"Glückwunsch, Mr. President"

Auch wenn John Kerry aufgegeben hat: Manche Bürgerrechtsorganisationen und Wahlbeobachter halten ihre Kritik am Wahlablauf aufrecht

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Es war eine kleine Meldung, die am Tag nach den US-Wahlen kurz nach 17 Uhr über die Nachrichtenticker der hiesigen Redaktionen lief. "Kerry gesteht Niederlage ein", hieß es knapp in der Überschrift der US-Nachrichtenagentur AP. Noch vor der Auszählung der Stimmen im umkämpften Bundesstaat Ohio habe der Herausforderer der Demokratischen Partei, John F. Kerry, den Amtsinhaber am Vormittag angerufen. "Glückwunsch, Mr. President", soll Kerry gesagt haben. Man tauschte gegenseitig Höflichkeiten aus, um am Ende des fünfminütigen Gespräches auf die tiefe politische Kluft in den USA zu sprechen zu kommen. "Wir müssen wirklich etwas dagegen tun", habe George W. Bush dem unterlegenen Demokraten bestätigt. Die Wahlen sind vorbei, Amerika vereint. Und doch ist das Ende der Geschichte nicht ganz so idyllisch, wie es Scott McClellan, der Sprecher des wieder gewählten US-Präsidenten der Presse vermitteln wollte.

Wahlbeobachter und Bürgerrechtsgruppen jeglicher Couleur üben trotz des feststehenden Siegers massive Kritik am Ablauf der Wahlen. Zwar verweigerte die Leiterin der Wahlbeobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa auf Anfrage von Telepolis eine Stellungnahme, um auf den Bericht der OSZE-Delegation am morgigen Donnerstag zu verweisen. Doch schon im Vorfeld waren erste kritische Töne ihrer Mitarbeiter durchgesickert.

US-amerikanische Organisationen konzentrieren ihre Kritik indes vor allem auf das antidemokratische System des Wahlkollegiums und den uneinheitlichen Ablauf der Stimmabgabe. Steven Hall von dem Zentrum für Wahlen und Demokratie in Maryland, nördlich der US-Hauptstadt Washington, bezeichnete die entscheidende Rolle der Wahlmänner als "Anachronismus aus dem 18. Jahrhundert". Durch das System würden die Wahlen von vornherein auf Schlüsselstaaten wie Florida oder Ohio ausgerichtet. "Die Mehrheit der Bevölkerung in allen anderen Staaten steht daher nur in der zweiten Reihe", sagt Hall. Die wahlentscheidende Rolle einiger weniger Staaten rege zudem zu Wahlbetrug und Manipulation an.

Halls Mitstreiter Robert Richie verwies auf Anfrage von Telepolis indes auf die erfolglosen Versuche, das Wahlmännersystem zu ändern. Schon 1969 habe das Repräsentantenhaus für eine Änderung der Wahlgesetze gestimmt, einen gleichen Antrag hätten die Parlamentarier erst vor wenigen Monaten eingebracht. Geschehen sei bislang nichts. Hall und Richie stehen mit ihrer Kritik nicht alleine. Schon vor der Aufgabe von Kerry hatten Dutzende von Organisationen auf Unregelmäßigkeiten und "vorsätzlich geschaffene Barrieren" bei den Wahlen hingewiesen. Die Initiative fairelection.us verwies auf die zahlreichen Probleme vor vier Jahren. Trotz der damaligen Willensbekundungen hätten sich die Probleme auch in diesem Jahr wiederholt, heißt es in einer Erklärung der Initiative, die von der US-Menschenrechtsorganisation Global Exchange ins Leben gerufen wurde.

Weniger gelassen als der Herausforderer reagierte daher auch die Demokratische Senatorin aus Ohio, Teresa Fedor. "Es gab Probleme in jedem einzelnen Stadium dieser Wahl", beklagt Fedor. Es sei richtiggehend ein Kampf gewesen, die Wahlberechtigten in die Register einzutragen, sie am Wahltag ihre Stimme abgeben zu lassen und diese Stimme schließlich auch als gültig verbuchen zu lassen. "Aus diesem Grund habe ich schon vor über einem Monat den Rücktritt von J. Kenneth Blackwell, dem Innenminister von Ohio, gefordert", sagt Fedor. Während der in seiner politischen Funktion nämlich für den fairen und unparteiischen Ablauf der Wahlen verantwortlich ist, zeichnete der Republikaner zugleich als zweiter Organisator der Wahlkampagne für George W. Bush und Dick Cheney verantwortlich.

Zwar ist das Ergebnis für den selbst deklarierten "Kriegspräsidenten" George W. Bush eindeutiger als vor vier Jahren. Doch wird auch diese Wahl umstritten bleiben. Was Florida vor vier Jahren war, das droht Ohio 2004 zu werden. So weist Susan Truitt von der lokalen "Bürgerallianz für sichere Wahlen" auf den Umstand hin, dass die elektronischen Maschinen in Ohio die Stimmabgaben nicht noch einmal auf einer Papierrolle aufzeichneten. "Deswegen ist jegliche Nachzählung der elektronischen Ergebnisse sinnlos", beklagt die Bürgerrechtlerin. Innenminister Blackwell aber habe diese umstrittenen Maschinen trotz des Protestes im ganzen Bundesstaat einführen wollen. "Ich finde das vor dem Hintergrund seltsam", sagt Truitt, "dass Kerry in allen Umfragen vor der Wahl in Ohio knapp vor Bush lag".