Glaubwürdigkeitsprobleme der Linken

Seite 2: Nur schlechte Optionen für die Regierenden

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Entscheiden sich Staaten für die erste Alternative, etwa mittels eines Abbaus von Sozialleistungen und einer höheren Besteuerung von Löhnen, dann wird die globale Endnachfrage nach Gütern tendenziell abgewürgt. Wenn dennoch mancherorts fleißig weiter konsumiert wird, geraten die betreffenden Länder recht bald in Zahlungsschwierigkeiten. Als Folge muss die Konsumentenseite zu einem späteren Zeitpunkt desto größere Entbehrungen hinnehmen, was der Fall Griechenland auf dramatische Weise veranschaulicht.

Eine verminderte Nachfrage nach Gütern des Endverbrauchs senkt unweigerlich die Investitionsbereitschaft. So ist nicht verwunderlich, dass die Investitionsquote in den westlichen Industriestaaten mittlerweile auf historische Tiefstwerte gesunken ist. Der schwächere Investitionsbedarf trifft dabei auf ein Angebot an Produktionsstandorten, das eher im Wachsen begriffen ist. Die Kapitalseite kann nun noch stärkeren Druck ausüben, woraufhin sich der Handlungsspielraum staatlicher Entscheidungsträger weiter verengt.

Ebenso fragwürdig ist die zweite Option einer "Flucht nach vorn" durch erhebliche Zugeständnisse an Unternehmen und Kapitalanleger. Zwar mag es vereinzelt gelingen, Werksschließungen zu verhindern und Realinvestitionen anzulocken. Auch kann die Steuerflucht gebremst und sogar mancher Steuerzahler aus dem Ausland gewonnen werden. Da jedoch die übrigen Staaten keine andere Wahl haben als nachzuziehen, sind die erlangten Vorteile nur von kurzer Dauer. Übrig bleiben höhere finanzielle Belastungen durch zugesagte Leistungen und Steuergeschenke.

Andererseits kann keine Regierung riskieren, Forderungen der Kapitalseite vollständig zu ignorieren. Wenn auch angedrohte Produktionsverlagerungen und Steuerflucht meist nicht unmittelbar erfolgen, stellen einmal abgezogene wirtschaftliche Potentiale für die Volkswirtschaft einen dauerhaften, unwiederbringlichen Verlust dar. Zudem würde das Investitionsklima als ungünstig bewertet werden, was Investoren abschrecken dürfte. Im Privatbesitz befindliche Medien würden die Regierung als wirtschaftlich inkompetent stigmatisieren und ihr Wähler abspenstig machen. Politische Entscheidungsträger wären letztlich gezwungen, größere Einsparungen zu tätigen oder noch mehr Schulden zu machen.

Bei der dritten Option, einer zusätzlichen Kreditaufnahme, würde sich der jährliche Schuldendienst erhöhen. Dies beeinträchtigt auf längere Sicht die Bonität eines Staates, wodurch weitere Zinsbelastungen entstehen. Solange sich alle Industrieländer im Gleichschritt neu verschulden, wird zumindest deren Konkurrenzlage nicht tangiert. Hinsichtlich des Kreditbedarfs bestehen jedoch erhebliche Differenzen.

So können die Regierungen einiger Staaten ihrer Bevölkerung nur begrenzt Opfer aufbürden, weil andernfalls beträchtlicher Widerstand und Unruhen zu befürchten wären. Andere wiederum benötigen eine Brückenfinanzierung angesichts von Naturkatastrophen oder notleidender volkswirtschaftlich relevanter Unternehmen oder Branchen. Mancherorts werden Kredite nachgefragt, um Strukturschwächen zu beheben, einen technologischen Rückstand aufzuholen oder geografische und klimatische Nachteile zu kompensieren.

Da es beim Versuch, den Sachzwängen des Neoliberalismus zu entkommen, augenscheinlich nur schlechte Lösungen gibt, gewinnen Außen-, Außenhandels- und Militärpolitik als wichtige Garanten des Status quo an Bedeutung. So würden ein Ende neokolonialer Praktiken wie auch ein Dominanzverlust der USA die westliche Gemeinschaft bedeutend schwächen und den Handlungsspielraum der Regierungen weiter einschränken. Daher besteht ein stiller Konsens, dass Versuche eigenwilliger Staatslenker, sich aus neoliberalen Zwängen zu befreien, nach Möglichkeit zu vereiteln sind. Begleitet werden diese Bemühungen von massiven Diffamierungskampagnen durch westliche Medien, wie sich an zahlreichen Beispielen aus der jüngeren Geschichte belegen lässt.

Linke Politik im Spiegel der Realität

Auch wenn die im System begründeten Sachzwänge verständlicherweise gerne ignoriert werden, so folgen sie Vertretern der Linken dennoch auf Schritt und Tritt. Besonders betroffen sind jene Mitglieder, die in Städten, Gemeinden und auf Länderebene politische Verantwortung tragen. Je stärker die äußeren Zwänge sind, desto häufiger müssen sie Entscheidungen mittragen, die ihren Zielen diametral entgegenstehen, oftmals nur um Spielräume anderswo zu bewahren. Während sie sich im Politikalltag aufreiben, geraten Forderungen nach Systemveränderungen aus dem Blickfeld. Wenn diese Ziele dann zuweilen durchschimmern, fehlt es der Linken an Glaubwürdigkeit.

Tatsächlich gibt es durchdachte Konzepte für eine alternative Wirtschaftspolitik wie etwa jenes in Sarah Wagenknechts neuestem Werk "Reichtum ohne Gier". Um überzeugen zu können, bedarf es jedoch konkreter Vorstellungen darüber, wie angesichts der bestehenden Machtverhältnisse und Wirtschaftsstrukturen Veränderungen in die gewünschte Richtung zu erreichen sind. Die implizit gehegte Hoffnung, zuerst eine Mehrheit der Bürger auf seine Seite zu bringen, dann die Wahlen zu gewinnen und die Regierungsgeschäfte zu übernehmen und schließlich mit der Umsetzung einer alternativen Wirtschaftspolitik zu beginnen, entbehrt jeder Realität. Dies belegen auf bedrückende Weise die Erfahrungen nach den Wahlerfolgen der Linken in Griechenland und Portugal.

Die Realisierung linker Forderungen scheitert vornehmlich an der mangelnden Finanzierbarkeit, aber auch an direktem wirtschaftlichen Druck mächtiger Kapitalgesellschaften. Dies bedeutet nicht, dass etwa ein Ausbau des Sozial- und Gesundheitssektors, besserer Umweltschutz oder ein fairer Umgang mit bislang neokolonial ausgebeuteten Staaten automatisch stattfinden würden, sobald mehr Mittel bereit ständen und Regierungen freier agieren könnten. Falls aber das benötigte Geld verfügbar wäre und kein äußerer Druck bestände, würden Forderungen und Ziele der Linken bedeutend an Realitätsnähe gewinnen, was die Glaubwürdigkeit der Partei immens stärken dürfte.