Glyphosat: Datenmasseure bei der Arbeit

Seite 2: Bezahlte Wissenschaft

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Hersteller Monsanto hatte bereits im Vorfeld eine Serie von Review-Artikeln in wissenschaftlichen Magazinen gesponsort. Die neue EU-Pestizidverordnung schreibt vor, dass der Zulassungsantrag auch die Ergebnise relevanter Veröffentlichungen aus der frei zugänglichen wissenschaftlichen Literatur der vergangenen Dekade enthalten muss.

Monsantos Antwort auf die IARC-Bewertung war eine Serie von Übersichtsartikeln im industrienahen Wissenschaftsjournal Critical Reviews in Toxicology, nach dem beteiligten Beratungsunternehmen auch Intertek Papers genannt. Monsanto hatte Interteks Dienste zur wissenschaftlichen Untermauerung der Glyphosat-Kampagne in Anspruch genommen.

Die so entstandenen Auftragswerke kamen alle zum selben Schluss: der Einsatz von Glyphosat und seiner handelsüblichen Formulierungen ruft beim Menschen weder krebserregende Wirkungen hervor, noch wird das Erbgut geschädigt.

Der im März 2017 von der österreichischen Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 herausgegebene Bericht "Glyphosat und Krebs - gekaufte Wissenschaft" legt detailliert nahe, dass diese von der Industrie geförderten Übersichtsarbeiten zur Karzinogenität und Genotoxizität von Glyphosat grundlegende wissenschaftliche Fehler enthalten und durch offenbar wohlkalkulierte Auslassungen oder die Präsentation irrelevanter Daten Sachverhalte verzerrt darstellen und so Leser täuschen. Diese Übersichtsarbeiten messen den unveröffentlichten Industriestudien zudem konsequent mehr Gewicht bei als Studien, die in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht wurden und die den Prozess der Beurteilung durch unabhängige Gutachter durchlaufen hatten. Im Gegensatz dazu berücksichtigt die IARC unveröffentlichte wissenschaftliche Ergebnisse in der Regel nicht.

Trotz der beschriebenen eklatanten Mängel stimmen Regulierungsbehörden in den Unbedenklichkeits-Kanon ein. Ob das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) oder die US-amerikanische Umweltschutzbehörde (EPA) - alle bedienen sich dabei der Argumente, die in den von der Industrie gesponsorten Übersichtsartikeln zu Glyphosat enthalten sind.

Es gehört zum taktischen Vorgehen der Industrie, Regulierungsbehörden zu infiltrieren und sicherzustellen, dass sie in allen relevanten Phasen des Entscheidungsprozesses mit Experten in den Schlüsselgremien vertreten ist. Diese Konstellation wird bei Bekanntwerden in der Öffentlichkeit bisweilen als Interessenkonflikt wahrgenommen.

Wie beispielsweise im Fall von Alan Boobis and Angelo Moretto, dem Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden eines Gremiums von FAO und WHO, dem JMPR (Joint Meeting on Pesticide Residues). Dieses Gremium hatte Glyphosat neu bewertet und war dabei zum Schluss gekommen, dass ein karzinogenes Risiko für Menschen aus der Exposition gegenüber Rückständen in der Nahrung unwahrscheinlich ist.

Später stellte sich heraus, dass Boobis unter anderem Vizepräsident von ILSI Europe war - dem International Life Sciences Institute, einer einflussreichen Lobbyorganisation im Lebensmittelbereich. Moretto wiederum ist Vorstandsmitglied bei einem der an ILSI angeschlossenen Institute. 2012 war ILSI der Empfänger einer Spende von ca. einer Million US-Dollar, die von Monsanto und CropLife International kam, dem Weltdachverband der Gentechnik- und Agrochemieindustrie.

Beide Wissenschaftler waren vor einigen Jahren aufgrund ihrer intensiven Verflechtungen mit der Industrie und mit industrienahen Organisationen aus der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ausgeschlossen worden - trotzdem blieben sie Teil des JMPR.

Geschätzte jährliche Ausbringung von Glyphosat in den USA (gelb - Mais; grün - Soja; braun - Weizen; rot - Baumwolle). Bild: USGS.gov

Im Zusammenhang mit ISLI werden weiterere Wissenschaftler mit möglichen Interessenkonflikten genannt. Zum Beispiel Roland Solecki, der an der Bewertung von Studien zum Krebsrisiko von Glyphosat mitgewirkt hat. Er leitet die Abteilung "Sicherheit von Pestiziden" am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und war bis mindestens 2015 Mitglied des "RISK21 Technical Comittee" des Health and Environmental Science Institute (HESI), einem ILSI-Institut. RISK21 soll zu Veränderungen in der Methodik und Kommunikation von Risikobewertung beitragen - dem Projekt wird eine Arbeit im Sinne der Industrie bescheinigt. Solecki ist Mitglied des Wissenschaftlichen Ausschusses der EFSA.

Neben einer Reihe von Interessenkonflikten beteiligter Einzelpersonen beleuchtet die GLOBAL 2000-Studie auch potentielle Interessenkonflikte von involvierten Behörden. Kritiker bezweifeln, dass die Erstzulassung von Glyphosat in der EU auf einer unabhängigen und unvoreingenommenen Bewertung aller wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Umwelt- und Gesundheitsrisiken des Herbizids beruhte. Wissenschaftler, die als Mitarbeiter von deutschen Behörden mit der Einschätzung von Glyphosat betraut waren, hatten im Nachhinein als Mitarbeiter eines EU-Projekts die Glaubwürdigkeit und Qualität ihrer eigenen Einschätzung bewertet.

Wie im Verfahren zur Erstzulassung wählte die Industrie zur Neubewertung Deutschland als berichterstattenden Mitgliedstaat aus - ein möglicher Interessenkonflikt für Behörden bzw. deren Nachfolgern und den aufs Neue beteiligten Experten, falls sie Fehler in ihrer ursprünglichen positiven Erstbewertung von Glyphosat finden sollten.