Gescheite Plaudereien rund um den "neuen Menschen"

Wie die literarische Klasse sich den Life Sciences nähert und den Verlust ihrer Meinungsführerschaft in den Feuilletons verarbeitet

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Die Auf- und/oder Erregung der literarischen Klasse und ihrer Meinungsführer in den Massenmedien ist groß. Und zwar nicht bloß, seitdem die Lautsprecher des alarmistischen Teils der kritischen Öffentlichkeit in der schwülstigen Rede eines hochmobilen Modephilosophen über die Zukunft des Menschen und des Humanismus den Skandal der "Menschenzüchtung" oder der gezüchteten Gesellschaft entdeckt haben wollten. Sondern vor allem, seitdem der Mitherausgeber und Chef des Feuilletons der FAZ, Frank Schirrmacher, im Feuilleton dieser Zeitung seiner bürgerlichen Kundschaft auf sechs langen Seiten den biologischen Klartext des Lebens präsentiert hat, eine Serie schier endloser und gleichfalls unlesbarer A-C-G-T Anagramme, welche die vier Basen der DNS, die letzte Sequenz des menschlichen Genoms ausdrücken.

Zu diesem Eindruck und Schluss musste kommen, wer den Gesprächsrunden lauschte, die das Literaturhaus München mit der Bertelsmann Buch AG unter dem ebenso neumodischen wie aufmerksamkeitsheischenden Thema: "Der neue Mensch" im Loft des prächtig gestalteten Hauses über den Dächern der Münchner Innenstadt organisiert hatte.

Die Idee, Poeten und Essayisten des literarischen Genres mit Bio- und Kulturwissenschaftlern an einen Tisch zu bringen und die vertrackten Fragen der Humangenetik und des "Menschenmachens" in diesem Kreis mal aus der Sicht der Literaten zu erörtern, schien interessant. Auf den ersten Blick jedenfalls. Zumal es bekanntlich Literaten waren, die im 19. Jahrhundert erstmals das Golem-Thema in der Öffentlichkeit platziert und das Unheimliche, Fantastische und Faszinierende an dieser Figur einem breiterem Publikum präsentiert hatten.

Über "Gene und Klone", "Gene als Metapher" und "künstliche Lebewesen" wollte man sprechen, über "Unsterblichkeitsmythen", "die Kommerzialisierung" von Patenten und "die Freiheit des Individuums" räsonieren und sich kritisch austauschen. Kurzum die ganze Palette der Fragen und Probleme, die Gen- und Biowissenschaften aufwerfen, wollte man in München ab- und verhandeln, die auf den Prints und Screens derzeit herumgeistern, austesten, welchen Beitrag das Schöngeistige zur Ausbuchstabierung des menschlichen Erbguts und seiner beginnenden Vermessung leisten oder welche Einspruchsmöglichkeiten die Kulturwissenschaften zum Genomprojekt formulieren könnten. Und das im lebendigen Gespräch, von Angesicht zu Angesicht.

Leider gelang dieser gutgemeinte Versuch, eine Brücke zwischen den verschiedenen Diskursgenres zu bauen, nur halbwegs. Das hatte hauptsächlich wohl zwei Gründe: Es lag zum einen vielleicht daran, dass die Veranstalter es versäumt hatten, auch glühende Propagandisten der Maschinen- und Biowissenschaften zu laden, die dem Ansinnen der Life Sciences, das Aufklärungsprogramm der Moderne durch die Modellierung perfekterer Körper, die Beseitigung von Leid, Schmerz und Krankheiten, die Behebung natürlicher Defizite des Menschen, das Aufdauerstellen von Jugendlichkeit und Gesundheit und die Entwicklung genmanipulierter Nahrungsmittel, die helfen, den Hunger in der Welt zu beseitigen, fortzuführen, offen und positiv gegenüberstehen und es offensiv in den verschiedenen Öffentlichkeiten vertreten.

Weil wieder mal nur jene Mahner, Warner und Bedenkenträger dort herumhockten, die schon seit Jahren als "Wanderprediger" (so die Selbstbeschreibung des Molekularbiologen Jens Reich) durch die Republik eilen und auf Befehl ihre sattsam bekannten skeptischen bis ablehnenden Stellungnahmen zu den Gen-, Wissens- und Biotechnologien abrufen, war abzusehen, dass eine breite Ablehnungsfront gegenüber den Lebenswissenschaften den heimlichen Konsens unter den Teilnehmern und ihrem Publikum bilden würde.

