Gesetzlich anerkanntes uneindeutiges Geschlecht

Seit 1. November müssen Menschen rechtlich nicht mehr Frauen oder Männer sein, manche können im Geburtsregister auch keinen Eintrag haben, aber die Regelung der schwarz-gelben Koalition wird nicht viel ändern

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Natur ist nicht so eindeutig, wie die Menschen es gerne hätten. Die teilen gerne alles in Ja und Nein, Schwarz und Weiß, Gut oder Böse, Frau oder Mann, um sich zu orientieren und die Dinge zu normieren. Obgleich es immer schon Hermaphroditen oder Intersexuelle gegeben hat, die männliche und weibliche Geschlechtsmerkmale besitzen, galt bislang, dass Kinder kurz nach Geburt für das Geburtsregister einem Geschlecht zugeordnet werden mussten. Jährlich werden in Deutschland zwischen 150 bis 340 Kinder pro Jahr geboren, deren biologisches Geschlecht nicht eindeutig ist.

Die Folge war oft, dass Eltern und Ärzte dazu neigten, das Geschlecht der intersexuellen Kinder chirurgisch zu vereindeutigen, also die so genannten Besonderheiten der geschlechtlichen Entwicklung (DSD - differences of sexs development) zu beseitigen , was mitunter zu großem Leid bei den derart körperlich einem Geschlecht Zugeordneten geführt hat. Anfang 2012 hatte der Ethikrat vorgeschlagen, ein drittes unbestimmtes Geschlecht für Zwitter oder andere zwischengeschlechtliche bzw. intersexuelle Menschen einzuführen. Das Gutachten hatte er im Auftrag der Bundesregierung erstellt, die aber nur deswegen aktiv wurde, weil der UN-Ausschuss zur Überwachung des internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) zur Beseitigung von Diskriminierungen von intersexuellen Menschen aufgefordert hatte (Anerkennung eines dritten oder unbestimmten Geschlechts).

Die Bundesregierung wollte tunlichst vermeiden, ein neues, drittes oder einfach anderes Geschlecht einzuführen, aber sie wollte auch daran festhalten, dass eigentlich binär ein Geschlecht zugeordnet werden muss, schließlich wäre es auch möglich, in der Geburtsurkunde und in Ausweisen auf die Angabe zur Geschlechtsidentität zu verzichten. Im Personenstandsrecht wurde daher eine Formulierung gewählt, die eine Festlegung vermeidet, aber auch umgeht, überhaupt eine dritte Option anzubieten. Das aber ist bindend. Die Formulierung: "Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen." Während in anderen Ländern bereits die Möglichkeit besteht, dass das Geschlecht weder weiblich noch männlich, sondern X ist, was auch im Pass eingetragen wird, wollte die schwarz-gelbe Koalition letztlich nur für eine möglichst kleine Gruppe von Kindern die Angabe in der Schwebe lassen und auch keine Änderungen im Melde- oder Passrecht vornehmen. Ob daraus gefolgert werden kann, dass Intersexuelle so anerkannt oder "sichtbar" werden, ist doch sehr fraglich. Nach der FAZ erklärte ein Sprecher des Innenministeriums: "Die Neuregelung erschafft keine neue Geschlechtskategorie." Man gehe weiterhin davon aus, dass die Entscheidung für eines der beiden Geschlechter später getroffen werde: "In der gesamten Rechtsordnung, insbesondere im Verfassungs- und Zivilrecht, existieren nur die Geschlechter männlich und weiblich." Und dabei soll es nach dem Bundesinnenministerium offenbar auch bleiben.

Nicht geregelt ist überdies, wer darüber entscheidet, dass ein Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann. Die Geschlechtsangabe soll nur offen bleiben können, "wenn diese nicht zweifelsfrei feststeht". Darüber werden nicht die Eltern entscheiden, sondern die medizinischen Experten. Problematisch ist dies auch deswegen, weil die schwarz-gelbe Koalition dem Ethikrat nicht gefolgt ist, geschlechtszuweisende und -anpassende Operationen oder Hormonbehandlungen an Minderjährigen ohne deren Einwilligung zu verbieten, wie dies auch die Oppositionsparteien gefordert haben. Es wird also weiterhin der Druck auf die Eltern bestehen, chirurgisch eine Geschlechtsvereindeutigung vornehmen zu lassen, weil es ja kein drittes oder weiteres Geschlecht gibt, sondern die Entscheidung zwischen Mann und Frau nur offen gelassen wird.

Die deutsche Vertretung der Internationalen Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen (IVIM) / Organisation Intersex International (OII) geht wohl zu Recht davon aus, dass die Definitionsmacht über das Geschlecht weiterhin bei der Medizin liegt. Es sei, so wird gefürchtet, "extrem unwahrscheinlich, dass Ärzt_innen sich zu einem solchen Attest entscheiden, sofern nicht die Eltern stark darauf dringen. Die Gefahr der Stigmatisierung wäre in der Tat sehr groß. Daher könnte im Gegenteil, die neue Vorschrift (potentielle) Eltern und Ärzt_innen zusätzlich darin bestärken, ein 'uneindeutiges' Kind um jeden Preis zu vermeiden (durch Abtreibung, pränatale 'Behandlung' oder sogenannte vereindeutigende chirurgische und/oder hormonelle Eingriffe). Sofern das Motiv der Neuregelung gewesen ist, chirurgisch-hormonelle 'Vereindeutigungen' von Kindern zu verringern, so ist abzusehen, dass dieses Ziel nicht erreicht werden wird."