Gezielte Tötung nach russischer Art

Der nach israelischem Vorbild vermutlich von russischen Geheimdienstagenten durchgeführte Anschlag auf einen tschetschenischen Anführer in Katar und macht noch einmal den gefährlichen Weg deutlich, der im Krieg gegen den Terrorismus eingeschlagen wurde

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"Gezielte Tötungen" - Anwärter für das Unwort des Jahres - werden nicht nur von den Israelis begangen (Lizenz zum Töten?). Vermutlich hatte die russische Regierung bei der Ermordung von Selimchan Jandarbijew, der 1996 nach der ersten Invasion für kurze Zeit Präsident Tschetscheniens war, zumindest Beihilfe geleistet. Jandarbijew, ein prominenter Vertreter des tschetschenischen Widerstands, der sich aber aus der Politik zurückgezogen haben soll, wurde in Doha, Katar, wo er seit 3 Jahren lebte, am 13. Februar 2004 durch eine Bombe in seinem Auto getötet, als er von einer Moschee nach Hause fuhr. Zwei seiner Begleiter kamen ebenfalls ums Leben, sein 13-jähriger Sohn wurde schwer verletzt. Drei russische Geheimdienstmitarbeiter wurden im Zusammenhang mit dem Anschlag verhaftet.

Jandarbijew, ein Schriftsteller und Dichter, der mit dem Zerfall der Sowjetunion politisch aktiv wurde und 1990 eine Partei gegründet hatte, die für die Unabhängigkeit Tschetscheniens eintrat und 1991 Vizepräsident in der Regierung Dudajew wurde, werden Beziehungen zu al-Qaida nachgesagt. Dudajew, ein ehemaliger russischer General, führte Tschetschenien 1991 in die Unabhängigkeit, aber auch in den Ruin. 1994 beginnt Russland den Krieg, Dudajew beginnt mit seiner Armee den Guerillakrieg. 1995 gab es die erste Massengeiselnahme, Dudajew wird 1996 bei einem Anschlag durch Raketen "gezielt" getötet. Für kurze Zeit rückt Jandarbijew an seine Stelle. Ex-General Alexander Lebed erreicht in Verhandlungen mit Jandarbijew einen Waffenstillstand. Anfang 1997 wird der gemäßigte Nationalist Aslan Maschadow zum Staatschef gewählt, während seit dem Krieg der Widerstand, maßgeblich auch durch Jandarbijew, der in Tschetschenien die Scharia einführte, immer stärker islamisiert wird. 1996 wurde der Islam zur Staatsreligion der "Tschetschenischen Republik Itschkerija" erklärt.

Nach Anschlag nahm die russische Regierung auch noch Geiseln fest

Wenig verhohlen gab man in Russland, entscheidend mitverantwortlich für die Entstehung des islamistischen Terrorismus in Tschetschenien, seiner Freude über den Tod von Jandarbijew Ausdruck. Schon länger hatte man seine Auslieferung an Russland gefordert. Nach dem Anschlag auf eine U-Bahn in Moskau Anfang Februar - kurz vor den Wahlen - machte der russische Präsident Wladimir Putin tschetschenische Terroristen dafür verantwortlich und sagte: "Russland führt keine Verhandlungen mit Teroristen, es eliminiert sie." Der moskautreue gegenwärtige Präsident Tschetscheniens, Achmad Kadyrow Kadyrow meinte, dass sich in Tschetschenien niemand finden werde, der Jandarbijews Schicksal bedauere. "Jandarbijew war der Hauptideologe der Separatisten und später auch der terroristischen Organisationen, die für so schwere Folgen in Tschetschenien gesorgt haben."

Das Attentat auf Jandaebijew war der erste Anschlag in Katar, weswegen man dort besonders scharf reagierte. Am 18. Februar wurden drei Männer, Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes, wegen Verdacht auf Mitwirkung am Anschlag festgenommen. Einer der Festgenommenen wurde eine Woche später auf Druck des russischen Außenministers Iwanow wieder freigelassen. Die russische Regierung hatte erst zu diesem Zeitpunkt von der Festnhame erfahren. Kurz darauf, am 26.2., wurden im Moskauer Flughafen zwei Ringer eines Nationalteams aus Katar verhaftet, offensichtlich als eine Art Geisel.

Der russische Außenminister hatte zuvor empört auf die Festnahme der Russen reagiert und jeden Verdacht zurückgewiesen, die Geheimdienstmitarbeiter könnten etwas mit dem Anschlag zu tun haben. Die drei Geheimdienstmitarbeiter hätten sich ganz legal in Katar aufgehalten und dort im Rahmen des Kriegs gegen den internationalen Terrorismus Informationen gesammelt. Iwanow warf Katar vor, Terroristen, die auf der UN-Liste stehen, zu beherbergen und zu schützen, was gegen die internationalen Abkommen verstoße. Katar hingegen besteht auf einen Gerichtsprozess.

