Katalonien: Hunderttausende Menschen standen topfschlagend auf ihren Balkonen
- Katalonien: Hunderttausende Menschen standen topfschlagend auf ihren Balkonen
- Die Lage in Katalonien spitzt sich weiter zu
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Der katalanische Gewerkschaftsverband CSC will mit einem Generalstreik auf die Inhaftierungen durch Spanien, geplante Parteiverbote und die deregulierten Arbeitsmarktgesetze reagieren
Es gab am späten Freitag einen ohrenbetäubender Lärm in den Straßen Kataloniens, mit dem die Bevölkerung auf die Inhaftierungen von Mitgliedern der katalanischen Regierung durch Spanien am Donnerstag reagierte. Hunderttausende Menschen standen nicht nur topfschlagend auf ihren Balkonen, viele zogen wie schon am Vortag demonstrierend durch die Straßen Barcelonas, Tarragonas oder Gironas, um gegen die Inhaftierung von Vizepräsident Oriol Junqueras und sieben Minister zu protestieren und forderten einen Generalstreik.
Zuvor hatte die Richterin Carmen Lamela am späten Freitag auch die internationalen Haftbefehle für den katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont und vier weitere Minister erlassen. Die halten sich in Belgien auf (Europäischer Haftbefehl für Puigdemont und vier Ex-Minister) und Spanien will nun ihre Auslieferung erzwingen. Es hat deutlich länger gedauert, bis schriftliche Anträge zur Auslieferung vorlagen. Nach Angaben von Puigdemonts belgischem Anwalt Paul Bekaert wurden die Haftbefehle schon erlassen. Er kündigte an, sein Mandant werde in Belgien bleiben und mit den Behörden zusammenarbeiten.
Dass die Hardlinerin Lamela die schriftlichen Haftbefehle erst nach einem langen Arbeitstag vorlegen konnte, hängt nach Ansicht von Kennern mit der Tatsache zusammen, dass sich Lamela massiv vergaloppiert hat. Denn sie hatte die Minister am Donnerstag vor allem wegen "Rebellion und Aufruhr" inhaftieren lassen, worauf bis zu 30 Jahre Haft drohen. Dass sie angeblich Gelder in Höhe von 6,2 Millionen Euro veruntreut haben, ist auch absurd. Schließlich wurde das Geld nicht in die eigenen Taschen gesteckt, wie man es von der regierenden spanischen Volkspartei (PP) gewohnt ist (Spanischer Regierungschef vor Gericht), sondern es wurde für ein Referendum benutzt, für die die entsprechenden Gesetze im katalanischen Parlament verabschiedet wurden.
Auch ob die Vorwürfe der Rechtsbeugung und Ungehorsam der Prüfung einer unabhängigen Justiz standhalten, darf bezweifelt werden, denn es ist allseits bekannt, dass es mit der Gewaltenteilung in Spanien nicht sonderlich weit her ist, wie auch Korruptionsbekämpfer immer wieder kritisieren.
Die Anklagepunkte gegen die katalanische Regierung greifen nicht
Aber vor allem die Straftatbestände Aufruhr und Rebellion stellen für die Auslieferung aus Belgien ein besonderes großes Problem dar. Sogar spanische Juristen sind sich weitgehend einig, dass der Vorwurf von Aufruhr und Rebellion nicht greifen kann, da es dazu eine "öffentliche und gewaltsame Erhebung" wie beim Putsch 1936 oder beim "Putschversuch" 1981 braucht. Der Mann, der den Artikel zu Rebellion verfasst hat, der 1995 ins Strafgesetzbuch aufgenommen wurde, hält die Anwendung auf die Mitglieder der katalanischen Regierung für unmöglich. Diego López Garrido hatte jedenfalls bei der Ausarbeitung solche Vorgänge wie 1981 im Blick, als die paramilitärische Guardia Civil das Parlament bewaffnet gestürmt hatte, und nicht friedliche Demonstrationen.
Als Gewalt kann auch nicht angeführt werden, dass fünf Jeeps der Guardia Civil zu Bruch gingen, als Menschen bei Festnahmen von Beamten (auch schon wegen angeblichem Aufruhr) auf die Wagen stiegen, die vor dem Wirtschaftsministerium geparkt waren. Gewalt ist juristisch als Angriffe auf Menschen in Spanien definiert, also könnte man es als Rebellion werten, dass die Guardia Civil in einer "gut geplanten militärähnlichen Operation" mit Gewalt gegen friedliche Bürger am Referendumstag vorgegangen ist.
Doch der Generalstaatsanwalt der spanischen Regierung hatte die Inhaftierung von Puigdemont seit langem gefordert und wurde von Richtervereinigungen kritisiert. Die "Richter für die Demokratie" sahen "Grundrechte gefährdet". Der Sprecher Ignacio González Vega meinte, der von Regierungschef Rajoy eingesetzte José Manuel Maza "heizt die Lage nur weiter an" und nehme eine "klar aggressive" Rolle ein. Dass solche Vorwürfe von einem Staatsanwalt kommen, der erstmals vom Parlament mehrheitlich gerügt wurde, weil er Korruptionsermittlungen gegen Mitglieder von Rajoys PP behindert hat, spricht auch eine klare Sprache.
Lamela hat die Verteidigerrechte der Beschuldigten wenig rechtsstaatlich ausgehebelt, weil die Beschuldigten nur mit einer Frist von nicht einmal 24 Stunden vorgeladen wurden. Überdies gehören die Tatbestände Aufruhr und Rebellion nicht zur Liste der Vergehen, bei denen im Fall eines europäischen Haftbefehls überhaupt nicht inhaltlich geprüft werden darf. Lamela hat mit ihren von der Regierung übernommenen Vorwürfen der belgischen Justiz die Möglichkeit zur inhaltlichen Prüfung gegeben. Die belgischen Richter können die Auslieferung sogar komplett ablehnen, wenn sie die Vorwürfe als politisch motiviert sehen, wofür es etliche Hinweise gibt. So hat Lamela die Einzelfälle praktisch nicht geprüft, sondern sie ließ die Politiker kollektiv inhaftieren, was auch auf einen politischen Hintergrund hinweist.
Die Begründungen dafür, dass keine Haftverschonung gewährt wurde, sind entweder wenig stichhaltig oder schlicht absurd. Wie kann mit Fluchtgefahr argumentiert werden, wenn die Inhaftierten trotz der kurzen Frist zur Vernehmung in Madrid angetreten sind. Zwei sind sogar extra aus Brüssel - also dem Ausland - angereist, waren nach der Lesart Lamelas mit Puigdemont "geflohen". Wiederholungsgefahr kann Lamela auch nicht ernsthaft anführen, schließlich hat die spanische Regierung die katalanische Regierung nach Paragraph 155 aufgelöst und die Minister entmachtet. Wie sollen die also ihre Delikte wiederholen? Es wird vielmehr deutlich, dass man acht Minister als eine Art Geiseln nehmen ließ und dafür die Ausreise von Puigdemont und vier anderen Minister zur Begründung anführt (bevor eine Vorladung oder Anklage vorgelegen hat).