur Bewährung ausgesetzt werden. Viel Rauch um Nichts.
Dass das Verfassungsgericht bei Anträgen der Regierung meist in Stunden oder wenigen Tagen entscheidet, im Fall der Inhaftierten die Behandlung ihrer Beschwerden aber seit mehr als einem Jahr verzögert, wobei über Untersuchungshaft in 30 Tagen zu entscheiden ist, spricht auch nicht für eine unabhängige faire Justiz.
Dass mit Richter Manuel Marchena der Kammer, die über die Katalanen richtet, ein Mann vorsteht, den die Konservativen als einen ihren Leuten bezeichnen, widerspricht dem auch. Er sollte im Gemauschel mit der PSOE sogar zum Präsidenten des Gerichtshofs und des Kontrollrats werden, um "von hinten" zu kontrollieren. Das setzt dem Vorgang die Krone auf. Der ehemalige Polizeichef und PP-Sprecher Ignacio Cosidó posaunte das heraus, womit das scheiterte. Allerdings kontrolliert Marchena jetzt den Prozess gegen die Katalanen von vorne, weil er nicht wegen Befangenheit ausgewechselt wurde.
Die gesammelten Unregelmäßigkeiten in dem Verfahren auch nur aufzuzählen, würde hier den Rahmen sprengen. Über Stunden haben die Verteidiger erfolglos am Dienstag zahllose Punkte aufgezählt und Anträge gestellt. Doch der Wille ist zu groß, die zu hohen Haftstrafen zu verurteilen, denen man habhaft wurde. Doch schon jetzt ist klar, dass es Rebellion nicht sein wird. Die sieben Richter werden abspecken, um ein einstimmiges Urteil wegen Aufruhr zu bekommen.
Dann kann man die letzte Instanz lange hinauszögern, bis der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Unrechtsurteile kassiert. Jahre gehen ins Land. Baskische Politiker hatten ihre Haftstrafen von sechseinhalb Jahren schon abgesessen, bis es in Straßburg kassiert wurde.
"Die Politik hat sich verabschiedet"
Klar ist, dass in Katalonien vielen die Hutschnur reißen wird, weshalb sich in dem sehr hörenswerten Interview (auf Deutsch) der helvetisch-spanische Professor Manuel Cancio große Sorgen um den Bestand Spaniens macht. Cancio gehört zu den 120 Experten, die von einem Irrtum und einer Banalisierung schwerer Straftaten in dem Prozess sprechen und sehr detailliert, differenziert und kenntnisreich über 26 Minuten argumentiert.
Richtig stellt auch der Politikwissenschaftler Peter Kraus in fest, dass sich "die Politik verabschiedet hat". Das gilt zuallererst für Spanien, wo Gerichten Entscheidungen überlassen werden, "die eigentlich auf politischem Weg hätten getroffen werden müssen". Er stellt fest, dass es Konflikte sind, die "keine rechtlichen Konflikte sind", die man auf juristischen Weg auch nicht lösen kann, weil sie tiefer greifen. Er fügt auch an, dass von den Katalanen keine Gewalt ausging sie im Gegenteil "ja zum Teil zusammengeprügelt wurden von spanischen Polizisten".
Er hält die Fronten für verhärtet und eine Lösung für "sehr schwierig". Doch auch er setzt allein auf Dialog. Es wäre "sinnvoll gewesen, wenn es von Anfang an schon im Oktober 2017 von außen her den Versuch einer Vermittlung gegeben hätte - weil das dann die innenpolitische Spannung einfach ein Stück weit rausnimmt".
Und damit kritisiert er die EU für den "schweren Fehler", die das nicht einmal hinter verschlossenen Türen angestoßen hat. "Für diesen wird jetzt die EU selber mittelfristig auch noch einen hohen Preis zahlen, wenn die Lage in Katalonien so instabil bleibt, wie es momentan aussieht."
Man kann es wie der türkische Journalist Can Dündar auch noch etwas klarer formulieren. "Ich weiß nicht, ob Europa an einem Referendum über die katalanische Unabhängigkeit zerbrechen kann. Doch es wird zerbrechen, wenn es Rechte missachtet."