Ghiblis Anime zum Spielen

Olivers unbeschwerte Heimatstadt

"Ni No Kuni: Der Fluch der weißen Königin" von Namco Bandai

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Gute Rollenspiele erzählen gute Geschichten. Für "Ni No Kuni" arbeiteten das berühmte Zeichentrickfilmstudio Ghibli ("Mein Nachbar Totoro", "Prinzessin Mononoke") mit dem Entwicklerteam von Level-5 ("Dragon Quest VIII / IX") zusammen. Das Ergebnis ist ein JRPG (Japanese Role Playing Game), mit dem Erzählfluss und der Ästhetik eines Anime.

Motorville ist eine beschauliche Kleinstadt, die wie eine idealisierte Form eines Fünzigerjahre-Städtchens in den USA wirkt. Der Junge Oliver passt in diese heile Welt: Er ist für seine dreizehn Jahre ungewöhnlich höflich und hilfsbereit. Sein Hobby ist das Basteln an einem eigenen Auto mit seinem Freund Philip und sein kleines bisschen Rebellion drückt sich in einem heimlichen nächtlichen Ausflug zum Testen der eigenen Konstruktion aus.

Dieser Trip hat allerdings verhängnisvolle Folgen und tritt das große Abenteuer los, das Oliver erwartet. Sein Kuscheltier, das er als kleiner Junge bekam und ihn noch mal trösten soll, entpuppt sich als das verwunschene Feenwesen Drippy aus einer anderen Welt, die der böse Djinn Shadar tyrannisiert. Oliver soll das Zeug dazu haben Shadar zu bezwingen und die Welt zu befreien.

Als erstes lernt Oliver, wie er zaubern kann. Zunächst bringt ihm Drippy einen Spruch bei, der ein Tor in die andere Welt öffnet. Diese ist weniger friedlich und schon bald greifen wilde, aber noch recht harmlose, Monster den Jungen an. So lernt Oliver und mit ihm der Spieler das Kämpfen. Freilich gibt es auch in der anderen Welt viele friedliche Charaktere, denen der Protagonist im Lauf der Geschichte hilft. Viele sind ein Opfer des dunklen Djinn, der ihnen ein Teil ihres Herzens - beispielsweise ihr Selbstvertrauen oder ihren Ehrgeiz - geraubt hat.

Drippy führt Oliver in die andere Welt

Relativ bald erkennt Oliver, dass eine Verbindung zwischen der anderen Welt und seiner Heimat besteht. Menschen und auch Tiere haben Pendants und deren Schicksale sind miteinander verknüpft. So kann er beispielsweise einem Prinzen nicht direkt helfen, sondern muss das Selbstvertrauen des seelenverwandten Jungen in Motorville wiederherstellen, damit auch das Herz des Prinzen geheilt wird.

Spielerisch setzt Namco Bandais Ni No Kuni: Der Fluch der weißen Königin auf altbewährte Rollenspielprinzipien. Der Gamer bewegt den Jungen durch die umfangreiche Außenwelt und einige Dungeons. Zahlreiche Monster laufen erkennbar umher und sobald Oliver mit ihnen zusammenstößt, wechselt das Spiel in die Kampfansicht. Stärkere Angreifer laufen auf Oliver zu, schwache Gegner ergreifen die Flucht.

Der Junge muss nicht alleine kämpfen: Zahme Monster können für ihn das Schwert oder die Kralle schwingen. Bis zu drei Gefährten darf er bei sich haben, von denen jedoch jeweils nur einer aktiv kämpft. Schwingt der Junge selbst den Zauberstab, um beispielsweise den anfangs einzigen Heilzauber zu sprechen, zieht sich der Gefährte zurück. Zwar haben die Begleiter unterschiedliche Basiswerte wie physischen und magischen Angriff, Verteidigung sowie Geschwindigkeit, aber die Lebens- und magische Energie ist ein gemeinsamer Pool. Wird ein Gefährte bezwungen, geht somit auch Oliver K.o. Der Gamer bewegt den aktiven Recken direkt und kann ihn für Angriffe in günstige Position bringen oder gegnerischen Attacken ausweichen. Löst der Spieler eine Attacke oder einen Zauber aus oder geht in Verteidigungshaltung, bringt sich der Kämpfer selbst in Position und führt die Aktion aus.

Im Verlauf des Spiels trifft Oliver menschliche Mitstreiter, die an der Seite des Jungen kämpfen und mit der Zeit seine Freunde werden. Das führt zu den JRPG-typischen Gruppenkämpfen, bei denen drei menschliche Recken oder ihre Gefährten gemeinsam meist drei bis vier Monstern gegenüber stehen. Der Spieler darf während des Kampfes das aktive Gruppenmitglied wechseln und so beispielsweise die Kontrolle über das Mädchen Esther übernehmen, das Monster in bestimmten Situationen zähmen kann.

