Geschichtliche Spiralen: Der Vierte Kreuzzug und Parallelen zum Ukraine-Krieg
Historische Echos des Konfliktes West- gegen Ostrom: Wie die Kreuzzüge des Mittelalters die geopolitischen Spannungen von heute vorwegnehmen
Der Vierte Kreuzzug war ein lateinisch-christlicher Kriegszug, der 1198 von Papst Innozenz III. ausgerufen wurde. Erklärtes Ziel des Unternehmens war die Rückeroberung der von den Muslimen kontrollierten Stadt Jerusalem über Alexandria.
Er endete jedoch am 13. April 1204 nicht in Ägypten, sondern mit der Plünderung Konstantinopels, der Hauptstadt des von griechischen Christen kontrollierten Byzantinischen Reiches, durch das Kreuzfahrerheer.
Damit zerstörten sie das Byzantinische Reich, das seit der Spätantike die christliche Vormacht im östlichen Mittelmeerraum gewesen war. Unter Historikern gilt dieser Kreuzzug bis heute als die große, katastrophale Perversion des Kreuzzugsgedankens.
Erst im Jahr 2001 bat der damalige Papst Johannes Paul II bei einem Besuch in Athen offiziell um Vergebung für die im Namen der katholischen Kirche während dieses Kreuzzuges begangenen Verbrechen.
Er übergab am 27. November 2004 die Reliquien der beiden großen Kirchenväter des Ostens, Johannes Chrysostomos und Gregor von Nazianz, an den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I.
Das Geld der Feinde für die Finanzierung des Kreuzzuges
Da den Kreuzfahrern der Landweg nach Jerusalem aufgrund der Feindschaft mit dem Byzantinischen Reich versperrt war, benötigten sie eine Flotte. Diese konnte damals nur eine Seemacht wie Venedig stellen.
200 Schiffe, so kalkulierten die Kaufleute, wären nötig, um die gesamte Streitmacht aus Rittern, Knappen und Pferden zu transportieren. Dazu kam die Verpflegung für ein Jahr. Das machte insgesamt 85.000 Mark Silber. Für diesen Preis bauten die Venezianer die nötige Flotte.
Die Kreuzfahrer akzeptierten den Preis, ohne zu rechnen. Rechnen war offenbar unter der Würde eines Ritters. Und so übersah man, dass man gar nicht in der Lage war, die benötigten rund zwanzig Tonnen Silber zu bezahlen. Die Venezianer bestanden auf Bezahlung vor der Abfahrt. Und weil die Kreuzfahrer nicht genug Geld hatten, saßen sie in Venedig fest.
Schon um die Schulden zu begleichen, sahen sich die edlen Kreuzritter gezwungen, im Auftrag Venedigs die christliche Stadt Zara zu erobern. Damit war aber der eigentliche Kreuzzug noch nicht finanziert.
Da fand Philipp von Schwaben mit seinem Schwager Alexios, einem Sohn des gerade abgesetzten byzantinischen Kaisers, eine Lösung. Sollten die Kreuzfahrer den Kaiser wieder einsetzen, würde die byzantinische Staatskasse alle Kosten des Kreuzzugs übernehmen.
Das Ziel des Kreuzzuges war also nicht mehr Jerusalem, sondern Konstantinopel. Leider hatte kein byzantinischer Kaiser genug Gold, um die Forderungen der Kreuzfahrer zu erfüllen. Diese machten im Februar 1204 kurzen Prozess und plünderten Konstantinopel.
Echos der Geschichte
Während die europäische Geschichte in China in einer Tiefe bekannt ist, die hierzulande oft Erstaunen hervorruft, wird ihr in Europa meist weniger Bedeutung beigemessen.
Kaum ein Venedig-Tourist weiß heute noch, dass der Reichtum Venedigs nicht nur dem Handel der Stadt, sondern zu einem erheblichen Teil auch den von ihr finanzierten Raubzügen zu verdanken ist.
Der Konflikt zwischen West- und Ostrom spiegelt sich bis heute in der Zeitgeschichte wider. Die Orthodoxie fand nach dem Verlust von Byzanz ihre neue Heimat im Russischen Reich und lebt bis heute und nach dem Ende der Sowjetunion erfolgreicher denn je als führende religiöse Macht im Westen Russlands.
Wie Byzanz verlor auch Westrom im Laufe der Jahrhunderte an politischem Einfluss, wie aktuell der kritisch aufgenommene Aufruf von Papst Franziskus zum Ukraine-Konflikt zeigt.
In der Rolle Westroms haben sich inzwischen die erzkonservativen evangelikalen Christen etabliert, die etwa ein Viertel der US-Bürger hinter sich versammeln können.
Ihr bibeltreuer Glaube trotzt an vielen Stellen jeder Realität, ist extrem wissenschaftskritisch und nimmt die Bibel fundamentalistisch beim Wort, ohne zu berücksichtigen, dass die mehrfache Übersetzung der ursprünglich nur mündlich überlieferten Heiligen Schrift zu erheblichen inhaltlichen Verschiebungen geführt hat.
Die Wurzeln der evangelikalen Strömungen liegen im Pietismus des 17. und 18. Jahrhunderts und in den Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts. Viele ihrer Anhänger konnten sich damals in Europa nicht halten und wanderten über den Atlantik nach Westen.
Wie der Kampf gegen das Böse zum Lebensinhalt wurde
Aktuell zeigen sich Auswirkungen der endzeitlich-evangelikalen Bewegungen und ihrer Vorstellungswelten auch im Konflikt mit dem russischen Präsidenten, der als Inkarnation alles Bösen gilt, ebenso wie auch im Kampf der israelischen Regierung gegen die Palästinenser, die der Einfachheit halber mit der Hamas gleichgesetzt werden.
Dass für beide Konflikte keine Lösung in Sicht ist, könnte man mit religiös befeuerten irrationalen Unterströmungen in Verbindung bringen: mit der Endzeiterwartung. Wer den Krieg in der Ukraine und das Coronavirus als Beginn des Weltuntergangs, der Wiederkunft Christi und des unmittelbar bevorstehenden Jüngsten Gerichts sieht, braucht keine Lösungen in dieser Welt, sondern kann als Guter auf Erlösung hoffen.