Dass diese Kassandra-Rolle den kritischen "Helden" des postbiologischen Zeitalters keineswegs behagte, bewies die Lustlosigkeit, mit der Ernst Pöppel, Olaf Breidbach, Boris Groys und Jens Reich auf die allerorten grassierenden und bis zum Überdruss gestellten Fragen, ob Computer wirklich denken und ihnen folglich ein Bewusstsein zugesprochen werden könne oder ob sich in naher Zukunft "spirituelle Maschinen" konstruieren ließen, die ihren menschlichen Schöpfern in punkto Intelligenz weit überlegen sein würden, reagierten. So war es alles andere als verwunderlich, dass sie, nachdem sie ihren Part auf dem Podium absolviert hatten, die Beiträge der Poeten erst gar nicht abwarteten, sondern den Tagungsort fluchtartig verließen, um sich den Annehmlichkeiten des Hotels, des Zuhauses oder des Münchner Nachtlebens hinzugeben.

Die Geburt der Informations- und Maschinentheorie aus dem Geist der Eugenik, Genetik und statistischen Häufigkeitsverteilung

Ein Streit, der mehr Leben in die Bude gebracht, den vorherrschenden Konsens aufgebrochen und Paradoxien und Ungereimtheiten in den einzelnen Argumentationen und Selbstgewissheiten der Bio- wie Kulturwissenschaften aufgedeckt hätte, war daher ausgeschlossen. Und wer auf die Aufhebung von Stereotypen über die Perfektionierung menschlicher Körper gehofft hatte, welche die Meldungen über die Gentechnologie begleiten, oder wer gar auf Neuigkeiten gesetzt hatte, die den Diskurs auf eine qualitativ neue Stufe gehievt hätten, beispielsweise ein Antwort auf die Kardinalfrage, warum der bewusste und gezielte Eingriff von Menschen in das Erbgut moralisch verwerflicher, sozial gefährlicher und biologisch risikoreicher sein sollte als das "Wissen", das die Natur beim Ausmendeln der verschiedenen Lebensformen verwendet, musste enttäuscht den Heimweg antreten.

Immerhin gelang es Jens Reich, in Ansätzen die Richtung vorzugeben, in die das Streiten um das Herumbasteln am Genom, das Klonen von Idealtypen oder die "Verschönerung" der Evolution erweitert oder fortgeführt werden müsste. Nämlich hauptsächlich und zunächst durch Rückgang auf die Geburt der Informations- und Maschinentheorie aus dem Geist der Eugenik, Genetik und statistischen Häufigkeitsverteilung, wie die Dissertation Claude E. Shannons eindringlich zeigt; sodann auf den engen Zusammenhang, der zwischen den Methoden, Verfahren und Zugangsweisen der Genomforscher und den technischen Normen und Standards von Computergrogrammen besteht; und schließlich auf die Ähnlichkeit in den Praktiken, den sowohl die User im Umgang mit Maschinenrechnern pflegen als auch die Biotechnologen künftig bei der Sequenzierung, Lesbarmachung und Modellierung des menschlichen Genoms haben werden, wenn sie Texte oder Programmzeilen markieren oder ausschneiden, kopieren oder einfügen, umformatieren oder löschen.

Ohne die evolutionären Errungenschaften der Mikroelektronik wären die Quellcodes des Lebens nicht gefunden, die aufgeheizten Diskussionen, die sich um die Möglichkeiten der Umstrukturierung oder Umprogrammierung des Genoms entzünden, gar nicht entstanden und die Wiederaufnahme und Fortsetzung der liegengelassenen Programme der Eugenik, der Vererbungslehre und der biopolitischen Träume von einer Verbesserung des Menschengeschlechts kaum möglich gewesen. Und immerhin schaffte es der ehemalige Bürgerrechtler, in einem gleichfalls wunden Punkt in der Diskussion zu rühren. Die Entzifferung des Alphabets des Lebens, die Selektion krankmachender Gene (Alzheimer, Huntington ...) und die vorsorglichen Eingriffe in die Entwicklung des Embryos werden nicht nur Institutionen, Organisationen und Unternehmen veranlassen, neue Vertrags- und Rechtsverhältnisse anzuschreiben, die Möglichkeit, Geschlecht, Aussehen und Intelligenz durch die gezielte Mischung und Vermengung bestimmter Gene zu toppen, wird die Beteiligten künftig unter erhöhten Entscheidungsdruck stellen.