Die Gefährten geben im Kampf gerne alles

Ansonsten übernimmt die Software die Steuerung der Freunde im Kampf - und das leider häufig nicht effizient. Der Spieler darf zwar die grundlegende Taktik festlegen und beispielsweise bestimmen, dass sich ein Gruppenmitglied vor allem um die Heilung kümmert, aber die Mitstreiter können schlecht mit ihrer magischen Energie haushalten und feuern mit Kanonen auf Spatzen, sodass sie im entscheidenden Moment keine Reserven mehr für einen Heilspruch haben. Untersagt man den Mitkämpfern das Zaubern komplett, schauen sie auch in Krisensituationen zu.

Relativ gut funktioniert dafür der schnelle Wechsel zwischen Offensive und Defensive über jeweils einen Tastendruck. So kann der Spieler beispielsweise alle zum Angriff aufrufen, wenn ein Boss durch das Treffen seiner Schwachstelle besonders anfällig ist. Trotzdem könnten die taktischen Möglichkeiten vielseitiger sein: Einige zahme Monster sind besonders gut gepanzert sind und können die Aufmerksamkeit der Feinde auf sich ziehen, aber es fehlt eine effiziente Methode, einem Mitstreiter mit solch einem Gefährten als designierten Verteidiger - oder in Rollenspielsprache "Tank" - zu bestimmen.

Insgesamt hat das Kampfsystem viele gute Ideen, die aber in der Umsetzung schwächeln. Alle Gegner und vor allem die Bosse haben ihre individuellen Stärken und Schwächen. Einige sind anfällig gegen bestimmte elementare Angriffe: Feuer ist beispielsweise typischerweise effizient gegen Eiswesen. Leider reicht nach ein paar Kämpfen häufig die magische Energie der Freunde nicht aus und sie müssen ihr Schwert gegen gut gepanzerte Gegner schwingen, statt ihnen den passenden Zauber entgegen zu schleudern.

Interessant umgesetzt ist das Moment des Konters beziehungsweise der Verteidigung im passenden Moment: Blockt ein Gruppenmitglied eine gegnerische Spezialattacke, erscheinen grüne und blaue Energiebälle, die einen Teil des Lebens beziehungsweise der Magie wiederherstellen. Gelegentlich gibt es auch einen goldschimmernden Ball, der die komplette Lebensenergie regeneriert und gleichzeitig einen mächtigen Spezialangriff auslöst.

Die ersten Bosskämpfe leben vom Wechsel aus Angriff und Blocken

Die anfänglichen Bosskämpfe kann der Spieler recht gut mit der Taktik des passenden Blockens gewinnen und so mehr Energie auftanken als er verliert und durch die Spezialangriffe den Gegner in die Knie zwingen. Die späteren Bosse verlangen mehr Aufmerksamkeit hinsichtlich ihres Schwachpunkts und des richtigen Timings. Trotzdem sind alle Endgegner schon aufgrund der Erholung durch die Energiebälle gut zu bezwingen - vorausgesetzt die Gruppe hat zuvor genügend Erfahrung gesammelt.

Auch in dem Punkt ist "Ni No Kuni" ein typisches (J)RPG: Jeder Kampf bringt Erfahrungspunkte, die mit der Zeit zum Stufenaufstieg und damit verbesserten Werten führen. Gegner, die für Oliver auf Stufe 10 gefährlich sind, fallen beim ersten Hauch um, wenn er später in dieselbe Region zurückkehrt, aber bereits Stufe 30 überschritten hat. Jeder Gefährte hat seine eigene Stufe und kann sich zusätzlich insgesamt zweimal in eine stärkere Form entwickeln.

Wer nur die notwendigsten Kämpfe bestreitet, stößt irgendwann auf zu starke Gegner. Wie viele JRPGs erfordert "Ni No Kuni" ein gewisses Maß an sogenanntem Grinding, also dem wiederholten Kämpfen gegen viele Gegner in einer Region, um stark genug für das nächste Gebiet zu werden.

Einige Städtchen haben ihren eigenen Dresscode

Allerdings muss Oliver nie willkürlich gegen Monster kämpfen, sondern erhält in den Städten zahlreiche Neben-Quests. Diese verlangen beispielsweise, dass er vom Auftraggeber gewünschte Monster zähmt oder Gegner mit einem bestimmten Zauber besiegen muss.