Zudem sollen die Gefangenen bereits die Tat gestanden haben. Offenbar haben die katarischen Behörden die FSB-Agenten über ein geliehenes Fahrzeug und abgehörte Mobiltelefongespräche verfolgen und überführen können. Die Agenten sollen auch die Namen ihrer Chefs genannt haben, die ihnen den Auftrag gegeben haben. Der Sprengstoff wurde mit einem diplomatischen Fahrzeug von Saudi-Arabien nach Katar gebracht.

Der Terror und der Terror

Ärgerlich war für die russische Regierung wohl auch, dass die Geheimdienstmitarbeiter dank der Hilfe der US-Regierung festgenommen werden konnten. Steven Pifer vom US-Außenministerium erklärte, ein amerikanisches Team habe auf Anfrage Katars bei der technischen Untersuchung des Sprengstoffs Hinweise liefern können. Nachdem dies bei der russischen Regierung nicht gut angekommen war, versicherte man, dass es sich um keine wichtige Hilfe gehandelt und dass die USA nichts mit der Identifizierung und Festnahme der Agenten zu tun gehabt habe. "Die USA, die vor kurzem die Eintragung von Jandarbijew in die UN-Liste der gefährlichsten Terroristen der Welt initiiert haben, haben der internationalen Gemeinschaft bedauerlicherweise weder technische noch politische Unterstützung bei der Fahndung nach diesem internationalen Terroristen geleistet", empörte sich vor wenigen Tagen Konstantin Kossatschow, der Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses der Staatsduma.

Der Ärger rührt auch daher, dass Putin der US-Regierung vorgeworfen hat, mit zweierlei Maß zu messen. So kritisiere man die russische Tschetschenien-Politik und habe sich unter anderem auch mit Jandarbijew in Katar getroffen, während man andererseits mit allen Mitteln gegen Terroristen vorgehe. Die US-Regierung streitet jedoch ein solches Treffen ab.

Wie auch immer, zwischen Russland und Katar wurde hart verhandelt, Russland übte einen ungewöhnlich hohen Druck aus. Putin rief am Dienstag schließlich persönlich Scheich Hamad al-Tani, den Emir von Katar an, um über die "weitere Entwicklung der russisch-katarischen Beziehungen" und die Situation im Nahen Osten zu sprechen. Was genau besprochen wurde ist nicht bekannt, jedenfalls wurden gestern die beiden katarischen Sportler freigelassen und durften in ihre Heimat reisen. Dafür durften russische Anwälte die beiden in Doha inhaftierten Geheimdienstmitarbeiter besuchen, die schon tags zuvor, nachdem sie Woichen auf Visa gewartet hatten, im Auftrag des Außenministeriums nach Katar kamen und angeblich dem Gericht wichtige Informationen vorlegen wollen. Doch es scheint weitere Verstimmungen zu geben, denn Alexander Witissow, der Erste Sekretär der russischen Botschaft in Katar, wurde nach der Freilassung der beiden Sportler als persona non grata bezeichnet und aufgefordert, binnen 24 Stunden das Land zu verlassen, meldete die offizielle Qatar News Agency. Witissow war derjenige, der zusammen mit den beiden anderen Geheimdienstmitarbeitern festgenommen worden war, aber schnell wieder freikam, weil er diplomatische Immunität genießt.

Russland kritisierte übrigens die "gezielte Tötung" des Hamas-Führers Jassin und forderte eine Verurteilung des Anschlags durch die UN. Katar hatte sich gleichfalls nach dem Anschlag gegen "gezielte Tötungen" ausgesprochen, egal, gegen wen und in welchem Zusammenhang. Das winzige Katar, Stützpunkt für US-Truppen und Verbündeter der USA, auch im Kampf gegen den Terrorismus und im Krieg gegen den Irak, eine Monarchie, keine Demokratie, moderat, selbst im Hinblick auf Israel, Heimat des Senders al-Dschasira, der die gesamte Region belebt hat, Hafen für manche Islamisten, verteidigt den Rechtsstaat gegenüber einer Weltmacht, die sich im erklärten Krieg gegen den Terrorismus auf der Seite der ebenfalls ganz nach Belieben mit dem internationalen Recht umgehenden Supermacht USA und im Recht sieht, das Recht auszusetzen und wieder wie im Kalten Krieg verdeckte Operationen und politische Morde auszuführen.