Was vormals allein den Schicksalmächten der Natur vorbehalten war, sich des Zugriffs und der Intervention des einzelnen entzog, fällt in Bälde in den Zuständigkeitsbereich und die Selbstverantwortung von Individuen, Eltern oder Familien. Mehr als bisher müssen aus Entscheidungen weitere Entscheidungen selegiert werden, und das trotz oder gerade wegen der Launen- und Wechselhaftigkeit von Moden, Stilen und Trends (Meme), die sich im Laufe entwicklungsbedingter Reifungsprozesse häufig oder mehrmals in die eine oder andere Richtung ändern können. Und wer sich vor diesen Entscheidungszwängen drücken wird, sie den Zufälligkeiten der natürlichen Evolution überlässt, läuft später unter Umständen Gefahr, von seinen Nachkömmlingen auf Unterlassung und Schadenersatz verklagt zu werden.

Von daher war es sicherlich wohltuend, dass der Molekularbiologe weder in den Chor der Horrorszenarien gutmeinender Publizisten einstimmen noch jenen gentechnischen Determinismus teilen wollte, den sowohl die Positionen von Habermas mit seiner Warnung vor einer gentechnisch hochgerüsteten Sklavenhaltergesellschaft (Dolly und die Wissenschaft in der Aufmerksamkeitsökonomie, Der moralische Widerstand gegen das Klonen - Hoffnung auf Unverantwortlichkeit?) kennzeichnet, als auch den von Sloterdijk in dessen berüchtigter Menschenpark-Rede geborenen Entwurf einer Philosophenelite, die streng über die Auswahl von Genen und die Zucht kluger Menschen befindet.

Mehr staunend als hilflos blickt man auf das, was in den Labors geschieht

Zum Zweiten lag das Scheitern des Brückenbaus auch gewiss daran, dass die Literaten und Publizisten zwar die Debatten und Diskussionen in der FAZ und die auf diesen Zug aufgesprungenen Medien eifrig und ausgiebig studiert hatten, zu einem eigenständigen Beitrag über die Fragen von Gentherapien und Patenten, Klonen von Menschen und Manipulationen am Erbgut aber nicht in der Lage waren. Zu nachhaltig beeindruckt und überrascht scheint man noch über die Zeitenwende, die einige Literaten offenbar nackt und unvorbereitet erfasst hat. Mehr staunend als hilflos blickt man auf das, was in den Labors geschieht und jetzt die Aufmerksamkeit der Oberflächen bürgerlicher Medien gefunden hat.

Um nicht ganz den Boden unter den Füßen zu verlieren, flüchtet man sich daher erst mal in Prothesen. Man erklärt die Popularisierungswelle, die den Life Sciences oder überhaupt den hard sciences gegenwärtig entgegenschlägt, mit dem Bemühen der Forscher, Risikokapital für weitere Forschungen zu akquirieren, ohne in Rechnung zu stellen, dass es vielleicht sogar ein berechtigtes, und nicht nur kommerzielles Interesse an einer Verbesserung der Lebenslagen von Menschen und Völkern gibt. Wie anders könnte sonst die breite Zustimmung, die den Genetikern vor allem von Seiten des jüngeren Publikums entgegenschlägt, gewertet werden, wenn nicht positive Machteffekte (Michel Foucault) das Denken und den Diskurs der Gen- und Biowissenschaften unterfütterten. Oder man sucht erneut Zuflucht beim neomarxistisches Gedankengut, demzufolge sich die Aneignungsmetapher, die der räuberische Kapitalismus inzwischen zur Perfektion gebracht hat, nun auch auf die biologische Zelle ausdehnt.

Was man den Kulturwissenschaftlern aber anmerkte, war ihr Streben, den Verlust ihres kulturellen Hegemonieanspruch, den sie einige Jahrzehnte lang innegehabt hatten, dadurch zu kompensieren, dass sie zumindest in die Lage kommen, Richtung und Inhalt der postbiologischen Revolution reflektierend zu begleiten und deuterisch mitzugestalten. Favorisierte beispielsweise die Berliner Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun die Wissenschaftsgeschichte, um die Frage nach der Einbettung der hard sciences in historische, epistemologische und paradigmatischen Gegebenheiten von dort aus zu klären, konterte die Essayistin Claudia Schmölders dieses Ansinnen mit dem Hinweis, dass die Biowissenschaften sich für die Texte und Definitionsmacht der Humanities überhaupt nicht interessierten, sondern ihre eigene Sprachspiele pflegten.