Als Belohnung für die Nebenaufgaben erhält Oliver außer Gegenständen und Geld auch Sammelstempel für Bonuskarten. Mit den Karten erkauft der Spieler dauerhafte Verbesserungen wie einen verringerten Magieverbrauch oder verbesserte Erfahrungspunkte.

Jagen und Sammeln ist ein Grundprinzip von "Ni No Kuni" - und damit steht es in der guten Tradition vor allem der japanischen Rollenspiele wie Square Enix "Final-Fantasy"- (vgl.: Fantasie in Zeit und Raum) und "Dragon-Quest"-Serie. Der achte und neunte Teil von letzterer stammt von Level-5, dem Entwicklerstudio von "Ni No Kuni".

Aus demselben Haus kommt auch die "Professor-Layton"-Serie (vgl.: Kopfspiele), die sich als knackige Denkspiele hervortun. Ein Hauch von Puzzles schimmert in "Ni No Kuni" durch, aber den Entwicklern fehlt der Mut, die Spieler damit zu fordern: Überall dort, wo Oliver erst mit dem passenden Zauberspruch weiterkommt, stößt ihn sein Begleiter mit der Nase drauf. Auch werden Nebenaufgaben, die in der Beschreibung zunächst rätselhaft erscheinen, zu deutlich erklärt.

So gibt es diverse Schräubchen an denen das Rollenspiel verbessert werden könnte: Die Kämpfe dürften abwechslungsreicher und die Mitstreiter cleverer sein. Ein paar Rätsel, die den Spieler fordern, wären schön gewesen.

Oliver trifft viele Charaktere mit ihren eigenen Geschichten

Trotzdem machen die Geschichte, die Atmosphäre und die künstlerische Gestaltung die Mängel mehr als wett. Die Handlung ist emotional, aber ohne Pathos und hat durchaus das Niveau der Ghibli-Animes (vgl.: Der letzte Mohikaner der Old-School-Animation) wie "Chihiros Reise ins Zauberland" (vgl.: Märchenfilm im besten Sinne) oder "Ponyo - Das große Abenteuer am Meer" (vgl.: Kinder an die Macht?). Fans des japanischen Studios finden einige Anspielungen auf die Zeichentrickfilme wie den Boss "Porco Grosso" als Referenz zum Film "Porco Rosso". Die einzelnen Charaktere sind liebevoll ausgearbeitet und haben ihre eigenen Geschichten, die im Verlauf erzählt werden. Zusätzliche Fabeln sammelt der Spieler als Lesestoff in Form von Buchseiten durch das Erledigen von Neben-Quests.

Die künstlerische Gestaltung ist extrem schön: Die Charaktere wirken auch im normalen Spielverlauf jenseits der Filmsequenzen wie Figuren aus einem Anime und die Landschaften mit ihren Bäumen und Bergen glänzen mit einer Aquarell-Ästhetik. Der Soundtrack ist durchweg gelungen - kurz: Das Game bringt alles mit, was ein guter Film braucht.

"Ni No Kuni" ist endlich wieder ein gutes japanisches Rollenspiel für ein breiteres Publikum - so wie es "Final Fantasy" zu seinen besten Zeiten war. Das liegt vor allem daran, dass es eine Grundtugend der alten Rollenspiele wiederbelebt: Es erzählt eine in jeder Hinsicht fantastische Geschichte. Viele jüngere JRPGs wie die "Atelier"- oder die "Disgaea"-Serie (vgl.: Dämonische Winkelzüge) von Nippon Ichi Software sind durchaus gute Games, sprechen aber mit eher speziellen Kampfsystemen und Settings nur Genrefans an.

So sehen Helden aus

Unter dem Strich gehört "Ni No Kuni: Der Fluch der weißen Königin" trotz Detailmängeln zu den besten Rollenspielen der letzten Jahre, auch wenn es spielerisch nicht auf dem Niveau von Nintendos großartigem Xenoblade Chronicles (vgl.: Das Schwert der Erkenntnis) ist. Die Mischung aus traditionellem JRPG und kunstvollem Anime verzaubert den Spieler, der über die Schwächen gerne hinwegsieht, wenn er sich dem Fluss der Erzählung hingibt. Es ist ein langes, aber nie langweiliges Spiel: Der normale Verlauf dauert 40 bis 50 Stunden. Perfektionisten, die jede Schatzkiste suchen und alle Nebenaufgaben erledigen, dürfen länger eintauchen. Im Endspurt gibt es dem Gamer etwas, das herausragende Videospiele auszeichnet: Das ambivalente Gefühl dem Finale entgegenzufiebern und gleichzeitig eine gewisse Wehmut zu verspüren, weil die Geschichte und das Spielerlebnis bald vorüber sind.