Ohne auch die naheliegende Frage zu stellen, ob das Nichtverstehen nicht vielleicht auch für die "Geisteswissenschaften" gelten müsste, verwies ein anderer Teil der humanistischen Fraktion auf die ihrer Meinung nach ungenügende Ausdeutung des Begriffs des Lesens, den die Genomforscher bei der Entzifferung des Lebens verwenden. Dieser Einwand sticht aber nur dann, wenn der genetische Code wie ein Text behandelt werden kann, ihm also mit der Schriftmetapher begegnet und eine prinzipielle Unabgeschlossenheit untergejubelt werden kann. Dieser ist bekanntlich, wie es systemkonstruktivistische oder dekonstruktive Lesarten empfehlen, mehr durch kommunikative Anschlüsse und das Fehlen irgendwelcher Haltepunkten geprägt als durch die heimliche Anwesenheit von Sachen oder Substanzen.

Sind DNS-Ketten wirklich Texte?

Wo Menschen die Buchstabenfolgen interpretieren, bewegt man sich immer schon im Horizont von Glaubensfragen, Werturteilen und Machtinteressen. Berechtigt ist und unhintergehbar wird dieses Argument aber nur, wenn dieser Code tatsächlich ausschließlich durch Semantiken, also durch das Hinzutreten eines sinnproduzierenden "menschlichen" Rezipienten, seine Auslegung und Zuweisung erhält. Die Frage ist aber, ob sich die drei Milliarden DNS-Basen mit Adenin, Guanin, Thymin und Cytosin, die inzwischen auf 24 Bändern gespeichert worden sind, Posthermeneutiken überhaupt mitteilen. Starke Zweifel daran sind angebracht.

Strittig ist nämlich, ob es sich bei den DNS-Ketten überhaupt um Texte handelt und nicht vielmehr um biochemische Kryptographien, um Informationen also, die bestenfalls in Abhängigkeit von Computerrechnern und ihren Programmen generiert und ausgemendelt werden können und sich von den Selektionsweisen, die Darwin und andere der Evolution zugewiesen haben, strikt unterscheiden; und strittig ist auch, ob es wirklich ausschließlich auf historische Semantiken und soziale Anschlusskommunikation ankommt, oder ob es sich bei den Buchstabenkolonnen, die das Genom enthält, nicht eher wie bei Maschinencodes um befehlsförmige Information handelt, in die bereits eine Unzahl kulturellen Erbes und Wissens eingeflossen ist, welche die Richtung, das Ziel und die Sinnproduktion vorab festlegen.

Die komplexen Verhaltens- und Körpereigenschaften, die sich in Milliarden von Jahren herausgebildet haben, könnten dann nämlich weder durch vorgegebenes Design (soziale Wünschbarkeiten, individuelle Sehnsüchte und gesellschaftliche Erlösungszwänge) noch durch ausgefeilte "Anthropotechnik" so ohne weiteres umprogrammiert werden. Durch das Updaten und Tunen von Körpern, Personen und Eigenschaften entstünden dann gerade keine besseren und vollkommeneren Menschen, sondern allenfalls Pfusch.

Deshalb wäre es gewiss anregend gewesen zu hören, wie die Sprachkünstler auf diese unlesbaren Codes reagieren und sie sprachlich verarbeiten. Was sie aber dazu sagten oder vortrugen, war mehr als dürftig. Es reichte gerade mal zum Epigonentum, zum Kopieren, Umschreiben oder Neuschreiben amerikanischer Glamoramas, romanistischer Houellebecqs oder biblischer Schöpfungsfantasien. Diese Textsorten und Textgattungen sind es, die offenbar den Zukunftshorizont der literarischen Klasse derzeit bilden, die Hinwendung zu Pop, Lifestyle und Ironisierung von Markennamen, die Mischung aus Netzkultur, hartem Sex und Männlichkeitsritualen, und die Nachahmung, Aus- und Neugestaltung religiöser Apokalyptiken und Eschatologien.

Wer hat die Hoheit über die Stammtische der Feuilletons?

Weit interessanter waren deshalb auch weniger die literarischen Kommentare zum "neuen Menschen" als vielmehr jener verborgene Diskurs, der die meiste Zeit ungesagt zwischen den einzelnen Beiträgen flottierte und ein schräges Licht auf die augenblicklichen Befindlichkeiten der literarischen Klasse warf. Und die schien sich mehrheitlich unter der Tarnkappe "Besorgnis" zu verstecken, weil sie allmählich die Definitionsmacht und Kulturhoheit über die Stammtische der Feuilletons verliert.

Nicht, dass man sich auf Seiten der literarischen Klasse über die Tatsache erboste, dass Theaterbühnen und Kunstausstellungen sich nunmehr verstärkt für Homunkuli und transgene Lebewesen, Bioplastik und geklonte Körper interessieren und diese neuen Hybriden der Informationsgesellschaft ästhetisch und spielerisch verbraten; dass plötzlich Tagungen, Gesprächskreise und Magazine aus dem Boden schießen, die sich über die sozialen und gesellschaftlichen Folgen von Robotik und Nanotechnik, Mikroelektronik und genmanipulierten Nahrungsmitteln vergewissern; oder dass Bücher über Soziobiologie, egoistische Gene und die Wunder der Evolution, deren Besprechung die Verantwortlichen in den Redaktionen noch vor Jahren ablehnten und infolgedessen in den Buchhandlungen vor sich hin gammelten, durch TV-Magazine, Radiofeatures und Sammelrezensionen in den Medien popularisiert werden. Im Gegenteil: Die Aktualität, Dringlichkeit und gesellschaftspolitische Relevanz der Life Sciences wird überhaupt nicht bestritten. Mit wachsendem Interesse und "unfroher Faszination" nehmen die Literarten daran teil. Im Schnelldurchlauf eignen sie sich naturwissenschaftliches Wissen an, um mal mit Staunen und Verwunderung, mal mit Entsetzen und Ratlosigkeit das, was sich da hinter ihrem Rücken, in den Laboratorien ereignet und in die Welt hinausgetragen wird, zu beobachten und zu kommentieren.

Was sie dagegen beunruhigt ist die Beobachtung, dass durch die Neuerfindung des Feuilletons, die der Trendsetter Schirrmacher mit seinem Mediencoup ausgelöst hat, ein neuer Verdrängungswettbewerb auf einem Terrain stattfindet, das bislang dem Schöngeistigen und der nachhaltigen politischen Reflexion vorbehalten war. Was derzeit für die Showbranche gilt, dass dort nämlich über Nacht Alltagsmenschen aus Castrop-Rauxel, Rosenheim oder anderswo plötzlich die Frontpages der bunten Hochglanzmagazine erobern und dort den Platzhirschen des Boulevards den Platz streitig machen, gilt inzwischen auch für die grauen Seiten des gehobenen Feuilletons. Bislang führte naturwissenschaftliches Wissen nur ein Schattendasein, in Nischen dämmerte es vor sich hin, fristete es in Zeitungsbeilagen oder auf Extraseiten ein kümmerliches Dasein. Plötzlich beanspruchen und besetzen aber die Propheten und Lautsprecher des Gen- und Biozeitalters mit ihren Manifesten und Kommentaren diesen Platz und füllen die Seiten des gehobenen Feuilletons. Seitdem fürchten die Edelfedern der ästhetischen Kritik, des reflektierten Kommentars oder des feinsinnigen Urteils von diesen Konkurrenten an den Rand gedrängt zu werden.

Diese Sorgen sind aber unbegründet. Zum einen sind Selektionsmechanismen und Platzverschiebungen beileibe nichts Neues für das Feuilleton. Ende der 60er Jahre, im Zuge der jugendliche Revolte, hielt beispielsweise das Politische dort Einzug. Das Schöngeistige, das sich auf Oper, Schauspiel und Literatur versteifte, sah sich über Nacht mit soziologischen und politischen Analysen konfrontiert. Und als in den 70er Jahren gar Rock, Pop und Jazz auf massenkulturelles Interesse stießen, mussten sich die Kulturpäpste in den 80er Jahren den Platz auch mit diesen massen- oder subkulturellen Emporkömmlingen teilen.

Andererseits haben sich im Laufe der Jahrzehnte eine Unzahl neuer Medienformen und Öffentlichkeiten entwickelt, die hinreichend Raum für gescheite Analyse und pointierte Kommentare bieten. Wer die Seiten der Zeitungen aufschlägt oder den Programmen des Fernsehens folgt, hat keinesfalls den Eindruck, dass Silikonsoziologien und Biochips, Schaltpläne oder Blaupausen kybernetischer Maschinen das Lamentieren über die Ökosteuer, das Befehden des Begriffs "deutscher Leitkultur" - darunter hörte und verstand ich zunächst immer nur "Leidkultur", was den Befindlichkeiten Nachkriegsdeutschlands besser entsprechen würde - oder die Eruierung der Ursachen brauner Gewalt von den medialen Oberflächen verdrängen. Das Wehklagen der Literaten kann sich allenfalls auf das FAZ-Feuilleton beziehen. Dies hat aber inzwischen einen Umfang erreicht, der auch den Dichtern und Essayisten, die in München zugegen waren, genügend Raum lässt, ihr Ungemach und Leiden an der Welt hinauszuschreien.